Ist es für weltmännische Juristinnen (m/w) nicht selbstverständlich, ein wenig von den Rechtsproblemen ihres Urlaubslandes zu kennen? Von Dingen, über die man sich am Strand unterhalten kann, ohne unangenehm aufzufallen? Besser als Mitreisende über die Tücken der §§ 651 a bis m BGB aufzuklären, ist das jedenfalls. Mit den "iwi kūpuna" beginnt eine kleine juristische Welttournee von Martin Rath.
Oft geht das Böse auf diesem Planeten ja vom Indianerfriedhof aus, zumindest in Horrorfilmen und -romanen. In Stephen Kings "Pet Sematary" beispielsweise, etwas dumm als "Friedhof der Kuscheltiere" eingedeutscht, wirken die dunklen Kräfte einer Bestattungsstätte der Mi'kmaq-Indianer in die bürgerliche Welt einer US-Ostküsten-Familie und lassen Tier und Mensch, wiewohl frisch dahingeschieden, gar drollig untot herumtollen.
Es war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis sich Juristen des Themas annehmen würden. Als King sein Buch 1983 veröffentlichte, besaß der Topos vom Indianerfriedhof wohl allein deshalb große Macht, weil die US-amerikanische Mehrheitsgesellschaft sich nur ungern des Genozids an der indigenen Bevölkerung ihres Landes erinnerte. Doch findet heute das finstre Unbewusste nicht mehr nur unterhaltsam verpackt im Sujet der Horrorliteratur seinen Weg zurück an die Oberfläche der öffentlichen Meinung.
Living Law um tote Indianer, Eskimos und Hawaiianer
Spätestens seit 1990 haben die Gräber, Knochen und Grabbeigaben der indigenen Völker der USA ihren Platz auch in der Rechtsordnung gefunden, zum Beispiel im Native American Graves Protection and Repatriation Act. Seither muss sich in den USA der stolze Besitzer musealer Artefakte aus indianischen Gräbern nicht allein davor fürchten, dass ihn des Nachts die Dämonen seines schlechten Gewissens einholen. Das Gesetz regelt ganz profan und diesseits parapsychischen Unfugs den Schutz von Gräbern und die Rückgabe von Knochen und Kunstgegenständen.
Doch hätten US-Juristen ihren schlechten Ruf zu verlieren, wüssten sie nicht, dass es noch mehr zu klagen gibt. Klagegegenstand ist eine Materie, die kaum absurder ist als die Horrorliteratur von King & Co.: Stoff für neue Alpträume bietet das Planungsrecht öffentlicher Verkehrswege unter besonderer Berücksichtigung indigener Knochen. Weil die Geschichte auf Hawaii spielt, darf man sich nun wenigstens bestes Urlaubswetter vorstellen statt Stephen King'scher Ostküstennebel.
Autobahn-Alptraum hawaiianischer Konservativer
Besonders freut es natürlich, wenn im Zusammenhang mit einer Autobahn auch deutsche Wertarbeit Teil des Wahnsinns wird. Dabei hätte schon die selbst gemachte Unbill genügt. Erstmals in einem Gesetz über die US-Autobahnplanung tauchte die Interstate H-3, eine heute rund 27 Kilometer lange Straße auf der Hawaii-Insel O'ahu bereits 1960 auf. 1986 befreite ein sachfremder Zusatzartikel zum US-Verteidigungshaushaltsgesetz die Planer von lästigen Umweltschutzauflagen. Als die H-3 endlich 1997 eröffnet wurde, war sie mit 1,3 Milliarden US-Dollar Baukosten die teuerste aller Autobahnen, bemessen am Meilenpreis von rund 80 Millionen Dollar. Erfreulicherweise bilden 3,3 Millionen Fliesen in drei Blautönen, von Hand an die Tunnelwände der Interstate gesetzt, eine der Kostenpositionen. Gefertigt wurden sie in Deutschland, wo sonst.
Trotz dieser spezifisch deutschen Kulturleistung zeigten sich hawaiianische Kritiker wenig begeistert. Die ortsansässige Juristin Natasha Baldauf stellte den Highway im "Asian-Pacific Law & Policy Journal" (12. Jahrgang [2010], Seiten 141-208) als Negativbeispiel für die Schändung der hawaiianischen Friedhofsrechtsordnung dar. Beim hawaiianischen Recht der sterblichen Überreste voreuropäischer Inselbewohner handelt es sich offenbar um eine komplexe Materie, die für juristische Strandbesetzer besten Unterhaltungswert haben sollte.
"Ureinwohnerrecht" auf Knochenbegriffe gebaut?
Natasha Baldauf zitiert in der rechtswissenschaftlichen Zeitschrift der Universität von Hawaii einen Schöpfungsmythos der heimischen Bevölkerung. Demnach fand als erstes Begräbnis auf Hawaii die Bestattung einer Totgeburt namens Haloanakalaukapalili statt, Kind des Himmelsvaters Wakea und seiner Tochter Ho'ohokukalani. Dem Grab entspross eine Taropflanze, ein nahrhaftes Gewächs, das von den Nachfahren des Haloa, dem zweitgeborenen Kind der Götter, kultiviert werden sollte. Die Nachfahren des Haloa, also die urstämmigen Hawaiianer, haben - Baldauf zufolge - wegen dieser heiteren Ursprünge ein besonderes Verständnis vom Zusammenhang zwischen den Begräbnisstätten der Knochen, hawaiianisch "iwi", dem Pflanzenwachstum und der spirituellen Lebenskraft, "mana". Besondere Kraftvorstellungen sind mit den "iwi kūpuna" verbunden, den Knochen ihrer Ahnen.
Zudem steckt "iwi" in einer Reihe von Begriffen, auf die sich die ältere Ordnung der hawaiianischen Besitzverhältnisse gründete. Als "iwi" wurden vor der euro-amerikanischen Landnahme zum Beispiel auch die Markierungssteine von Landgrenzen bezeichnet. "Kulaiwi" steht für das Gemeinwesen.
Baldauf zitiert einen Historiker der "nativen" Hawaiianer zustimmend, der in dem Glauben seiner Landsleute an eine Verbindung zwischen der Lebenskraft "mana" und der Sorge der Lebenden um die Knochen ihrer Ahnen eine "höchste Form von Souveränität" entdeckt haben will.
Wer darin als Außenstehender einen reichlich regressiven Versuch erkennen möchte, aus etwas folkloristischen Begriffen eine rechtlich relevante ethnische "Identität" zurechtzuzimmern, liegt vermutlich gar nicht falsch. Vor europäischer Überheblichkeit mag aber die Einsicht schützen, dass der französische Schöpfer unseres modernen Souveränitätsbegriffs, der unter Staatsrechtslehrern bis heute gern zitierte Jean Bodin (1529-1596), den Juristen seiner Zeit auch ein Praktikerhandbuch für Hexenverfolgungen hinterlassen hat. Wählerisch war man also beim Erzählen von Märchen mit normativem Output wohl zu keiner Zeit.
Mangelnde Subsumtion der "iwi"-Normen unters US-Recht
Ganz unsympathisch ist der Ansatz von Natasha Baldauf nicht, aus der merkwürdigen Mythologie der voreuropäischen Bevölkerung der Hawaii-Inseln jene Erzählungen von Ahnenknochen auszugraben, die sich gewissermaßen normativ wenden lassen – so wie einige Jahrzehnte nach Jean Bodin der große Thomas Hobbes (1588-1679) einen etwas märchenhaften Naturzustand erfand, mit dem er die Unterwerfung wilder Menschen unter die Staatsgewalt "begründete".
Zur Ehrenrettung von Frau Baldauf muss man aber zugeben, dass sie sich nicht weiter mit solch intellektuellen Spielen aufhält. Sie weist vielmehr nach, dass die US-Behörden, die für den Bau von Autobahnen und Eisenbahnlinien auf Hawaii Verantwortung tragen, die Ahnenknochen schlicht besser ins rechtspositivistische Kalkül einbeziehen müssten. Bundesgesetze sehen beispielsweise durchaus vor, dass bei Skelettfunden die Vertreter der "nativen" Bevölkerung hinzugezogen werden müssen, um zu beurteilen, ob diese im Rahmen der Baustelle gesichert oder anderweitig bestattet werden sollten. Der Staat von Hawaii hat dazu auf jeder Insel eigene Begräbnisstättenbeiräte eingerichtet und sogar geregelt, binnen welcher Tagesfristen sie eingeschaltet werden müssen.
In der Stadt Honolulu, um Pearl Harbour herum, soll nun allerdings bis 2030 eine Art Straßenbahn gebaut werden, deren Baukosten – 5,3 Milliarden US-Dollar für 32 Kilometer Strecke – man zwar im Land potenzieller Fliesenproduzenten gerne sieht. Ungern sehen aber die Aktivisten wiedergeborener Hawaiianertraditionen, wie viele mögliche Grabstätten dabei beschädigt werden dürften. Natasha Baldauf zeigt sich mit ihnen befremdet, dass die Ausgrabung der Ahnenknochen unter die US-bundesrechtliche Kategorie der archäologischen Funde subsumiert werden soll – mit der Konsequenz, dass sich die "Natives" empören und Bauverzögerungen das Resultat dieser normativen Fehlbuchung sein dürften.
Hawaii-Reisehinweise für Juristinnen und Juristen
Es mag sein, dass die juristischen Auseinandersetzungen um den normativen Status des hawaiianischen Ahnenknochenwesens irrelevant selbst jenen Juristen deutscher Nation samt ihrer Mandantschaft erscheinen, die es in diesen tristen Sommerwochen an die Strände des pazifischen Urlaubsparadieses verschlägt – ihr Herz hängt vermutlich am deutschen Reiserecht der §§ 651 a bis m des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB).
Man sucht ja, seit es diese Vorschriften gibt, gerne nach Reisemängeln.
Dabei können Knochen helfen. Denn nicht nur die obszön teure Autobahn H-3 ist der Juristin Natasha Baldauf ein Gräuel. Als weiteres Negativvorbild für die Schändung der hawaiianischen Ahnen nennt sie einen Fall aus dem Jahr 1988: Auf der Insel Maui wurden damals 1.100 "iwi kūpuna" aus den Dünen der wunderschönen Honokahua-Bucht ausgegraben und entfernt.
Dort steht heute ein Ritz-Carlton-Hotel, auf einem Indianerfriedhof sozusagen. Deutsche Reisende, wer sonst, sind aufgefordert, sich beim Reiseleiter zu melden, sollten sie es spuken sehen. Sehr schön wäre es doch, bekäme man im Anschluss einmal einen hawaiianischen "iwi kūpuna"-Gelehrten in einem deutschen Reisemangelprozess zu sehen. Die deutsche Gerichtsgeisterseherei hat ja seit den "Mephisto"-Entscheidungen von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht stark nachgelassen.
Zweifel, ob Reisen wirklich zur Völkerverständigung beitragen, möchten wir bei solchen Aussichten doch für einen Moment zur Seite schieben.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Recht auf Reisen: Hawaii: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6613 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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