Während die gemeine Justiz in den Medien weniger gut wegkommt, grenzt die Berichterstattung über BGH-Urteile schon an Lobhudelei. Beide Trends haben denselben Grund, sagt Urban Sandherr: Journalisten haben viel zu wenig Interesse am Recht.
Wer mit offenen Augen durch die Presse- und Rundfunklandschaft wandert, der merkt: Das Ansehen der Justiz sinkt. Vielleicht wird die Dritte Gewalt mitgerissen von einem diffusen Misstrauen gegen Institutionen und "das Establishment". "Dieser Richter schickte U-Bahn-Schläger nach Hause", stichelte ein Boulevardblatt unter dem Bild eines Amtsrichters, der einen Beschuldigten, geständig und nicht vorbestraft, aus der Untersuchungshaft entlassen hatte.
Aber auch jenseits von solchem Revolverjournalismus neigen Presse und Rundfunk in ihrer Justizberichterstattung auf der Grundlage ungesunden Halbwissens zur ruschligen Skandalisierung. Wenn die renommierte Süddeutsche Zeitung die Anklage einer Staatsanwaltschaft als "robenverkleideten Aufstand des angeblichen Volkszorns" bezeichnet, dann mag so etwas wie verspielte Subversion durchscheinen, vielleicht auch Lust am verbalen Zündeln. Veröffentlichungen zu Straf- und Zivilprozessen sind zudem voll von offensichtlichen, haarsträubenden Fehlern. Wer etwa beginnt, den Bericht über eine Entscheidung des "Oberlandesverwaltungsgerichts Berlin" oder des "Verfassungsgerichtshofs Karlsruhe" zu lesen, der darf auf eine sachkundige Darstellung nicht hoffen.
Bei alldem ist nicht zu leugnen: Manche Ursache des Ansehens- und Autoritätsverlusts der Justiz ist hausgemacht. Die Justiz hat zwar einen gut geölten Apparat zur Erkennung und Beseitigung von Fehlern, er heißt Instanzenzug. Jenseits dessen gibt es allerdings Optimierungsbedarf, wie etwa der Fall des Ingolstädter Landwirts Rudi Rupp zeigt.
Der BGH als goldene Ausnahme
Da wirkt es wie ein kleines Wunder, dass mit dem Bundesgerichtshof (BGH) ein wichtiger Repräsentant und die vielleicht praktisch bedeutsamste Institution der deutschen Justiz von Argwohn verschont bleibt. Der BGH und die deutsche Öffentlichkeit – sie sind Freunde auf Lebenszeit. Dabei geht es nicht um den juristischen Dampfplauderer Thomas Fischer, BGH-Urgestein, Liebling der Presse und Äquilibrist mit rasant wachsendem Justizverachtungspublikum. Es geht um die Darstellung des juristischen BGH-Outputs in den Medien. Hier kann von überbordender Kritik keine Rede sein.
Im Gegenteil zeugt der publizistische Widerhall von einem ehrfürchtigen, fast kindlichen Aufblicken zum höchsten Gericht der ordentlichen Justiz. Wenn der BGH eine Entscheidung getroffen hat, von der die Presse meint, sie enthalte Grundsätzliches, so heißt es am nächsten Tag: "Bundesgerichtshof stärkt Rechte von […]". Hat das Gericht etwa über Schönheitsreparaturen entschieden, so stärkt es die Rechte von Mietern. Obsiegte ein Pauschaltourist, so werden durch die Entscheidung die Rechte von Reisenden gestärkt. Auf diese Weise stärkt der BGH auch die Rechte unverheirateter Eltern und nichtehelicher Kinder, er stärkt die Rechte der Erben und der Verbraucher. Der BGH stärkt die Rechte älterer Arbeitnehmer, der Häuslebauer, der Fonds- und der "Swap"-Anleger sowie aller Bankkunden beim Onlinebanking.
Überhaupt: Rechte von Kunden stärkt der BGH ohne Unterlass, Strom- und Gaskunden, Fernwärmekunden, Telefonkunden, Lebensversicherungskunden und "Kunden beim Gebrauchtwagenkauf". Manchmal stärkt der BGH auch die Rechte der Großen, etwa der "Luftfahrtunternehmer" und der Vermieter. Und sogar dies kam im letzten Jahr vor: "BGH stärkt das Recht auf Unvernunft". Es ging um die Helmpflicht für Radfahrer.
Gebt Justitia doch ein Füllhorn!
Ist schon jemand auf die Idee gekommen, dass der BGH mit jeder dieser Entscheidungen auch Rechte kürzt und Rechtsstellungen beschränkt – und seien es diejenigen des Fiskus? Der BGH scheint immerzu Gutes zu tun. Nie nimmt er, immer gibt er. Warum nur, so fragt man sich bei dieser Berichterstattung, sind Waage und Schwert die Attribute der Gerechtigkeit, warum ist es nicht das Füllhorn? Und gäbe nicht der Weihnachtsmann die bessere Justitia ab, roter Mantel, rote Roben?
Nun läge es nahe, dass es aus Sicht der ansonsten publizistisch arg gebeutelten Justiz ganz schön ist, wenn ihr Aushängeschild eine solche Anerkennung erfährt. Aber dies ist keine Kompensation. Bodenlose Verachtung und übertriebene Bewunderung sind Ausdruck ein- und desselben Phänomens, sie haben ihre Ursache in einem Mangel an fachlichem Verständnis für die Dinge des Rechts. Schludrigkeit und Desinteresse dürften dabei eine größere Rolle spielen als journalistisches Unvermögen. Man muss kein juristisches Prädikatsexamen haben, um sich einige rechtliche Grundlagen anzueignen. Wer die Instanzenzüge und die Besetzung eines Spruchkörpers nicht ermitteln und halbwegs unfallfrei wiedergeben kann und wer sich den systematisch wesentlichen Unterschied zwischen Berufung und Revision nicht aneignen will, der wird auch kein Verständnis dafür gewinnen, dass und wie sich Verfahrensfragen auf das materielle Ergebnis eines Prozesses auswirken.
Und am Ende wird er sich auch keine Mühe geben, die manchmal komplexen Gedanken und Beweggründe eines Gerichts nachzuvollziehen. Erst recht wird er die Grundaufgaben eines Journalisten – Berichten, Einordnen, Bewerten – nicht erfüllen können. Auslassungen, Verkürzungen und Verzerrungen sind die Effekte in einer uninformierten und unambitionierten Justizberichterstattung. Dass sie neben plumpen Skandalisierungen auch fragwürdige Überhöhungen erzeugen, das ist bemerkenswert, aber nicht beruhigend.
Der Autor Urban Sandherr ist Richter am Kammergericht und Redakteur der Deutschen Richterzeitung.
Die Justiz und die Presse: . In: Legal Tribune Online, 16.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19346 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag