Drei Fußballspiele zwischen El Salvador und Honduras eskalierten 1969 zum Krieg. Die völkerrechtliche Aufarbeitung dauerte Jahrzehnte. Zwischen Deutschen und Briten hingegen zählte Fußball zu den Friedensphantasien mit militärstrafrechtlicher Relevanz. Zwei Geschichten mit Einschlagskraft, aufbereitet von Martin Rath.
Martialisch urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) am 5. November 1974 über den – wörtlich – "Kampf um den Ball" (Az. VI ZR 100/73). Wie sind Verletzungen zwischen Spielern rechtlich zu bewerten? Der BGH legte fest, dass es zwar "keinem Zweifel" unterliege, dass ein "schuldhaft begangener Verstoß gegen eine dem Schutz des Sportlers dienende Spielregel Schadensersatzverpflichtungen auslöst, wenn dadurch der Sportler verletzt wird."
Indes mauerte der BGH gegenüber verletzten Fußballern, als sei der Zivilprozess ein Strafraum: Mit dem Eintritt unvermeidbarer Verletzungen rechne jeder Spieler und gehe auch davon aus, dass er anderen Schaden zufügen könne. Der Senat lässt es nicht mit der Feststellung genügen, dass mit "einem dennoch erhobenen Schadensersatzanspruch [...] sich der Verletzte in rechtlich unzulässigen Widerspruch zu seinem vorhergehenden Verhalten setzen [würde]."
Haftungsfreistellung: Recht martialisch
Aus dem Verbot des Selbstwiderspruchs zogen die BGH-Richter zudem noch die Folge, dass es bei Verletzungen auf dem Spielplatz nicht genüge, nach § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) das Mitverschulden abzuwägen. Geboten sei eine "vollständige Haftungsfreistellung" bei Schäden im Rahmen des regelgerechten Spiels.
Das kampfkraftstärkende Urteil des BGH stammt aus dem Jahr 1974. Wenn "die Politik" heute immer wieder im Internet einen "rechtsfreien Raum" entdecken will, fragt sich, warum sie jedenfalls rechtsdurchsetzungsarme Räume durch den Bau öffentlicher Bolzplätze jahrzehntelang gefördert hat.
4 Tage Fußballkrieg – 40 Jahre Völkerrechtsgeschäft
Immerhin, der Schaden ist hierzulande begrenzt. Gegen das "Rowdytum" ringsum gibt es die Polizei. Ernsthafte Schäden hatte hingegen der sogenannte "Fußballkrieg" zur Folge, dessen heiße Phase auf die vier Tage zwischen dem 14. und 18. Juli 1969 fiel. Es starben über 2.000 Menschen, Soldaten und Zivilisten, als nach drei Fußballspielen zwischen den Mannschaften von El Salvador und Honduras ein kurzer Krieg zwischen den beiden mittelamerikanischen Republiken ausbrach, der völkerrechtlich erst 1980 mit einem Friedensvertrag beendet wurde.
Der polnische Journalist Ryszard Kapuscinski (1932-2007) war 1969 vor Ort und hat eine Reportage über den "Fußballkrieg" geschrieben. Gespielt wurde im Ausscheidungswettkampf um die Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko. Zum ersten Spiel reiste die Mannschaft El Salvadors nach Tegucigalpa an. In ihrem Hotel fand sie nicht zur Ruhe, weil die honduranischen Fußball-Enthusiasten nachts einen Heidenlärm veranstalteten. Das Spiel am 8. Juni 1969 verlor die müde Mannschaft El Salvadors mit 0:1. In letzter Minute fiel das Siegestor, so Kapuscinski, zugleich sprang "in Salvador [...] ein Mädchen namens Amelia Bolanios vom Fernseher auf, lief zum Schreibtisch seines Vaters, der dort eine Pistole verwahrte, und entleibte sich durch einen Schuß in die Brust".
Beim Rückspiel in der Hauptstadt von El Salvador, eine Woche später, erging es der honduranischen Mannschaft nicht besser. Die Berichterstattung über den Tod der Amelia Bolanios nebst Staatsbegräbnis für die "Nationalheldin" hatte das Klima erhitzt. Rowdies warfen die Fenster des Mannschaftshotels ein, tote Ratten flogen. Ins Stadion ging es nur unter militärischem Schutz. Die honduranische Flagge brannte, das Spiel ging 3:0 zu Ungunsten der Honduraner aus. Ein drittes Spiel fand auf neutralem Grund in Mexiko statt.
Im Juli 1969 marschierten salvadorianische Truppen in Honduras ein. Aus altersschwachen Flugzeugen wurden Bomben abgeworfen. Bettelarme Soldaten standen auf beiden Seiten. Auf Vermittlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) kam nach vier Tagen ein Waffenstillstand zustande. Ein Friedensvertrag beendete den Krieg formal erst am 30. Oktober 1980.
Politikwissenschaftler führen die Spannungen auf die soziale Schieflage zwischen den Ländern zurück. Die honduranische Oberschicht habe den besitzlosen Bauern Ackerland verschaffen wollen, ohne ihre eigenen Latifundien schmälern zu wollen. Darum habe sie auf Flächen zurückgegriffen, die salvadorianische Einwanderer – ohne Eigentumstitel – urbar gemacht hatten. 300.000 Salvadorianer wurden darum aus Honduras ausgewiesen.
Überall nur "soft laws"
Juristen können hier einen Mangel an verrechtlichten Sozialbeziehungen erkennen: Gegen wie viele Rechte verstößt ein Ausweisungsbeschluss über 300.000 Menschen, der binnen kürzester Frist umgesetzt werden soll? Warum ging die Staatsgewalt nicht effektiv gegen Landfriedensbrüche vor den Mannschaftshotels vor? Wie kommt eine angeblich vom Fußballwahn befallene Suizidentin zu einem offiziellen Staatsbegräbnis, statt zu postmortalem Persönlichkeitsschutz durch höfliches Verschweigen der Fußballpsychose?
Statt dessen "Soft law" allenthalben: Beim zähen, sich elf Jahre hinziehenden "Friedensprozess", der 1980 in Lima mit dem Vertrag zwischen El Salvador und Honduras endete, blieb es nicht. Noch im Dezember 2003 war der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag mit den beiden Staaten beschäftigt.
Ihre Grenzen hatten Honduras und El Salvador bis dahin nicht abschließend gezogen – und haben es offenbar bis heute nicht, nimmt man den obskuren Tatbestand zum Maßstab, in dem der IGH vor neun Jahren schlichtete: Ein Stück Land sowie die Seegrenze zwischen den Staaten war umstritten, weil ein Grenzfluss womöglich zum falschen Zeitpunkt sein Bett verlassen hatte. Die Regierung von El Salvador hatte dazu einen historischen Expeditionsbericht in einem Seefahrtsmuseum ihrer alten Kolonialmacht Spanien ausgegraben – der Bericht aus dem Jahr 1794 sollte beweisen, dass der Grenzfluss 1762 schon einmal anders geflossen war.
Mit dem "hard law" verbindlicher Grenzverträge oder einer nach Recht und Gesetz handelnden Polizei hätten die Menschen Mittelamerikas ein besseres Leben als mit dem "soft law" von Fußballplatz- oder Völkerrechtsnormen.
Fußballanomie, wo das Recht den Tod brachte
Doch sollte man die staatliche Normdurchsetzung im Vergleich zum "soft law" nicht zu sehr loben. In ihrer Darstellung des in Großbritannien sehr bekannten "Christmas Truce", dem von den Frontsoldaten selbst organisierten Waffenstillstand zum Weihnachtsfest des Jahres 1914, gehen Malcom Brown und Shirley Seaton auch auf die Rolle des Fußballs ein.
Während der Weihnachtstage, dem ersten Fest im Laufe des Ersten Weltkriegs, schwiegen an weiten Strecken der Westfront die Waffen. Britische und deutsche Soldaten tauschten nachweislich Geschenke aus, man sang mit- oder gegeneinander Weihnachtslieder. Im Niemandsland zwischen den Schützengräben soll Fußball gespielt worden sein.
Wahrscheinlich waren es einfache Bolzspiele mit improvisierten Bällen. In der britischen Volksgeschichte war der Erste Weltkrieg jahrzehntelang wesentlich präsenter als in der deutschen. Entsprechend wurde der Fußball-Aspekt dort ausgeschmückt: Dass man friedlich und fair auf einem Fußballfeld miteinander kämpfte, war der schöne Traum der einfachen Soldaten. Kritische Zeitzeugen bemerkten aber, dass im Morast, zwischen Stacheldraht und Granattrichtern, ein semiprofessionelles Spiel kaum möglich gewesen sei.
Wie auch immer: Zu Weihnachten 1915 verbot die Oberste Heeresleitung deutscherseits den basisdemokratischen Waffenstillstand, die britische nicht minder. Ein Blick ins deutsche Militärstrafgesetzbuch (MStGB) von 1872 belegt, dass es für die Soldaten bis zum direkten Verbot nicht zwingend strafbar war, die Waffen ruhen zu lassen und mit dem Feind Fußball zu spielen. So sah zwar beispielsweise § 58 Abs. 1 Nr. 8 MStGB wegen "Kriegsverraths" die Todesstrafe für den Soldaten vor, der "es unternimmt, mit Personen im feindlichen Heer, in der feindlichen Marine oder im feindlichen Lande über Dinge, welche die Kriegführung betreffen, mündlich oder schriftlich Verkehr zu pflegen oder einen solchen Verkehr zu vermitteln". Das kam bei den freundlichen Gesprächen zwischen britischen und deutschen Soldaten vor, wie Brown und Seaton dokumentieren.
Allerdings verlangte die Norm für die Todesstrafe auch den Vorsatz, der "feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder verbündeten Truppen Nachtheil zuzufügen". Diese relative Milde des deutschen Militärstrafrechts war es, die 20 Jahre später den NS-Staat veranlasste, Soldaten wie Zivilbevölkerung unter ein barbarisches, normativ kaum eingehegtes Sonderstrafrecht zu stellen. Schon der Gedanke an Frieden führte zwischen 1939 und 1945 ohne großen Begründungsaufwand zum Justizmord.
Doch zur zweitschönsten Nebensache der Welt: Hitler war sportlich nicht aktiv. Im Gegensatz zu Churchill, der – trotz anderslautender Legende – ein Sportfan gewesen sein soll. Den Hauptverantwortlichen für das barbarische Sonderstrafrecht des Zweiten Weltkriegs und Gefreiten des Ersten Weltkriegs wird also kaum interessiert haben, dass das am besten dokumentierte Spiel zwischen englischen und deutschen Soldaten während des Weihnachtsfriedens von 1914 das übliche Ergebnis brachte:
"(A)nd the Fritzes beat the Tommies 3–2."
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Fußballrechtsgeschichten (2. Folge): . In: Legal Tribune Online, 17.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6406 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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