Während heute viele nicht einmal mehr wissen, wie dieser zweite Donnerstagsfeiertag im Mai/Juni heißt, stand der Fronleichnamstag in Bayern einst für ein zentrales Rechtsproblem. Martin Rath erzählt die Geschichte des militärisch-katholischen Kommandos "Nieder auf die Knie", dem sich auch protestantische Soldaten nicht entziehen konnten.
Glücklicherweise ist der berühmte Gedanke des nicht nur berühmten, sondern auch noch umstrittenen Staatsrechtslehrers Carl Schmitt (1888-1985), wonach alle "prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre … säkularisierte theologische Begriffe" seien, nicht auch auf die Formen und Rituale des modernen Staates zu übertragen. Zwar könnte Bundespräsident Joachim Gauck seine Popularität sicher erheblich steigern, könnte er als säkularisierter deutscher Kaiser durch Handauflegen Hautkrankheiten heilen – eine Fähigkeit, der sich englische und französische Staatsoberhäupter bis circa 1688 beziehungsweise 1825 rühmten.
Aber die Phantasie reicht nicht aus, sich auszumalen, was deutsche Staatsrechtslehrer als juristisches Säkularisat aus dem heutigen Fronleichnamsfest machen müssten. Denn der Sinn des Festes verschließt sich nicht allein den Protestanten: In katholischen Gegenden wird eine geweihte Hostie – als Leib Christi, das "Brot des Lebens" – unter einem Stoffbaldachin durch die Straßen getragen, eingefasst in ein Schau-Gefäß aus Edelmetall, eine Monstranz. Brauchen Juristen dazu einen fachspezifischen Zugang?
In Köln ist zwar eine Schiffsprozession seit 1914 pittoresker Teil der kommunalen Verfassung, ein rechtsrheinischer Stadtteil ließ sich damals den Schutz der "Mülheimer Gottestracht" überobligatorisch vor dem Anschluss an die Nachbarstadt gewährleisten. Aber wohl nur in den südlichen Provinzen Deutschlands erinnern Schützenvereine daran, welche Bedeutung der öffentlich in Szene gesetzte "Leib des Herrn" im bayerischen Militär- und Verfassungsrecht einst spielte.
Andere streiten ums Heiraten…
Flurbereinigungen bringen zusammen, was sich nicht unbedingt zusammengehörig fühlt – so wurden nach der französischen Revolution und Vorherrschaft aus den rund 350 souveränen Gebieten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation die gut 40 Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes von 1815. Auf dem Gebiet des heutigen Freistaats Bayern nicht unbedingt zusammengehörig fühlten sich Protestanten, vor allem im fränkischen Landesteil, angeschlossen an die in Regierung und Verwaltung dominierenden Katholiken. Rechtliche Konflikte konfessionellen Ursprungs kamen damals auch anderenorts auf, im sogenannten Mischehenstreit inhaftierte die preußische Polizei 1837 beispielsweise den Kölner Erzbischof.
Doch im Königreich Bayern begnügte sich die Regierung nicht mit der – in kirchentreuen Augen angemaßten – staatlichen Regelungshoheit auf dem Gebiet eines bald säkularisierten Eherechts, sondern ließ sich noch einen symbolträchtigen Konflikt einfallen. Der königlich-bayerische Innenminister der 1830er-Jahre, ein Carl August von Abel (1788-1859), war – als protestantisch-katholischer Konfessionswechsler ein Scharfmacher in diesen Angelegenheiten. Es zeugt daher vom unübertrefflichen bayerischen Geschichtsbewusstsein, wenn heutige Polizei- und Verfassungsschutzminister in Bayern besonders klare Vorstellungen zu Bürgern haben, die von einem inländischen Kult zum Islam konvertieren. Aber das sei nur am Rande bemerkt.
…Bayern streitet auch ums Knie
"Seine Majestät der König haben Allergnädigst zu beschließen geruht, daß bei katholischen Militär-Gottesdiensten während der Wandlung und beim Segen wieder niedergekniet werden soll." Auf der Grundlage dieser – mitunter von Abel zugeschriebenen – "Kriegs-Ministerial-Ordre" vom 14. August 1838 wurde eine Kaskade von Befehlen, adressiert an die Angehörigen des "Linienmilitärs und der Landwehr" ausgelöst, von der neben den engeren Truppen auch milizionierte Bürger betroffen waren. Der militärisch-katholische Vorgang wird vom protestantischen Kritiker Franz F. C. von Giech (1795-1863) wie folgt beschrieben. Wir stellen uns einen katholischen Gottesdienst anlässlich des königlichen Namenstags vor:
"Nachdem die versammelte Mannschaft in andächtiger Haltung, das Gewehr bei Fuß, bis zum Evangelium gestanden, erscholl, sowie dieses angestimmt wurde, das laute Commandowort zum Präsentieren des Gewehrs und draußen wirbelten die Trommeln, um den übrigen Commandirenden das Zeichen zum nämlichen Commando zu geben.
Als das Evangelium gelesen war, wurde die frühere Haltung kommandirt. Als das Klingeln die nahe Wandlung verkündete", für Nichteingeweihte: die merkwürdige Veränderung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, "wurden zuerst: Präsentiert's Gewehr, und nach einer kleinen Weile: Bei Fuß Gewehr, sowie aber der Priester die Hostie emporhob: Nieder auf die Knie kommandirt, worauf die Soldaten und Offiziere, das rechte Knie auf den Boden gesetzt, den linken Fuß in senkrechter Stellung, die linke Hand an dem Casket und mit der rechten das Gewehr bei dem mittleren Ringe fassend, oder den Degen zur Erde senkend, dem Sanktissimum", dem gegenwärtigen Fleisch und Blut Christi "ihre Anbetung bezeigten, welche Stellung sie bis zur zweiten Verwandlung einnahmen. Das Nämliche geschah zuletzt bei dem Tedeum und dem Segen."
2/2: Abgenötigte Verehrung durch protestantische Streitkräfte
Protestantische Angehörige der bayerischen Streitkräfte konnten der nach katholischer Lehre gewandelten Hostie die anbefohlene Kniebeuge kaum verweigern: "Wenn ein mit Ober- und Untergewehr versehener Soldat, oder irgendein größerer Zug von Soldaten dem Santissimum begegnet, das eben zu einem Kranken getragen oder wie immer" – zum Beispiel im Rahmen einer Fronleichnamskundgebung im gemischtkonfessionellen Gebiet – "herumgetragen wird, so ist vor demselben Front zu machen und die Anbetung auf die oben beschriebene Weise zu leisten."
Die Befehlslage rührte an eine Reihe von verfassungs- und allgemeinrechtlichen Fragen. In der nun bereits ausführlich zitierten Schrift "Die Kniebeugung der Protestanten vor dem Sanctissimum der katholischen Kirche in dem bayerischen Heere und in der bayerischen Landwehr" (Ulm, 1841) setzt sich der kritische Protestant von Giech beispielsweise mit Haarspaltereien auseinander, die man bei entsprechenden Auseinandersetzungen auch heute noch antrifft, beispielsweise der sehr nach Juristendenken klingenden Distinktion, den protestantischen Soldaten werde keine – von Luther verabscheute – Anbetung/Verehrung der Hostie bzw. des "Corpus Christi" abgenötigt, sondern lediglich eine äußere Form ("Salutation"), der sie mit einer Mentalreservation, einem inneren Vorbehalt, begegnen könnten.
Im Zusammenhang mit dem Streit um die "Kniebeugung" wird die Reichweite der staatlichen Polizei- und Organisationsgewalt beziehungsweise der Versammlungs- und Redefreiheit illustriert: Mindestens ein protestantisches "Kirchenparlament", die Generalsynode, wurde 1840 von einem königlichen "Commissarius" an der Beratung der Knie-Frage gehindert, weil diese keine "innere, sondern ausschließlich eine äußere Kirchenangelegenheit" sei.
Die naheliegende, aber umstürzlerische Frage nach der "Kompetenzkompetenz" (Edmund Stoiber feat. deutsche Staatslehre) des Königs von Bayern stellte der kritische Protestant von Giech zwar nicht, immerhin zog er die Kompetenz des bayerischen Innen- und des Kriegsministeriums in Zweifel, die theologischen Details verbindlich zu deuten, um damit königstreu-katholisch zu subsumieren.
Zurück in die Gegenwart
Nachdem der königliche Kompetenzkompetenzinhaber den "Kniebeuge"-Befehl seit den 1840er-Jahren scheibchenweise zurückgenommen hatte – es heißt gelegentlich, man habe die untergeordneten Offiziere noch in den 1890er-Jahren daran erinnern müssen, die Protestanten nicht zu gottesdienstlicher Gymnastik zu zwingen – und von den bayerischen Streitkräften und Bürgermilizen nur noch Schützenvereine übriggeblieben sind, sich also auch kaum uniformierte Bürger finden, die sich zum Kniefall zwingen lassen könnten, hat das öffentliche Vorzeigen der transsubstantiierten Hostie natürlich ein wenig an rechtlichem Reiz verloren.
Es heißt zwar, dass man heute in Bayern darüber streitet, ob die Schützenvereine bei den Fronleichnamsprozessionen überhaupt noch bewaffnet antreten dürfen, aber das ist juristisch schon ein harmloseres Kaliber als eine Knie-Frage.
Der nichtkatholische Teil Deutschlands, in dem am Donnerstag gearbeitet werden muss, darf sich immerhin fragen, warum Katholikinnen und Katholiken gemäß Art. 139 der Reichsverfassung von 1919 einen Tag mehr zur "seelischen Erhebung" genießen dürfen. Vielleicht muss man den Knien ausführlich Erholung gönnen.
Martin Rath, Fronleichnam: Streit ums Knie . In: Legal Tribune Online, 19.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12294/ (abgerufen am: 01.07.2024 )
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