2/2: Abgenötigte Verehrung durch protestantische Streitkräfte
Protestantische Angehörige der bayerischen Streitkräfte konnten der nach katholischer Lehre gewandelten Hostie die anbefohlene Kniebeuge kaum verweigern: "Wenn ein mit Ober- und Untergewehr versehener Soldat, oder irgendein größerer Zug von Soldaten dem Santissimum begegnet, das eben zu einem Kranken getragen oder wie immer" – zum Beispiel im Rahmen einer Fronleichnamskundgebung im gemischtkonfessionellen Gebiet – "herumgetragen wird, so ist vor demselben Front zu machen und die Anbetung auf die oben beschriebene Weise zu leisten."
Die Befehlslage rührte an eine Reihe von verfassungs- und allgemeinrechtlichen Fragen. In der nun bereits ausführlich zitierten Schrift "Die Kniebeugung der Protestanten vor dem Sanctissimum der katholischen Kirche in dem bayerischen Heere und in der bayerischen Landwehr" (Ulm, 1841) setzt sich der kritische Protestant von Giech beispielsweise mit Haarspaltereien auseinander, die man bei entsprechenden Auseinandersetzungen auch heute noch antrifft, beispielsweise der sehr nach Juristendenken klingenden Distinktion, den protestantischen Soldaten werde keine – von Luther verabscheute – Anbetung/Verehrung der Hostie bzw. des "Corpus Christi" abgenötigt, sondern lediglich eine äußere Form ("Salutation"), der sie mit einer Mentalreservation, einem inneren Vorbehalt, begegnen könnten.
Im Zusammenhang mit dem Streit um die "Kniebeugung" wird die Reichweite der staatlichen Polizei- und Organisationsgewalt beziehungsweise der Versammlungs- und Redefreiheit illustriert: Mindestens ein protestantisches "Kirchenparlament", die Generalsynode, wurde 1840 von einem königlichen "Commissarius" an der Beratung der Knie-Frage gehindert, weil diese keine "innere, sondern ausschließlich eine äußere Kirchenangelegenheit" sei.
Die naheliegende, aber umstürzlerische Frage nach der "Kompetenzkompetenz" (Edmund Stoiber feat. deutsche Staatslehre) des Königs von Bayern stellte der kritische Protestant von Giech zwar nicht, immerhin zog er die Kompetenz des bayerischen Innen- und des Kriegsministeriums in Zweifel, die theologischen Details verbindlich zu deuten, um damit königstreu-katholisch zu subsumieren.
Zurück in die Gegenwart
Nachdem der königliche Kompetenzkompetenzinhaber den "Kniebeuge"-Befehl seit den 1840er-Jahren scheibchenweise zurückgenommen hatte – es heißt gelegentlich, man habe die untergeordneten Offiziere noch in den 1890er-Jahren daran erinnern müssen, die Protestanten nicht zu gottesdienstlicher Gymnastik zu zwingen – und von den bayerischen Streitkräften und Bürgermilizen nur noch Schützenvereine übriggeblieben sind, sich also auch kaum uniformierte Bürger finden, die sich zum Kniefall zwingen lassen könnten, hat das öffentliche Vorzeigen der transsubstantiierten Hostie natürlich ein wenig an rechtlichem Reiz verloren.
Es heißt zwar, dass man heute in Bayern darüber streitet, ob die Schützenvereine bei den Fronleichnamsprozessionen überhaupt noch bewaffnet antreten dürfen, aber das ist juristisch schon ein harmloseres Kaliber als eine Knie-Frage.
Der nichtkatholische Teil Deutschlands, in dem am Donnerstag gearbeitet werden muss, darf sich immerhin fragen, warum Katholikinnen und Katholiken gemäß Art. 139 der Reichsverfassung von 1919 einen Tag mehr zur "seelischen Erhebung" genießen dürfen. Vielleicht muss man den Knien ausführlich Erholung gönnen.
Martin Rath, Fronleichnam: . In: Legal Tribune Online, 19.06.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12294 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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