Die Bewertung politischer, vor allem "geheimer" Gruppen als staatsgefährdend liegt heute in der Verantwortung der Verfassungsschutzämter. Mit dem Tatbestand der Geheimbündelei gab es bis 1968 für die Justiz noch eine eigene Perspektive.
Mit der Firma "Verfassungsschutz" konnte der langjährige Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart Richard Schmid nicht viel anfangen. Diesen Geheimdienst "mit dem Begriff und Wort Verfassungsschutz zu etikettieren", sei ein "genialer Einfall" gewesen. "Genial im Sinne moderner Werbung und Verpackung." Die Bezeichnung sei eine Täuschung der Öffentlichkeit: "Das Verhältnis der Ämter zur Verfassung ist etwa so problematisch wie im Dritten Reich das Verhältnis der Kulturkammer zur Kultur."
Dieses harte Urteil traf Schmid im Jahr 1965 in der Zeit. Nach dem Ausscheiden aus seinem Stuttgarter Amt fand Schmid als liberale Stimme der westdeutschen Öffentlichkeit einige Aufmerksamkeit.
Doch äußerte sich hier keine klassische Pensionärs-Tapferkeit. Vielmehr hatte Schmid selbst zu spüren bekommen, was es heißt, vom Staat für politische Kriminalität strafverfolgt zu werden: Nach konspirativer Tätigkeit im sozialistischen Widerstand gegen das NS-Regime war Schmid im Jahr 1940 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Nach der Haftentlassung verdingte sich der vormalige Rechtsanwalt als Landarbeiter. Erst 1945 begann Schmids Nachkriegslaufbahn als Generalstaatsanwalt des Landes Württemberg-Baden, 1953 bis 1964 amtierte er als Präsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts.
"Demokratischer Frauenbund" als Staatsgefährdung
Einen anderen für diese Zeit ganz typischen Fall politischer Kriminalität hatte der Bundesgerichtshof (BGH) 1964 zu entscheiden. Das Landgericht (LG) Lüneburg hatte zuvor zwei Frauen zu jeweils zehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie in den Jahren 1950 bis 1957 als "führende Spitzenkräfte im Landessekretariat Niedersachsen der kommunistisch gesteuerten Massenorganisation "Demokratischer Frauenbund Deutschlands' (DPD)" tätig gewesen waren.
Einschlägig war, teils in Idealkonkurrenz, eine beeindruckende Reihe von Delikten: Rädelsführerschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung nach dem alten § 90a Strafgesetzbuch (StGB), Geheimbündelei als Vorsteher (§ 128 StGB), Beteiligung an einem Untergrundverein als Rädelsführerinnen (§ 129 Abs. 1 und 2 StGB) und, nach dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Zuwiderhandlung gegen das KPD-Verbot, §§ 42, 47 Bundesverfassungsgerichtsgesetz.
In der sowjetischen Besatzungszone, dann in der DDR war der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DPD) als eine der großen Massenorganisationen tätig. In der feministischen Geschichtserzählung der Gegenwart wird sein Einfluss, etwa auf die frühe Entschärfung des Abtreibungsstrafrechts, mitunter ein bisschen apologetisch überliefert. Die westdeutschen DPD-Aktivistinnen äußerten sich indes nicht nur zu rechts- oder sozialpolitischen Anliegen, was dem Minimalkonsens der klassischen, auch bürgerlichen Frauenrechtsbewegung entsprochen hätte. Hinzu kam die Beteiligung an Kampagnen gegen die Schaffung westdeutscher Streitkräfte, während an der Nationalen Volksarmee der DDR und ihren Vorstufen naturgemäß keine Kritik laut wurde.
BGH 1964: Publizistische Arbeit genügt für Einstufung als kriminelle Vereinigung
Nach Feststellungen des LG Lüneburg wirkten die niedersächsischen DPD-Funktionärinnen mittels ihrer Organisation mit am Bestreben der KPD und SED, das Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland zu zerstören, um der "Diktatur des Proletariats" den Boden zu bereiten.
Im Wesentlichen sei diese kommunistische "Zersetzungs- und Wühlarbeit" jedoch nur publizistisch erfolgt, durch Verbreitung des DPD-Magazins "Lernen und Handeln". In diesem seien "die Bundesregierung und ihre Mitglieder fortlaufend und planmäßig als Kriegstreiber, Imperialisten, Faschisten, als volksfeindlich, jugendfeindlich und kinderfeindlich, als brutal, skrupellos, unmenschlich, lügnerisch, verantwortungslos und verfassungsfeindlich geschmäht und angeprangert worden".
Der Regierung Adenauer war unterstellt worden, sie "trete die Grundrechte mit Füßen, treibe Kriegspolitik, gehe mit brutalem Terror gegen friedliebende Frauen und Mütter vor und zu offenen faschistischen Terrormethoden über. Ihre Unmenschlichkeit und Brutalität finde nur noch im Hitlerfaschismus Beispiele".
Derartige Beleidigungen der Bundesregierung und ihrer Mitglieder hatten nach Auffassung des BGH eine so hohe Frequenz, dass dieser "Hetzfeldzug" die Bewertung des DPD als kriminelle Vereinigung trug (BGH, Urt. 04.02.1964, Az. 3 StR 53/63).
Geheimbündelei: ein antiquiertes Delikt
Meist in Ideal-, seltener in Realkonkurrenz oder ganz allein zur Anklage kam der Vorwurf der Geheimbündelei, strafbar nach dem alten § 128 Abs. 1 StGB. Altertümlich hieß es: "Die Theilnahme an einer Verbindung, deren Dasein, Verfassung oder Zweck vor der Staatsregierung geheim gehalten werden soll, oder in welcher gegen unbekannte Obere Gehorsam oder gegen bekannte Obere unbedingter Gehorsam versprochen wird, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis zu sechs Monaten, an den Stiftern und Vorstehern der Verbindung mit Gefängniß von einem Monat bis zu einem Jahre zu bestrafen."
Der Tatbestand ging auf jene Zeit zurück, als die deutschen Fürsten in Furcht vor der großen Französischen Revolution von 1789 und ihren erst liberalen, dann sozialistischen oder anarchistischen Nachfolgeveranstaltungen lebten. Das Ganze wirkt zunächst vielleicht wie ein romantisches Mantel-und-Degen-Delikt, das verübt wird, indem sich staatsfeindliche – und das hieß bis 1918/19 natürlich regierungsfeindliche – Kräfte zur geheimnisvollen Eidgenossenschaft verschwören.
Die Rechtsprechung benötigte jedoch keine im Kerzenschein mit frisch gezapftem Blut unterschriebenen Verpflichtungserklärungen, es genügte die nachhaltig bewiesene Teilnahme an einer geheimen Gesellschaft, die belegte, dass der Täter "seinen Willen der Verbindung unterordnet und in fortdauernder Weise für ihre Zwecke tätig wird oder tätig werden will".
Diesen Anforderungen genügte beispielsweise nach Auffassung des BGH ein Urteil des Landgerichts Bamberg vom 31. Januar 1961 noch nicht ganz. Die fränkischen Richter hatten den Angeklagten wegen Geheimbündelei zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Die möglicherweise geheimen Hintermänner in der DDR hatten sie jedoch nicht durch das Bundesamt für Verfassungsschutz identifizieren lassen. Auf den ersten Blick, ohne geheimdienstlich bestätigte "unbekannte Obere", hatte der Angeklagte nur den Fehler gemacht, in Bayern für die Teilnahme an einer Landwirtschaftsmesse in Leipzig zu werben (BGH, Urt. 05.07.1961, Az. 3 StR 17/61).
Sportfunktionäre und "Stimmzettel"-Verteiler im Fokus der Justiz
Sechs Monate Gefängnis unter anderem wegen Geheimbündelei hatte hingegen ein Sport-Funktionär aus der DDR zu verbüßen, der vom Landgericht Karlsruhe mit Urteil vom 5. August 1960 verurteilt wurde. Es wurde unterstellt, dass der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB), also die nur so genannte Gewerkschaftsorganisation der DDR, einen beherrschenden Einfluss auf den DDR-Sportbetrieb einnehme und auch der westreisende Angeklagte klandestine politische, nicht rein sportliche Ziele verfolgt habe.
Der Beweis dieser Machenschaften wurde u. a. mit einem Zitat aus dem offiziösen "Jahrbuch der DDR 1959" geführt, in dem es hieß: "Der Sportverkehr mit Westdeutschland der dem Gedankenaustausch über den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland, der Annäherung der beiden Teile Deutschlands, der Zurückdrängung des imperialistischen Einflusses und dem sportlichen Vergleich der Vertreter aus beiden deutschen Staaten dient, hat im Laufe des Jahres 1958 …". Damit ließ sich die Reisetätigkeit des DDR-Sportfunktionärs als die eines "FDGB-Instrukteurs im Rahmen der West-Arbeit des FDGB" belegen – und diese wiederum galt als Beitrag dazu, die Bundesrepublik Deutschland unter "fremde Botmäßigkeit" zu zwingen (BGH, Urt. v. 06.03.1961, Az. 3 StR 3/61).
Fanden sich jedoch keine Hinweise auf klandestine Machenschaften, z. B. Zitate aus DDR-Publikationen, war die Beweisführung in Geheimbündelei-Strafsachen durchaus anspruchsvoll. Beispielsweise hob der BGH mit Urteil vom 5. Mai 1954 (Az. 6 StR 28/54) eine Entscheidung des LG Lüneburg auf: Der Angeklagte hatte in der niedersächsischen Stadt sogenannte Stimmzettel verteilt, die zur Teilnahme an der "Volksbefragung gegen die Remilitarisierung und für den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951" warben. Ein Vorgang, der von der Bundesregierung als Akt der stalinistischen Propaganda verboten worden war. Der BGH monierte, dass das Landgericht nicht belegt hatte, in welcher Weise die "Verbindung" für die sogenannte Volksbefragung geheim gehalten worden sei, und verwies die Sache zurück.
1968 – ein Wendejahr des Staatsschutzbetriebs
Durch Artikel 2 Nr. 8, 10 Abs. 1 des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes vom 25. Juni 1968 wurde der altertümliche Tatbestand der Geheimbündelei zum 1. August 1968 gestrichen. Dieses Artikelgesetz formte überhaupt die Staatsschutzdelikte erheblich um und modernisierte den sogenannten staatlichen Strafanspruch, indem etwa ein neuer Tatbestand des Friedensverrats eingeführt (§ 80 StGB) und der Hochverratstatbestand gestrafft wurde.
Seither ist die bloße Teilnahme an oder Bildung einer auf irgendwelche, auch politische Zwecke verschworenen Gruppe, die sich vor den Augen der "Staatsregierung" verbirgt, schlimmstenfalls eine Sache für den Verfassungsschutz und für die publizistische Öffentlichkeit. Denn der Geruch von "Mantel und Degen"-Romantik sticht nach wie vor den Freunden wie den Feindinnen solcher Kostümveranstaltungen in die Nase.
Nicht zufällig markiert das Jahr 1968 auch eine als Modernisierung des Verfassungsschutzes verstandene Ausweitung seiner Öffentlichkeitsarbeit: Im August 1969 erschien die erste, in der Tradition der Verfassungsschutzberichte stehende Dokumentation der Behörde für das Jahr 1968.
Ob das böse Urteil von Richard Schmid auch noch auf den heutigen Verfassungsschutz passt? Der beharrlich liberale Publizist Horst Meier plädierte beispielsweise 2014 für die Abschaffung der Behörde, wenn auch nicht ohne die ironische Wendung, dies mute "so herzlos an wie die Forderung nach ersatzloser Auflösung des Kinderschutzbundes". Im vergangenen Sommer stieß SZ-Journalist und Jurist Ronen Steinke die Diskussion mit seinem Buch "Verfassungsschutz" wieder an: Auch er ist für eine Abschaffung des Bundesamtes in der heutigen Form; stattdessen plädiert er für eine Eingliederung in die Polizei. Nicht unwesentlichen Anteil an diesem Urteil hat der Fall Hans-Georg Maaßen. Der ehemalige CDU-Politiker hatte die Behörde von 2012 bis 2018 geleitet und wird nun selbst von ihr als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt.
Straftatbestand der Geheimbündelei: . In: Legal Tribune Online, 04.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53795 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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