Juristische Grenzwissenschaften: Ein bescheidenes Lob der Gewalt

von Martin Rath

06.01.2013

2/3: Erbauliche Sammlung einfachster Kommunikationsstrategien

Bei der Doktrin der "Gewaltfreien Kommunikation" handelt es sich nun, wenn das genannte "Hauptwerk" als Zeugnis genügen darf, um eine erbauliche Sammlung einfachster Kommunikationsstrategien, die als Angebot für die Lösung aller zwischenmenschlichen Konflikte freilich etwas einfältig wirkt. Ein Beispiel liest sich wie folgt:

"Statt anderen Leuten die Schuld für unsere Gefühle zu geben, akzeptieren wir unsere Verantwortung, indem wir unsere Bedürfnisse, Wünsche, Werte oder Gedanken erkennen und akzeptieren. Achten Sie auf die Unterschiede zwischen den nun folgenden Beschreibungen einer Enttäuschung: […] A: ‚Du hast mich enttäuscht, weil du gestern abend nicht gekommen bist.‘ B: ‚Ich war enttäuscht, als du nicht gekommen bist, weil ich ein paar Dinge mit dir besprechen wollte, die mir Sorgen machen.‘"

Die "Gewaltfreie Kommunikation nach Marschall B. Rosenberg" besteht aus vier Komponenten: Beobachten, "was in einer Situation tatsächlich geschieht" verbunden mit der "Kunst", "unsere Beobachtung dem anderen ohne Beurteilung mitzuteilen". Sodann: "Gefühle … sprechen wir aus, wie wir uns fühlen, wenn wir diese Handlung beobachten." – "Im dritten Schritt sagen wir, welche Bedürfnisse hinter diesen Gefühlen stehen." Schließlich soll im vierten Schritt der Kontrahent mit einer Bitte dazu gebracht werden, etwas zu tun, das "unser beider Leben schöner macht".

Universale Einsetzbarkeit der GFK

Rosenberg gibt einige Beispiele für den Einsatz der "GFK", in teils rechtlich relevanten Falllagen. Dem Häftling eines schwedischen Gefängnisses will er etwa bei der Analyse seiner Aggressionsprobleme geholfen haben. Auf die Frage nach den Umständen seiner Wut befragt, habe der Häftling geantwortet:  "Vor drei Wochen habe ich bei der Gefängnisleitung einen Antrag eingereicht, und sie haben darauf nicht geantwortet." Der US-amerikanische Berater will dem Häftling nun beigebracht haben, dass dies nur eine Beschreibung des "Anlasses" seiner Wut, nicht aber ihrer "Ursache" gewesen sei. Das Zerlegen von Konflikten in vermeintliche "Anlässe" und angeblich "eigentliche Ursachen" ist eines der propagierten Universalprinzipien "Gewaltfreier Kommunikation". Der Jurist würde hier wohl eher nach amtlicher Abhilfe binnen angemessener Frist fragen.

Eine geradezu slapstickartige Wundergeschichte zur Wirkungsmacht "Gewaltfreier Kommunikation" spielt sich in einer Palästinensersiedlung bei Betlehem ab. Rosenberg hält einen Vortrag zu seiner Doktrin, wird aber von einem arabischen Zuhörer als "Mörder" beschimpft, weil er US-Bürger ist und einige Tränengasgranaten, die unlängst im Dorf Verwendung durch die Besatzungsmacht gefunden hatten, erkennbar aus US-amerikanischer Produktion stammten. Dem schimpfenden Palästinenser begegnet Rosenberg mit der Frage, ob die US-Regierung das Tränengas besser anderenorts hätte einsetzen sollen, worauf der Araber mit dem Wunsch nach Kanalisation für sein Dorf kontert – was so weitergeht, bis der amerikanische Dozent als Gast in der palästinensischen Familie aufgenommen wird.

"Und, was soll dieser sozialtechnologische Quark?"

Eine wichtige Technik der "Gewaltfreien Kommunikation" ist das so genannte Paraphrasieren. Wenn Sie, lieber Leser, verehrte Leserin dieses LTO-Feuilletons also gerade laut denken sollten: "Dieser esoterische Quark irgendeines US-Gelehrten hat doch nichts mit dem deutschen Recht zu tun!", würde ich Ihnen antworten: "Sie fragen sich gerade, was dieser Artikel mit dem deutschen Recht zu tun hat? Darauf möchte ich Ihnen antworten mit…."

…der sicherlich simplen Erkenntnis, dass das paraphrasierende Aufnehmen einer fremden Aggression in eine eigene, fragende Wiedergabe ein ganz nützliches Instrument ist. Juristen lernen das möglicherweise schon als Technik, um im mündlichen Staatsexamen eine kleine Denkpause zu gewinnen. Rechnen Sie also einfach damit, dass Ihnen diese schlichte Technik, andere Menschen den Kakao trinken zu lassen, durch den sie gerade gezogen werden, auch noch einmal als wertvolle Kunst der Mediation verkauft werden wird.

Eingebettet sind solche etwas einfältigen Kommunikationstechniken übrigens in ein Weltbild, in dem die Vorstellung, dass "bestimmte Handlungen Lob und andere Strafe verdienen", als "lebensentfremdete Kommunikation" gilt. Ein juristischer Berater müsste demnach beispielsweise einem an seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht beschädigten Klienten vermitteln, dass er seinem Gegner den Schriftsatz über strafbewehrte Unterlassung nebst Kostennote und/oder Schadensersatzforderung nicht etwa ins Haus schicken dürfe, weil der andere diese Sanktion "verdient", sondern um moralisch zu wachsen, im O-Ton Rosenbergs: "Ich bin davon überzeugt, daß Menschen sich ändern, aber nicht, um Strafen zu entgehen, sondern weil sie sehen, daß eine Veränderung ihnen selbst nutzt."

Zitiervorschlag

Martin Rath, Juristische Grenzwissenschaften: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7910 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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