Die Nazi-Diktatur von 1933 bis 1945 wäre ohne die Unterstützung einer Vielzahl von Juristen nicht denkbar gewesen. Ausgerechnet Hollywood hält mit einer kaum enden wollenden Riege an Stars der deutschen Justiz den wenig schmeichelnden Spiegel vor. Jochen Thielmann erinnert an den "Das Urteil von Nürnberg" und dessen Weltpremiere vor genau fünfzig Jahren in West-Berlin.
Die Nürnberger Prozesse gegen die politische, militärische und wirtschaftliche Elite der Nazi-Zeit umfassten auch die Aburteilungen der Juristen dieser Zeit. Diese verhalfen dem Regime zur gesetzlichen Grundlage für das unmenschliche Treiben und unterstützten sie dabei in der Praxis. Vom März bis Dezember 1947 saßen fünfzehn Juristen auf der Anklagebank, hochrangige Beamte des Reichsjustizministeriums sowie mehrere Staatsanwälte und Richter, die allesamt auf "nicht schuldig" plädierten. Während vier Angeklagte zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, wurden ebenfalls vier Angeklagte in allen Anklagepunkten freigesprochen. Die restlichen erhielten Freiheitsstrafen unterschiedlicher Länge, ein Verfahren wurde aus gesundheitlichen Gründen eingestellt.
Fünfzehn Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs schien in der Bundesrepublik dank des Wirtschaftswunders alles wieder gut zu sein. In den Kinos liefen in erster Linie Schnulzen und Heimatfilme, während Werke über die jüngere deutsche Vergangenheit wie "Die Mörder sind unter uns" oder "Des Teufels General" die absolute Ausnahme bildeten. Der Blick der Menschen richtete sich nur nach vorne und nicht zurück. Während die Nürnberger Prozesse nicht in das kollektive Bewusstsein der Deutschen eingedrungen waren, sollte sich in Amerika der Autor Abby Mann durch seine Bekanntschaft mit einem der damaligen amerikanischen Anklagevertreter des Themas annehmen und ein Drehbuch verfassen, das zunächst Grundlage eines Fernsehfilms wurde.
Eine Handvoll Stars als Garant für Publikumsinteresse
Kurz nach dessen Ausstrahlung begann Hollywood-Regisseur Stanley Kramer mit den Planungen für einen Kinofilm, der auf einem erweiterten Skript basieren sollte. Um das wenig kommerziell anmutende Thema bei den Studio-Verantwortlichen durchsetzen zu können, trommelte Kramer eine Besetzung zusammen, die nicht nur für große schauspielerische Leistungen, sondern in erster Linie für einen Publikumserfolg sorgen sollte: Spencer Tracy als Vorsitzender Richter, Burt Lancaster als der hauptangeklagte deutsche Vorzeigejurist, Richard Widmark als Ankläger, Montgomery Clift und Judy Garland als Zeugen und Opfer der Nazi-Verbrechen. Daneben wurde Marlene Dietrich als Ehefrau eines deutschen Offiziers besetzt und Maximilian Schell wiederholte seine Rolle als Verteidiger aus der TV-Version. Möglich wurde diese Ausnahmebesetzung nur dadurch, dass die Schauspieler für einen Bruchteil ihrer üblichen Gage auftraten, weil sie sich mit den Anliegen des Films identifizieren konnten. Mit dieser scheinbaren Garantie für Publikumsinteresse bekam Kramer grünes Licht für sein "Urteil von Nürnberg" (1961).
Die unabhängige Justiz als Garant des Rechts
Abby Mann konzentrierte sich in den Prozessszenen in erster Linie auf die Themen der Sterilisation und der sog. "Rassenschande". Er vermeidet den moralisch erhobenen amerikanischen Zeigefinger, indem er einerseits die pragmatischen politischen Interessen der Besatzungsmacht im Nachkriegsdeutschland immer wieder aufzeigt und andererseits den dramaturgischen Kniff verwendet, den stärksten Angriff auf das Verhalten der Deutschen im 3. Reich als Selbstanklage der Lancaster-Figur zu formulieren. Regisseur Kramer scheute sich nicht, seinen Zuschauern Adolf Hitler im Originalton vorzuspielen oder Bilder aus den Konzentrationslagern zu zeigen, die zur damaligen Zeit für die breite Öffentlichkeit weitgehend unbekannt waren und mit denen in einem Unterhaltungsfilm nicht zu rechnen war. Gleichzeitig versuchte Kramer in der Öffentlichkeit festzuhalten, dass Nazi-Deutschland nur als Beispiel herhalten würde, sein Anliegen jedoch weit darüber hinausging. "Mir geht es nicht um Deutschland und auch nicht um die Nürnberger Prozesse", erklärte er. "Mir geht es um ein grundsätzliches Thema, um die Verletzbarkeit des Rechts, um die Gefährdung einer objektiven Rechtspflege durch politische Entwicklungen, um die eindeutige Tendenz: Recht kann nur Recht bleiben, wenn die Justiz unabhängig bleibt."
In Amerika war die Reaktion auf den Film sehr positiv. "Das Urteil von Nürnberg" wurde für etliche Oscars nominiert und sowohl Drehbuchautor Abby Mann als auch Maximilian Schell wurden ausgezeichnet. Diese beiden arbeiteten Im Jahre 2001 ein weiteres Mal zusammen, als Mann sein Drehbuch in ein Theaterstück umarbeitete und Schell in der Broadway-Aufführung mitwirkte – diesmal in der Rolle des deutschen Ausnahmejuristen, der ursprünglich von Burt Lancaster verkörpert worden war.
Eiseskälte als Reaktion der Deutschen
Die Reaktion in Deutschland fiel dagegen weniger euphorisch aus. Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt hatte die Produzenten eingeladen, die Uraufführung in der geteilten Stadt durchzuführen. Regisseur Stanley Kramer erinnerte sich nicht gerne an diesen Tag, den 14. Dezember 1961. "Es war der furchterregendste Abend meines Lebens. Der Film wurde völlig abgelehnt; er hat in Deutschland keine fünf Pfennig eingespielt. Er spielte vor so vielen leeren Häusern, dass er einfach aus dem Verleih genommen wurde. Die Leute fragten, wie ich, ein Amerikaner, versuchen könnte, die deutsche Schuld wieder aufzuwärmen? Ich sagte, dass es in der Tat besser gewesen wäre, wenn die Deutschen es gemacht hätten, aber es ist eine Tatsache, dass sie es nicht machten. Also tat ich es." Es sollte in der Tat noch Jahre dauern, bis sich der deutsche Film mit dem Holocaust beschäftigte.
"Das Urteil von Nürnberg" ist eines der besten Beispiele, aus einem ernsthaften Thema einen intelligenten Unterhaltungsfilm zu machen, der auch fünfzig Jahre nach seiner Uraufführung noch den Zuschauer fesseln kann. Die jüngsten Ereignisse in Deutschland zeugen davon, wie wichtig es ist, dass sich junge Menschen auch heutzutage mit diesem Thema befassen.
Der Autor Jochen Thielmann ist Fachanwalt für Strafrecht im "Strafverteidigerbüro Wuppertal". Daneben hat er neben regelmäßigen Fachartikeln für Publikationen wie Strafverteidiger, Strafverteidiger Forum oder Zeitschrift für Rechtspolitik auch zahlreiche Beiträge über Kinofilme verfasst.
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Das Urteil von Nürnberg: . In: Legal Tribune Online, 15.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5114 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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