Hate Crimes: Heiko Maas' Street Credibility

von Martin Rath

27.04.2014

2/2: Kriminalpolitik-Import

Zweifel an der Importfähigkeit dieser Rechtspolitik lassen sich indes nicht allein auf der Basis subtiler Details entwickeln. Selbst wenn Vorbehalte zurückgestellt werden: Sexuelle Minderheiten (und Frauen) sollen die Anerkennung ihrer Würde durch härtere Bestrafung von Gewalttätern erfahren, die aus Hass gegen Vertreter ihrer Gruppen motiviert wurden? Gruber äußert hier einen Gedanken, auf den jedenfalls kontinentaleuropäische Rechtspolitiker mangels Masse wohl gar nicht kommen könnten: Das Strafrecht der US-Bundesstaaten wurde in den vergangenen 50 Jahren derart massiv verschärft – Mörder hatten z.B. in South Dakota 1967 noch die Chance, nach fünf Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung entlassen zu werden, heute werden sie zwingend bis zu ihrem Tod in Haft gehalten –, dass Gruber vorschlägt, die nicht-rassistischen bzw. nicht-sexistischen Gewalttäter milder zu bestrafen, statt eine Strafverschärfung für rassistisch bzw. sexistisch motivierte Täter in Angriff zu nehmen.

Neben der in den USA schon etwas zweifelhaften Begründung für Strafrechtsverschärfungen für Hate Crimes, die etwa auf einer kasuistisch-moralisierenden Popularisierung dramatischer Einzelfälle beruht statt auf einer systematischen kriminologischen und konsequenten Analyse, lassen sich noch einheimische Argumente gegen den Import der Hate-Crime-Doktrin anführen. Wie wirkt sich beispielsweise ein solcher Import auf das ohnehin leichtfüßige Ensemble der Strafbegründungstheorien aus? Warum straft man? Die ältere, idealistische Lehre antwortete darauf sinngemäß, dass der Staat den Verbrecher ehrt, indem er ihn straft, womit das Negative seines Verbrechens durch das Negative der Strafe aufgehoben werde.

General- und Spezialprävention hin oder her, wird diese Idee nicht hintergründig weiter gepflegt, weil die Präventionstheorien unter anderem Fragen nach der Menschenwürde aufwerfen? Und wenn es stimmt, dass die Strafe dem Verbrecher auch idealistisch zur Ehre gereicht, warum sollten die Rassisten und Sexisten nun auch hierzulande besonders geehrt werden?

Street Credibility? Nicht ohne Boulevardmedien

Wem dient es also, Hate Crimes auf die Tagesordnung zu setzen? Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, ein in den 1970er-Jahren verdienstvoller Diplomatenbetrieb, scheint sich mit dieser Politik profilieren zu wollen – was angesichts mancher Publikation, freundlich formuliert, etwas unbeholfen wirkt (Leitfaden "Gesetze gegen 'hate crime'").

Strafrechtspolitik über völkerrechtlich-staatenverbündlerische Instrumente zu betreiben, ist ohnehin etwas unrepublikanisch-vordemokratisch: Die Leitlinien des heutigen Drogenstrafrechts beispielsweise wurden in diesen Rechtsformen festgeschrieben, als in Deutschland und China noch Kaiser regierten. Erst jetzt wird damit aufgeräumt. Man darf zweifeln, ob die Normsetzerei im diplomatischen statt im demokratischen Rahmen dem Strafrecht guttut.

Allgemein singen das Lied von den notwendigen Strafrechtsverschärfungen hierzulande vor allem die Sprecher der Polizeigewerkschaften. Es gibt mindestens zwei dieser sogenannten Gewerkschaften, weshalb wohl bei jedem medienunheilsschwangeren Delikt auch wenigstens zwei Pressesprecher panisch Laut geben. Solange diese aber damit beschäftigt sind, dem Publikum die Vorratsdatenspeicherung schmackhaft zu machen und die Polizeibeamten als Hauptopfergruppe der inländischen Gewaltkriminalität darzustellen, werden sie sich kaum als Freunde und Helfer von Hate-Crime-Opfern in Szene setzen müssen.

Bliebe für eine durchgreifende Strafverschärfungspolitik nur eine Medienpartnerschaft mit der Boulevardpresse. Um für Hate Crimes ähnlich drakonische Sanktionen zu etablieren, wie sie im Heimatland dieser strafrechtsdogmatischen Figurengruppe üblich sind, müssten Rechtspolitiker hierzulande jeden Einzelfall mit anrührenden Geschichten vom hilflosen Opfer und vom tatkräftig strafwilligen Politiker ausschlachten, bis an jene Schmerzgrenze, die in der angstgeprägten US-Szenerie üblich sind. Vorausgesetzt, was nicht zu hoffen ist, dass es in Deutschland eine relevante Fallzahl gibt.

Man darf an dieser Voraussetzung zweifeln. Hate Crimes in Deutschland auf die Tagesordnung setzen zu wollen, das ähnelt damit vage der Street Credibility eines Berliner Mittelschichts-Gangsta-Rappers. Die Schlabberhosen-"Street" gibt es hierzulande praktisch nicht, darum spannt man, um "Credibility"-Surrogate zu produzieren, Boulevardschreiber medienpartnerschaftlich ein.

Es wäre schön, wenn deutsche Rechtspolitiker auch weiterhin möglichst wenig auf dem Boulevard spielten.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Hate Crimes: . In: Legal Tribune Online, 27.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11798 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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