Gerade an Arte vorbei, dann kurz vor Phoenix hängen geblieben
Dass ich nicht der einzige Jurist bin, der vor der Arbeit auf die Idee kommt, Musik zu hören und daher Viva einschaltet, merke ich am Love & Sex-Calculator, bei dem man per SMS herausfinden kann, wie es um den neuen Lover bestellt ist. Ina + Prof.T = 31 % (Tipp: Du solltest Prof.T mehr Freiräume lassen Ina). Den SMS-Spion, der mir IMSI-Catcher-mäßig (vgl. § 100i StPO) verrät, wo sich gerade meine Freunde befinden habe ich auch gleich bestellt, nur um enttäuscht festzustellen, dass es sich dabei um einen Scherzartikel handelt. Da wollte man einmal Staatsanwalt spielen, weil die Note nicht reicht und dann so etwas. Betrug! Wobei: Heutzutage ist ja jeder der täuscht, ein Betrüger (auch der Ehemann, der seine Frau betrügt. Tateinheitlich verwirklicht er den Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB, hö hö hö). Aber die Schuld liegt nicht allein bei uns.
Man sollte nicht unterschätzen, dass sich das Programm schlicht zu unseren Ungunsten verändert hat, und das ist nicht nur eine Frage der Perspektive: Wo früher auf RTL II noch Mila Superstar und Pokémon liefen, stehen jetzt zur gleichen Zeit der "Trödeltrupp" – ein gutgläubiger Erwerb abhanden gekommener Sachen ist, wie bekannt, nicht möglich, § 935 BGB – und "Mieten, Kaufen, Wohnen" auf dem Programm.
Aber das schlimmste Format hat Gott sei Dank seine beste Zeit bereits hinter sich: Die Gerichtsshows, an denen wir vorbeizappen, bevor wir an Arte vorüber (so weit ist es noch nicht gekommen) gerade auf Phoenix schalten wollten, um uns die Bundestagsdebatte zur Kassenarzt-Entscheidung des Bundesgerichtshofs anzusehen. Dieses Vorbeizappen nimmt normalerweise fünf Minuten in Anspruch, um den Fall zu erfassen und unser Urteil über den schmierigen Zuhälter zu bilden, der eine seiner Prostituierten dazu erpresst hat, einen ihrer Freier zu bestehlen (somit immerhin länger als 57 Sekunden, die uns für Phoenix reichen würden).
Einmal aufstehen und rufen: "Halt! Ich war’s."
Herablassend stupsen wir unsere nicht(s)wissenden, sichtlich gelangweilten Mitmenschen an und weisen sie darauf hin, dass mit § 255 StGB (räuberische Erpressung) die falsche Norm zitiert wird (und vergessen dabei, dass in der heutigen Hauptverhandlung keine einzige Norm zitiert wurde, und im Mandantenschreiben auch nur die §§ schießmichtot RVG). Zudem macht Frau Salesch nicht auf die Problematik des so genannten Nötigungsnotstands aufmerksam, bei dem strittig ist, ob dieser zu einem gerechtfertigten oder entschuldigten Verhalten führt.
Hallo? Frau Salesch hat einen Hammer in der Hand! Der Hammer hat dort gar nichts zu suchen, allenfalls als "instrumentum sceleris". Man würde sich noch weiter aufregen wollen, etwa über den Verteidiger, der den häufig zu lesenden Praxistipp "Erst einmal schweigen" anscheinend missverstanden hat. Es fehlt nur noch, dass der Angeklagte Beweisanträge stellt und den Richter darauf aufmerksam macht, dass sein Verteidiger vorübergehend keine weiteren Fragen hat. Er muss sich ja auch keine Sorgen machen, da es am Ende jeder Verhandlung zu einem unerwarteten Twist kommt und irgendeine Person im Saal aufsteht und ALLES gesteht (auch die Taten vom Vortag).
Das wollte ich auch einmal bei einer amtsgerichtlichen Exkursion mit Studenten machen. Einfach aufstehen und schreien: "Halt! Ich war's. Ich habe die Aoste-Salami geklaut, nicht der Angeklagte. Ich sollte fünf Monate ins Gefängnis gem. § 47 StGB (ein "hort sharp shock" schadet niemandem, das wird ihnen jeder Richter in Bayern bestätigen können)."
Statt Barbara Salesch, die keifende Nachbarin und der Dealer von nebenan
Nun kann man noch viel über Gerichtsshows schreiben, aber das interessiert niemanden mehr. Der Zuschauer hat den langweiligen Gerichtssaal satt, sodass sich das Nachmittagsprogramm nunmehr auf die Entstehung des Streits fokussiert. Bei einer Inflation von Sendungen à la "Verklag mich doch", "Betrugsfälle" und die "Zwangsvollstrecker" (die Firma, die Peter Zwegat produzierte, scheint insolvent gegangen zu sein, hö hö hö) kommt das medienwissenschaftliche Potential dieser Sendungen erst richtig zum Vorschein.
Trotz ihrer wirklichkeitsfremden Darstellung – weil zu langweilig – verschwinden die Gerichtsshows nach einer im Verhältnis zu Columbo relativ geringeren Halbwertszeit aus dem Nachmittagsprogramm und der Blickwinkel verschiebt sich nun auf den Beginn des Dramas. Mit sich ankeifenden Nachbarn, der fremdgehenden Ehefrau, dem dealenden Ausländer aus der Nachbarschaft und dem 15-jährigen, schwangeren Problemkind verspricht man sich wohl mehr Einschaltquoten.
Und so bleibt der fernsehende Jurist von nichts verschont.
Ahmet Kabakyer, Of all the things I’ve lost, I miss my mind the most – Wie das Jurastudium mich verändert hat: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7147 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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