Unbehelligt Fernsehen? Für einen Juristen ein Ding der Unmöglichkeit. Flimmern doch unentwegt zu jeder Tages- und Nachtzeit wettbewerbsrechtlich fragliche Jamba-Aboangebote, Offerten für SMS-Spione an den verkannten Staatsanwalt und Gerichtsshows, in denen die Richterin einen Hammer schwingt, über den Bildschirm. Jura wohin man sieht, von wegen entspannter Tag vor der Glotze.
Für die, die den ersten Teil dieser Kolumne verpasst haben, hier der Link: www.google.de. Dort müssen sie dann einfach nur "Kolumne" + "legal tribune online" + "Kabakyer" eingeben. Es ging um Organspenden. Erinnern sie sich noch? Da sprach man vor vier Wochen vom wohl größten Organspendeskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Es lief überall im Fernsehen. Man erklärte den Leuten, wie Transplantationen funktionieren, man diskutierte bei Anne Will über die nunmehr notwendigen Maßnahmen und berichtete bei Spiegel-TV über einen 17-jährigen Chinesen, der seine Niere verkaufte, um sich für das Geld ein iPad und ein iPhone 4S kaufen zu können (hätte er doch nur gewartet, jetzt ist das iPhone 5 erschienen mit der passenden Dialyse-App). Ich habe mir die Sendungen angesehen und war positiv überrascht. Und das ist kein gutes Zeichen. Mir fiel nämlich auf, dass man im Gegensatz zur Beschneidungsdebatte einen Juristen darum gebeten hatte, seinen Senf zu der Problematik abzugeben.
Denn es reicht mir schon, dass fast jede Sendung bereits für sich das Potential hat, mich ständig an meinen Beruf zu erinnern. Meinen gesunden Nachbarn stört es nicht, wenn Bela "Volksnervensäge" Rethy beim Fußballländerspiel anmerkt, der Verteidiger hätte bei seiner Grätsche eine Verletzung seines Gegenspielers "billigend in Kauf genommen". Ihn erinnert diese Redewendung ja auch nicht an den Lederriemenfall, bei dem der Bundesgerichtshof die Abgrenzung zwischen Vorsatztat und bewusster Fahrlässigkeit mit seiner Billigungstheorie etwas näher konkretisierte.
Sie sehen, es muss sich ja noch nicht einmal um eine "juristisch" angehauchte Sendung handeln, der Effekt wird nur potenziert, wenn man sich auch noch von Poschs, Höckers und Saleschs belehren lassen muss. Aufgrund meiner masochistischen Ader, die wohl in jedem Juristen steckt, lasse ich mich trotzdem dazu verleiten, mich erneut in eine Prüfungssituation zu begeben und bei der Frage mit zu raten, ob man ohne Quittung die bereits benutzte Unterhose zurückgeben kann. Ob man kündigen darf, weil es im Bad schimmelt (umgekehrt stellt sich für den Vermieter die Frage, ob er dem Mieter kündigen kann, weil dieser selbst angefangen hat, zu schimmeln). Oder ob es strafbar ist, nachts um drei besonders laut Sex zu haben.
Schnuffelinchen und der Taschengeldparagraph
Das Jurastudium hat uns verändert und man merkt es am veränderten Fernsehverhalten: "Ich schalte die Glotze nur noch ganz selten an, wozu gibt es kino.to?", meinte einer meiner Kollegen bei der letzten Urheberrechtstagung in Istanbul. Lassen wir einmal den letzten Part mit "kino.ko" weg. Das Problem dürfte vielmehr sein, dass man eben ständig an das Fach erinnert wird, selbst wenn ausnahmsweise einmal kein Anwalt vor dem Green Screen darüber sinniert, ob die Erpressung des Arbeitgebers aus dem Blickwinkel des KSchG zulässig ist. Diesen Laut mach ich übrigens immer, wenn jemand auf einen Sender schaltet, auf dem gerade juristischer Metaschwachsinn flimmert: "Kssschg! Kssssschg!!"
Die Person mit der Fernbedienung in der Hand zuckt dann zusammen und schaltet gleich weiter auf Viva. Musik. Gott sei Dank. Nichts Juristisches. Und dann bemerken wir: Es hat keinen Zweck. Jura verfolgt uns. Auf Viva läuft gerade Werbung. Wobei diese Formulierung suggeriert, auf Viva würde mehr Musik als Werbung laufen. Eher müsste man sagen: Hey, auf Viva läuft gerade Musik, und kein Anime, keine Beverly-Hills-Real-Life-Show oder eben keine Werbung für ein Jamba-Abo.
Hat man denn eine andere Wahl? Denn die nervige Pieps-Stimme (Schnuffelinchen: "Hallo spitz mal die Ohren! Du hast eine SMS bekommen."), kann man nur ertragen, wenn man sich in seine eigene Welt flüchtet und der Überlegung nachgeht, ob die rechtliche Belehrung in Schriftgröße drei, die etwa 0,3 Sekunden über den Bildschirm flimmert, den wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen genügt, mal abgesehen davon, dass das angesprochene Publikum das Abo nicht mit seinem Taschengeld "bewirken" kann (§ 110 BGB funktioniert nicht bei Dauerschuldverhältnissen; und bitte: dieses Geschäft ist ganz sicher nicht "schwebend unwirksam" gemäß §§ 107, 108 BGB. Das einzige was schwebt, ist in diesen Fällen das Damokles-Schwert über dem Kopf des Minderjährigen, der dafür Sorge zu tragen hat, dass der Vater die nächste Telefonrechnung nicht in die Hände bekommt).
Ahmet Kabakyer, Of all the things I’ve lost, I miss my mind the most – Wie das Jurastudium mich verändert hat: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7147 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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