In der Weimarer Republik gehörte der Jurist zu den am häufigsten gespielten deutschen Bühnen-Schriftstellern. Bei seiner Flucht aus Deutschland und Österreich halfen ihm die Vorlieben eines britischen Theater-Kritikers.
Als künstlerisch besonders wertvoll ist der Film "Wasser für Canitoga" aus dem Jahr 1939 gewiss nicht in die deutsche Kino-Geschichte eingegangen. Einigen Erfolg an den Kassen der Lichtspielhäuser hatte er gleichwohl – denn in der Hauptrolle war Hans Albers (1891–1960) zu sehen, der langjährige Liebling des deutschen Publikums.
Die Handlung ist ein bisschen einfältig: Im kanadischen Canitoga kommt der Bau eines Wasserleitungsprojekts nach Sabotageakten nicht recht voran. Ingenieur Montstuart, gespielt von Hans Albers, tötet in Notwehr einen Unhold, muss fliehen, kehrt, obgleich steckbrieflich gesucht, später unter Pseudonym zurück, kann den eigentlichen Schurken ermitteln, stirbt aber, die Wasserleitung vor Zerstörung rettend und sich selbst im vorletzten Atemzug rehabilitierend.
Der Witz liegt weniger im Kunstwerk selbst als in der Sache des Mannes, der unter falschem Namen zu seinem Projekt zurückkehrt.
Denn das Drehbuch zum Film "Wasser für Canitoga" beruhte auf einem Theaterstück, das zunächst in Wien und seit 1936 auf deutschen Bühnen beim Publikum sehr gut angekommen war.
Der Presse in Wien hatte man als Verfasser des Stücks einen britischen Gentleman namens H.G. Tennyson Holm vorgestellt, der in der passenden Kleidung eines abenteuerlichen Herrn in den besten Jahren auftrat, Tabakspfeife im Mundwinkel, angeblich aufgewachsen auf einem südenglischen Landsitz und des Deutschen mächtig dank einer früheren Tätigkeit als Journalist in Berlin.
Tatsächlich geschrieben hatte das Stück der in Berlin geborene und aufgewachsene Hans José Rehfisch (1891–1960), der als politisch unerwünschter Schriftsteller nach der Machtübergabe an Hitler 1933 in Haft geraten und nach seiner Entlassung zunächst nach Österreich geflohen war.
Verbot jüdischer und politisch unerwünschter Künstler
Rehfisch war in Deutschland wegen seiner politischen Haltung und der jüdischen Herkunft seiner Familie unerwünscht, an eine Aufführung seines Stücks und dessen Verwendung als Vorlage für ein Drehbuch wäre unter seinem bürgerlichen Namen nicht zu denken gewesen. Voraussetzung für künstlerische Arbeit war die Zugehörigkeit zur 1933 eingerichteten Reichskulturkammer, in der die damals gern so genannten "Kulturschaffenden" unter politische Aufsicht gestellt wurden. Hinzu kam eine hohe Bereitschaft zur Denunziation unter Künstlerkollegen, diesen von jeher schwierigen Menschen.
Der Regisseur des Films "Wasser für Canitoga", Herbert Selpin (1902–1942), der durchaus auch gefällige NS-Propagandafilme gedreht hatte, wurde beispielsweise 1942 im Polizeipräsidium am Alexanderplatz erhängt aufgefunden, nachdem er von einem Kollegen wegen regimekritischer Äußerungen angeschwärzt worden war.
Andererseits drängte der Mangel an begabten Theater- und Filmkünstlern, die oft wegen ihrer jüdischen Herkunft oder politischen Einstellungen seit 1933 in Deutschland nicht mehr legal arbeiten konnten, gelegentlich dazu, nicht allzu genau hinzuschauen – der bekannteste Fall ist vielleicht die Arbeit von Erich Kästner (1899–1974), der das Drehbuch zu einem der bekanntesten Kinowerke des NS-Staats schrieb, zum Farbfilm "Münchhausen" aus dem Jahr 1943.
Gelernter Jurist, bekannt als Theater- und Kino-Autor
Die Laufbahn von Hans José Rehfisch war für einen Juristen seiner Zeit zwar untypisch, aber nicht völlig außergewöhnlich.
Hans J. Rehfisch, Sohn des bekannten Mediziners Eugen Rehfisch (geboren als Aron Rehfisch, 1862–1937), hatte neben den Rechtswissenschaften unter anderem Veranstaltungen in Volkswirtschaftslehre und Philosophie belegt und war 1916 in Würzburg mit einer Arbeit über "Die rechtliche Natur der Enteignung" zum Doktor der Rechte promoviert worden. Man ging damals gern zum Doktorwerden nach Bayern.
Schon 1913 erschien ein erstes Bühnenwerk, 1924 das Drama "Wer weint um Juckenack". Seine Hauptfigur, ein Sekretär bei der Staatsanwaltschaft namens Juckenack, überlebt einen Herzanfall und stellt fest, dass es niemanden gibt, der ihn betrauert hätte, wäre es sein Tod gewesen. Nun macht er sich auf die Suche nach einem Menschen, der ihm wahre Liebe entgegenbringt. Sein Weg, am Ende stirbt er nicht erlöst, macht Juckenack zur tragikomischen Figur.
Durch den "Juckenack" wurde Rehfisch auch außerhalb Deutschlands bekannt, Figur und Handlung dürften in Europa eine Stimmung angesprochen haben, in der zahllose Menschen nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Gefühl biografischer Brüche und vergeblicher Bemühungen um einen Halt in der Welt zu kämpfen hatten.
Seit 1923 arbeitete Rehfisch zudem als Syndikus einer Filmgesellschaft, bis 1925 als Anwalt in Berlin. Schließlich konnte er von der Bühnen- und Filmkunst leben.
Rehfisch wurde Mitarbeiter des berühmten Erwin Piscator (1893–1966), seine teils sozialkritischen Stoffe spielten manchmal mit Gegenständen oder Personal aus der juristischen Sphäre, mitunter betreffen sie das Unrecht unmittelbar.
Zusammen mit dem kommunistischen Theater-Autor Wilhelm Herzog (1884–1960) schrieb Rehfisch das Stück "Die Affäre Dreyfus" zum wohl berühmtesten Justiz- und Politikskandal Frankreichs. 1929 an der Berliner Volksbühne uraufgeführt, war zwei Jahre später eine Inszenierung des "Dreyfus" auch in Paris geplant – diese scheiterte jedoch an Boykott-Aktionen der rechtsextremen französischen Action française.
Das Stück sollte es Rehfisch einige Jahre später erleichtern, seine Flucht aus dem Reich des nationalsozialistischen Terrors nach London fortzusetzen.
Von Wien nach London mit "Dreyfus" im Gepäck
Nach der Machtübergabe an Hitler, am 30. Januar 1933, geriet der in linken Kreisen verkehrende Theatermann Rehfisch in Haft, floh nach seiner Entlassung zunächst nach Wien, wo er – dank Begabung und Kontakten – in seinem Metier relativ gut zurechtkam.
Für Liberale, Sozialdemokraten und erst recht für politische Haltungen weiter links wird aber auch Österreich zu einem heiklen Aufenthaltsort, denn nach dem Scheitern der parlamentarischen Demokratie übernimmt dort das autoritäre Regime unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß (1892–1934) die Führung – das Ganze firmiert als antiliberaler Ständestaat katholischer Färbung. Nach dessen Ermordung, im Rahmen eines nationalsozialistischen Putschversuchs, kommt bis zur Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich im Jahr 1938 der ebenfalls christsoziale Jurist Kurt Schuschnigg (1897–1977) an die Regierung.
Wie es kritischen Köpfen jüdischer Herkunft in den Tagen und Wochen nach dem "Anschluss" vom 12./13. März 1938 ergeht, zeigt der Fall eines Partners und Kollegen von Rehfisch in Wien: Rudolf Beer (1885–1938), einer der bedeutendsten Theaterleute der Stadt in der Zwischenkriegszeit, wurde nach dem Einmarsch deutscher Truppen aus der Aufführung eines klassischen Stücks gezerrt – von nationalsozialistischen österreichischen Theaterleuten –, mit einem Auto in den Wienerwald gebracht, dort schwer misshandelt zurückgelassen. Keine zwei Monate später nahm sich Beer in seiner Wohnung das Leben.
Hans J. Rehfisch war es hingegen, nicht zuletzt dank seines Justiz- und Politikdramas "Dreyfus" spätestens im Jahr 1937 gelungen, aus der künftigen NS-Hölle Österreich nach Großbritannien weiterzuziehen.
Denn Gilbert Miller (1884–1969), einem amerikanischen Impresario – heute spricht man eher von Produzenten – war das Kunststück gelungen, den führenden, sogar etwas gefürchteten britischen Theaterkritiker James Agate (1877–1947) dafür zu gewinnen, Rehfischs "Dreyfus"-Stück ins Englische zu übersetzen. Das war ungewöhnlich, weil Agate derartige Arbeiten bis dahin nicht übernommen hatte und der traditionsbewusste britische Theaterbetrieb die Werke von Flüchtlingen durchaus nicht mit offenen Armen aufnahm.
Vier Jahrhunderte Kampf gegen Unterdrückung in Deutschland
Die Aufnahme deutscher und österreichischer Flüchtlinge im Vereinigten Königreich gestaltete sich insgesamt nicht freundlich. Nach der britischen Kriegserklärung vom 3. September 1939 wurden auch NS-Gegner bis auf Weiteres als feindliche Ausländer betrachtet und in großer Zahl interniert, teils in die überseeischen Staaten der Krone, etwa Kanada und Neuseeland, verbracht. Hans J. Rehfisch blieb auf der Insel und engagierte sich in den Zirkeln der NS-Opposition im Exil, 1943 war er Gründungsmitglied des "Club 1943".
Auch im Ausland stand die Streit- und Spaltungslust der Intellektuellen nicht still. Während Teile des deutschen Exils in London unter der Kuratel des u. a. in der Geschichte der Atom-Spionage berühmten späteren DDR-Ökonomen Jürgen Kuczynski (1904–1997) standen, betrieb man im "Club 1943" das Geschäft einer etwas mehr vergeistigten Opposition.
Zu den bleibenden Werken des "Clubs", der bis ins Jahr 2011 zusammenkam, gehört eine 1944 in englischer Sprache herausgebrachte Aufsatzsammlung "In Tyrannos. Vier Jahrhunderte Kampf gegen Unterdrückung in Deutschland".
Den britischen Gastgebern wollten die Verfasser einen Eindruck von einem besseren Deutschland geben. Hans J. Rehfisch trug u. a. einen biografischen Essay bei: "Ulrich Hutten und die Humanisten". Seinem Porträt des kirchenkritischen Renaissance-Publizisten Ulrich von Hutten (1488–1523) stellte Rehfisch eine bissige Skizze zum Wirken von Johannes Reuchlin (1455–1522) voran – dieser bedeutende Philosoph und Jurist hatte sich für die Rezeption der hebräischen Quellen, gegen die Vernichtung jüdischer Schriften eingesetzt und war der "Star" einer der ersten publizistischen Kontroversen, die in Deutschland ein größeres Publikum fanden: den "Dunkelmännerbriefen". Bei Rehfisch werden die Reuchlin-Anhänger des 16. Jahrhunderts zu den "Dreyfussards" der Renaissance.
Rehfisch schildert im Jahr 1944 diese 400 Jahre zurückliegenden Kämpfe also lebendig mit Mut zur heiteren Vereinfachung, etwas anachronistisch wie die berühmte "Kulturgeschichte der Neuzeit" von Egon Friedell (1878–1938).
Eine deutsche Ausgabe von "In Tyrannos" erschien erst im Jahr 2004, überhaupt nur dank der Arbeit des Journalisten Jens Brüning (1946–2011).
Zurück auf die Bühne der Justiz
1950 nach Deutschland zurückgekehrt, hatte Rehfisch bis zu seinem Tod im Jahr 1960 noch einigen Erfolg mit Drehbüchern, historischen Romanen und Theaterstücken.
Als künstlerischen Gutachter finden wir Rehfisch erwähnt im Fall "Gasparone", einem Rechtsstreit um die urheberrechtlichen Ansprüche zu seinerzeit recht populären Opern- bzw. Operetten-Liedern: Während die jüdischen Urheber ins Exil geflohen waren, hatten inländische "Kunstschaffende" weiter am gegebenen Material gearbeitet – das ergab nicht unbedingt tiefe Brauntöne, aber doch die übliche urheberrechtliche Grauzone (vgl. Bundesgerichtshof, Urt. v. 30.01.1959, Az. I ZR 82/57).
Diese gutachterliche Expertise und die Konjunktur verwaister Rechte mochte zu einer weiteren Nachkriegsleistung beigetragen haben: Rehfisch stand seit 1955 der Gesellschaft zur Verwertung literarischer Urheberrechte vor, heute übernimmt die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort die Aufgabe, den Angehörigen der schreibenden Zunft einen Anteil an der ökonomischen Wertschöpfung des Verlagsbetriebs zu sichern.
Den wenigsten der 300.000 Menschen und juristischen Personen, die heute zur VG Wort zählen, dürfte der abenteuerliche Lebensweg dieses "founding fathers" bekannt sein.
Der Jurist Hans José Rehfisch: . In: Legal Tribune Online, 03.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52612 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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