Der Strafprozess gegen Claus von Bülow wegen versuchten Mordes an seiner Frau war eines der spektakulärsten Verfahren im Amerika der 1980er Jahre. Nach der Verurteilung zu einer langen Haftstrafe übernahm der Harvard-Professor und Revisionsspezialist Alan Dershowitz die Verteidigung. Wie so letztlich doch der Freispruch gelang, zeigt einer der bemerkenswertesten Streifen der US-Filmgeschichte.
Am 21. Dezember 1980 fiel die Millionenerbin Sunny von Bülow in ein Koma, aus dem sie nie wieder erwachen sollte. Ihre beiden erwachsenen Kinder aus erster Ehe hegten schnell den Verdacht, dass der zweite Mann ihrer Mutter, der adelige Lebemann Claus von Bülow etwas mit diesem Vorfall zu tun haben könnte. Sie beauftragten einen Privatdetektiv und einen Anwalt, Ermittlungen aufzunehmen, und kamen schließlich zu der Überzeugung, dass das (schon zweite) Koma ihrer Mutter durch eine Insulinspritze ausgelöst worden war, die ihr Mann ihr in Tötungsabsicht verabreicht hatte.
Die Staatsanwaltschaft hielt die Beweisergebnisse für überzeugend und klagte Claus von Bülow wegen versuchten Mordes in zwei Fällen an. Am 16. März 1982 sprach ein Geschworenengericht den Angeklagten wegen zweifachen Mordversuchs schuldig. Die Haftstrafe wurde kurz darauf auf dreißig Jahre festgelegt.
Dershowitz und sein Team drehten jeden Stein um
An diesem Punkt beginnen sowohl das Buch "Reversal of fortune" von Alan Dershowitz als auch der darauf basierende Film von Barbet Schroeder. Der schon damals berühmte Harvard-Professor und Strafverteidiger Dershowitz wurde von dem Verurteilten gebeten, seinen Fall zu übernehmen. Dieser willigte ein, weil er das Vorgehen der Familie bei den einseitigen Vorermittlungen für rechtlich fragwürdig hielt.
Dershowitz’ Devise war es, bei der Prüfung des Verfahrens jeden Stein umzudrehen und nichts von vornherein als zugestanden zu akzeptieren. Er bediente sich einer Reihe von ihm bekannten erstklassigen Juristen und rekrutierte zudem die besten seiner Studenten, um diese Mammutaufgabe zu bewältigen. In den Wochen, in der die Revisionsbegründungsfrist lief, machte der Professor aus seinem Haus eine Art Arbeitsfestung, in dem jedes Zimmer einer Gruppe zugeordnet wurde, die sich mit einem rechtlichen oder tatsächlichen Thema beschäftigte.
Die Verteidigung konzentrierte sich aber nicht nur auf die Entdeckung von revisibelen Fehlern des Instanzgerichts, sondern begab sich auch auf die Suche nach neuen Beweismitteln, die belegen sollten, dass Claus von Bülow tatsächlich unschuldig war. Dershowitz ahnte, dass nur in dem Fall die rechtlichen Argumente Gehör finden würden, wenn das Revisionsgericht die Unschuld seines Mandanten zumindest für möglich hielt. Mit dieser Doppelstrategie, die er auch in die Medien verlagerte, gelang es schließlich, die Aufhebung der Verurteilung zu erreichen. Alan Dershowitz hatte seine Aufgabe erfüllt und überließ im zweiten Prozess anderen Verteidigern das Feld, die auch aufgrund der neu gefundenen Beweismittel am 9. Juni 1985 einen Freispruch für Claus von Bülow erreichten.
Fünf Jahre später stand der von Bülow-Prozess noch einmal im Blickpunkt des öffentlichen Interesses, als die Verfilmung des Bestsellers von Dershowitz in die Kinos kam – der deutsche Verleiher verpasste dem Film, der im Original "Reversal of fortune" hieß, mit "Die Affäre der Sunny von B." einen überaus dummen Titel, der so gar nicht zu dem überaus intelligenten Film passt.
Drehbuchautor Nicholas Kazan (Sohn des Regisseurs Elia Kazan) machte aus dem Geschehen ein ebenso kluges wie unterhaltsames Drama über die Möglichkeiten und Grenzen der Wahrheitsfindung und die Frage der juristischen und moralischen Schuld. Regisseur Barbet Schroeder hatte in Ron Silver, Glenn Close und Jeremy Irons, der für sein Porträt von Claus von Bülow mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, eine hochkarätige Besetzung beisammen, die ihren Teil dazu beitragen, dass der Film heute zu den bedeutendsten Vertreter seines Genres gehört.
Die Frage nach der Täterschaft lässt der Film bewusst offen
Was "Die Affäre der Sunny von B." besonders macht, ist der Umstand, dass er an einem Punkt beginnt, an dem die meisten anderen Gerichtsfilme längst geendet haben – nach dem Urteil der Geschworenen. Der Film rückt die Revisionsinstanz ins Zentrum des Geschehens und damit die Frage, wie das erstinstanzliche Urteil zustande kam. Da es sich um ein rein schriftliches Verfahren handelt, ergibt sich schon daraus eine für einen Spielfilm mehr als undankbare Situation. Barbet Schroeder hat diesen Nachteil jedoch mithilfe von vielen Rückblenden und der ungewöhnlichen Arbeitsmethode von Alan Dershowitz und seinem Team wettgemacht. Der Film macht sehr deutlich, wie gut Strafverteidigung als Teamwork funktioniert, so dass Dershowitz nicht als das juristische Genie herüberkommt, sondern als Kapitän einer Mannschaft, bei der jeder eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat.
Es handelt sich somit vermutlich um den ersten herausragenden Justizfilm, der sich ausschließlich mit einem Revisionsverfahren beschäftigt, in dem sich die den Prozess entscheidenden Augenblicke nicht in einem Gerichtssaal, sondern in einer Küche oder auf einem Garagenhof abspielen, auf dem zur Ablenkung einmal Basketball gespielt wird.
Wenn man aber einen Film über ein Strafverfahren dreht, in dem der Angeklagte zunächst zu dreißig Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und dann freigesprochen wird, stellt sich unweigerlich die Frage, ob er die vorgeworfene Tat nun tatsächlich begangen hat oder nicht. Weil diese Frage nur Claus von Bülow selbst beantworten könnte, halten sich die Filmemacher in diesem Punkt zurück. Regisseur Schroeder entschied sich vor Beginn der Dreharbeiten sogar bewusst dagegen, von Bülow persönlich kennen zu lernen: "Ich hatte Angst, dass ich mir bestimmte Vorstellungen machen würde, wenn ich ihn träfe, dass ich zu der Erkenntnis kommen könnte, dass er völlig unschuldig wäre. Und dann könnte mein Film so nicht existieren, denn wenn die Möglichkeit von Schuld in der Vorstellung des Betrachters nicht besteht, wenn der Film also nur von jemandem handelt, der zu Unrecht beschuldigt worden ist – was die Wahrheit sein kann –, dann würde daraus ein langweiliger Film."
So bleibt dieser alles andere als langweilige Film am Ende ambivalent, was die Motive seiner Hauptfigur anbetrifft. "Ich war immer der Ansicht, dass er überhaupt nichts getan hat", drückte der Regisseur seine persönliche Vermutung in einem Interview aus. "Aber das kann man so interpretieren, wie man möchte: Er hat es nicht getan, oder aber es ist etwas passiert und er niemandem darüber informiert." Sunny von Bülow selbst jedenfalls konnte auch später keine Auskunft geben: Sie starb nach fast achtundzwanzig Jahren im Koma am 6. Dezember 2008.
Der Autor Jochen Thielmann ist Fachanwalt für Strafrecht im "Strafverteidigerbüro Wuppertal". Daneben hat er neben regelmäßigen Fachartikeln für Publikationen wie Strafverteidiger, Neue juristische Wochenschrift oder Zeitschrift für Rechtspolitik auch bereits Beiträge über Kinofilme verfasst.
Die Affäre der Sunny von B.: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6230 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag