2/2: Aufopferungsanspruch aus preußischem Landrecht
Mit dem Anspruch, wegen eines "Sonderopfers" entschädigt zu werden, können sich bei gegebenem Fall Juristen bis heute befassen, auch wenn sie sich dabei der reichlich alten Rechtsquelle vielleicht nicht mehr bewusst sind: Die Hamburger Assekuradeure begehrten Schadensersatz auch aus Einleitung § 75 Allgemeines Landrecht (ALR) für die Preußischen Staaten von 1794. Ist der Untertan nach § 74 ALR grundsätzlich verpflichtet, seine – geldwerten – Interessen der Obrigkeit zur Verfügung zu stellen, schränkt die Folgenorm ein: "Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten."
In Zeiten des raschen industriellen Wachstums und der entsprechenden, teils staatlichen Infrastrukturen hatte dieser Satz im Deutschland des 19. Jahrhun-derts einiges Gewicht bekommen, als Leitnorm vielleicht ähnlich unserer Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz.
In Kriegsdingen baute der preußische Staat hier freilich vor, nämlich mit einer "Kabinettsorder" aus dem Jahr 1831, die den Aufopferungsanspruch bei höchsten Majestäts- und Souveränitätsakten negierte. Anlass hatte dazu die Entscheidung des Festungskommandanten von Breslau gegeben, Teile der Stadt niederzubrennen, um freies Schussfeld zu haben – und zwar in den Napoleonischen Kriegen 1806/1807. Nur so viel für späte Verehrer angeblich preußischer Effizienz.
Einen Aufopferungsanspruch konnten die Hamburger Assekuradeure daher ebenfalls nicht geltend machen. Der Kabinettsorder billigte das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung Gesetzesrang zu.
Damit blieben die Assekuradeure, eine ehrwürdige hanseatische Vereinigung von Versicherungs-, Schifffahrts- und Seehandelsfachleuten, mit ihrer Forderung auf spezialgesetzliche Regelungen vertröstet, für die nach Kriegsende die Rechnung aufgemacht werden sollte. Wie man weiß, traf man ab 1918/19 mit diesem Anliegen bloß auf eine zahlungsschwache Republik, die sich damit kaum populär machen konnte.
Das Prisenrecht, Teilrechtsgebiet des Seekriegsrechts
Um ihr Eigentum gebracht wurde die "Deutsch-Westafrikanische Handelsgesellschaft" nun freilich nicht durch den deutschen Staat, sondern durch die britische Kriegsmarine, im Rahmen einer "prisengerichtlichen Verurteilung".
Dahinter steckt ein ausgesprochen elaboriertes Teilrechtsgebiet, das vielleicht deshalb so wenig bekannt ist, weil Deutschlands bekanntestes Kriegsschiff heute die "Gorch Fock" ist.
Abweichend vom Landkriegsrecht galt das Beutemachen im Seekriegsrecht nämlich als erlaubt.
Während sich die britische Weltmacht beim Beutemachen auf ihre richterrechtliche Tradition berief, wurde für das Deutsche Reich zum 3. August 1914 eine Prisengerichtsordnung erlassen, was – so bündig zum Kriegsbeginn – vom Berliner Rechtsprofessor Ernst Heymann (1870–1946) für "die sorgfältige Vorbereitung des Krieges auch nach der rechtlichen Seite" sprach. Natürlich meinte er dies positiv, politische Korrektheit drehte damals eben rechts herum.
Worin sich die Feinde einig waren
Während der deutsche Rechtsgelehrte noch davon schwärmte, dass das Prisenrecht des Kaiserreichs den allermodernsten völkerrechtlichen Erfordernissen entspreche – es ist tatsächlich beeindruckend, dass die sogenannten Prisengerichte einigen rechtsstaatlichen Prozessaufwand betrieben –, hatte das maritime Weltreich Britanniens längst die Effizienz auf seiner Seite: Den deutschen Seehandel konnte es bald nahezu vollständig blockieren und an Gütern abfangen, was seinen Weg nach Deutschland suchte – egal, ob es sich nun um Kriegsgut, Bannware oder Lebensmittel für Zivilisten handelte.
Von Details abgesehen, was etwa die Güter im Eigentum von Staatsbürgern neutraler Staaten anging, waren sich die kriegführenden Parteien Deutschland und Großbritannien letztlich einig darin, dass spätestens mit dem Urteil des jeweiligen Prisengerichts das Eigentum und die Rechte Dritter an der erbeuteten Ware untergingen und ein eigenes Eigentumsrecht der Beute greifenden Staatsgewalt eintritt.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Das Prisenrecht: . In: Legal Tribune Online, 12.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22068 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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