2/2: Aggression gegen Juristen, ernstgenommen
Als Teil einer nicht nur im Sport, sondern in allen Lebensbereichen von Rankings und Statistiken begeisterten Nation gehen US-amerikanische Juristen natürlich auch der Aggression gegen ihresgleichen nach – es sei erlaubt, aus ihren Zahlen Beispiele zu greifen und sich den üblichen Vorbehalt mitzudenken, den die Wortfolge auslöst: "eine US-Studie hat festgestellt".
Keine US-Wissenschaftler, sondern eine nüchterne Behörde immerhin übernahm die Vorreiterrolle in der statistischen Erfassung von Gewalt gegen Juristen: Der "U.S. Marshals Service" dokumentiert für jedes Fiskaljahr seine Leistungen, u.a. beim Schutz der Justizbehörden. Die jüngsten Zahlen legte er im Januar 2014 vor. Im Fiskaljahr 2013 ging der Dienst 1.155 Fällen von "Bedrohung oder unangemessener Kommunikation" gegen die insgesamt rund 12.000 Richter, Ankläger und sonstigen Justizbeamten seines Zuständigkeitsbereichs nach.
Im Zeitraum zwischen 2001 und 2011 stieg die Fallzahl von gut 600 auf rund 1.300 Fälle, inzwischen geht sie wieder etwas zurück – insgesamt lässt sich hier ein Wahrnehmungsproblem vermuten: Das Sicherungsbedürfnis in den Justizbehörden wuchs in den USA nach einer kleinen Zahl tödlicher Anschläge auf Richter seit den frühen 1970er-Jahren – das Phänomen hat eine gewisse Ähnlichkeit mit den deutschen Zuständen, bewegte der Linksterrorismus damals auch deutsche Spitzenbeamte und -politiker dazu, von der Straßenbahn in den Panzerwagen umzusteigen. Wer einmal im Sicherheitstrakt sitzt, nimmt die ganz gewöhnliche Welt womöglich insgesamt als gefährlich wahr.
Zuletzt: Aggression gegen, nun ja, Anwälte
Diesem mehr staatsschützerisch motivierten Blick auf die Sicherheit staatsnaher Juristen ließ die US-Anwaltschaft nur mit einiger Verzögerung Untersuchungen zu ihresgleichen folgen, die nun jeweils Zahlenmaterial für einzelne Bundesstaaten liefern.
Die jüngste Untersuchung gibt z.B. Aufschluss über die Aggression gegen die Anwaltschaft von Nevada, der 8.245 Juristen angehören. Gut 1.000 davon nahmen an der Befragung teil. Erfasst wurden neben faktischer Gewalt insbesondere Akte der Bedrohung, namentlich mündliche oder schriftliche Äußerungen, die dem Anwalt mehr oder weniger konkret physischen Schaden, "Bestrafung" oder allgemein-konkret ein gefährliches Leben ankündigten.
Die 1.000 Befragungsteilnehmer meldeten insgesamt 408 Vorfälle. In der Mehrzahl spielte sich die Aggression im eher kommunikativen Bereich ab, mit unangemessenen Äußerungen (310 Akte) oder unangemessener persönlicher Kontaktaufnahme (191 Akte). Immerhin 34 Fälle körperlicher Übergriffe wurden berichtet.
Unter "unangemessenen Äußerungen oder Kontakten" verstehen die Anwälte Nevadas durchaus robuste Übergriffe – man sollte sich nicht davon irreführen lassen, dass man sich hierzulande ja doch gern über die irrwitzigen Regeln zum Flirt-Verhalten an Highschools mokiert. Benannt wurden etwa heimlich aufgenommene Bilder der Kinder von Anwälten, Gewaltdrohungen, die tote Katze vor der Kanzleitür. Das Mindestmaß des Gemeldeten: Die gegnerische Partei überquert den Konferenztisch. Das Höchstmaß: Eingeworfene Fensterscheiben. Ein enttäuschter und bewaffneter Mandant, der auf dem Weg zum Anwalt zufällig der Polizei begegnetet. Bemerkenswert ist das Verhältnis, in dem die betroffenen Anwälte zu den Aggressoren stehen: Mit knapp 37 Prozent sind immerhin die eigenen Mandanten vertreten, die Gegenpartei mit gut 54 Prozent.
Besonders interessant ist womöglich, dass knapp ein Fünftel der Übergriffe – wie erwähnt: tote Katzen vor Kanzleitüren, Gewaltdrohungen gegen Anwaltskinder, über Konferenztische springende Parteien – von wem wohl ausgeht? – Vom gegnerischen Anwalt.
Man kann nur hoffen, dass sie sich dabei nicht von falsch verstandenen Shakespeare-Zitaten hinreißen ließen.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Recht & Literatur: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12121 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag