Einigen ist er als "Kronjurist des NS-Staats" nur zuwider. Andere feiern ihn als kreativen Kopf der deutschen Staatsrechtslehre. In den jüngst veröffentlichten Tagebüchern gibt Carl Schmitt ein finsteres Bild ab: Krasser Antisemitismus, sexuelle Obsessionen und wohl eindeutige Zeichen von Alkoholismus treten zutage. Anmerkungen zu einer merkwürdigen Publikation von Martin Rath.
Im Kaiserreich juristisch ausgebildet, Zensor im Ersten Weltkrieg, republikkritischer, wenn nicht -feindlicher Staatsrechtslehrer in der Weimarer Zeit, Preußischer Staatsrat unter Hermann Göring, erfolgreich angefeindet von SS-Juristen, nach dem Krieg einer Professur in der Bundesrepublik für unwürdig befunden.
Als der deutsche Staatsrechtslehrer Carl Schmitt 1985 hochbetagt mit 93 Jahren starb, hatte er einen denkbar merkwürdigen Ruf. Einigen linken, nicht wenigen rechten Intellektuellen, vor allem in den romanischen Ländern galt er als bedeutendster staatsphilosophischer Denker aus dem Deutschland unserer Zeit.
In der staatsrechtlichen Diskussion hierzulande wurde Schmitt wegen seiner Rolle im NS-Staat, den er anfangs energisch begrüßt, nach seinem Ende zäh rechtfertigt hatte, eher gemieden – was Schüler- und Freundesverhältnisse bis hin zu Richtern am Bundesverfassungsgericht nicht ausschloss. Dass Schmitts Werke an mancher Universitätsbibliothek im "Giftschrank" gehalten wurden, muss Jurastudenten mitunter zu der etwas pubertären Annahme verführt haben, es gebe sogar staatsrechtliche Literatur, die es unter der Bettdecke zu lesen lohne.
Ganz verkehrt war das nicht, gerade Nachwuchsjuristen haben da ja ein feines Sensorium: Einerseits existierte um Schmitt der klandestine Kreis von Freunden oder Gesprächspartnern, teils in höchsten juristischen Funktionen. Andererseits blieben die älteren Schriften Schmitts verpönt, während die neueren überwiegend in Zeitschriften erschienen, die nicht allzu stark zur Produktion der "hM" – der "herrschenden Meinung" beitragen – also eher in "Der Staat" als in der "NJW". Diese Kombination findet sich tatsächlich selten.
Vom klandestinen Denken zur Carl-Schmitt-Philologie
Nach Schmitts Ableben waren teils recht merkwürdige Entwicklungen zu beobachten. Neben dem fraglos sinnvollen Bemühen, das Werk des produktiven juristischen Schriftstellers rechtshistorisch einzuordnen, brachten Verehrer des Verstorbenen stark apologetische Werke auf den Markt. In seiner Schmitt-Biografie von 1993, die es sogar zu einer Taschenbuchausgabe brachte, versuchte beispielsweise Paul Noack den offenen Antisemitismus seines Helden als Verirrung zu NS-Zeiten zu relativieren.
Eine verhaltene Lektüreempfehlung von SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein brachte dem Werk vermutlich nicht wenige Leser ein. Auch die bizarrste Biografie, die wohl jemals über einen deutschen Juristen geschrieben wurde, erschien in diesen Jahren: Nicolaus Sombart (1923-2008), der in jungen Jahren zu Schmitt in einer Art intellektuellem Meister-Schüler-Verhältnis gestanden hatte, verbreitete unter dem Titel "Die deutschen Männer und ihre Feinde" (zuerst 1991) die Idee, dass das antibürgerliche, antiliberale Denken Schmitts, wenn nicht homosexuell, so doch frauenfeindlich konnotiert gewesen sei. Das dürfte das intellektuelle Netzwerk um den Verstorbenen einigermaßen in Wallung gebracht haben.
Verstirbt ein Juraprofessor, dem an der Produktion von "herrschender Meinung" beteiligt zu sein nicht verwehrt war, werden seine Lehrbücher einfach von seinen Schülern fortgeschrieben. Das will der Markt so. Bei Schmitt ging es hingegen nach Art toter Philosophen zu: Neben der weiteren Auseinandersetzung mit dem Werk eines Philosophen entwickelt sich eine oft bis ans Komische grenzende Philologie: So droht der berüchtigte Zettelkasten des berühmten Niklas Luhmann publiziert zu werden. Schamhaft verschwiegene Jugendschriften werden ans Licht gezerrt. Was ein Martin Heidegger mit Bleistift in seine Bücher kritzelte – die philosophische Nachwelt muss es wissen.
Tagebücher eines obsessiven Staatsrechtslehrers
Im vergangenen Jahr brachten nun Wolfgang Schuller und Gerd Giesler jene Tagebücher heraus, die Carl Schmitt in den Jahren 1930 bis 1934 geschrieben hatte, also den historisch spannenden Jahren, in denen die Weimarer Republik in ihre letzte Krise kam und mit der Machtübergabe an Hitler endete. Dass die Publikation der Tagebücher des in diesen Jahren höchst aktiven Staatsrechtlers so lange auf sich warten ließ, hatte nicht zuletzt philologische Gründe: Schmitt hatte seine Notizen in einer heute kaum noch gebräuchlichen Stenografie verfasst, die Entzifferung war schwierig.
Schwierig, um es freundlich zu formulieren, ist auch der Inhalt der vorliegenden Tagebücher. Wenn auch rechtshistorisch wohl nicht sonderlich ergiebig. Einschließlich der mehrfach dokumentierten Notizen – Schmitt schrieb zunächst in Taschenkalender und übertrug dann in ein weiteres Tagebuch – umfasst die Publikation von Schuller/Giesler rund 450 Druckseiten. Es sind 450 Seiten einer haarsträubenden Lektüre.
Hatten seine Anhänger beispielsweise in apologetischer Absicht vertreten, Schmitts Antisemitismus sei eine opportunistische Anpassung an die Staatsideologie der NS-Regierung gewesen, werden sie hier auf nahezu jeder Seite Belege für eine fast manische Judenfeindlichkeit des Tagebuchautors finden: Über Hans Kelsen, der mit seiner "Reinen Rechtslehre" und verfassungstheoretischen Schriften ein Konkurrent Schmitts auf dem staatsrechtlichen Meinungsmarkt war, heißt es etwa, er stehe für eine "trübe Flut von Talmudistik, Geltungsbedürfnis und -wahn". Letzteres sind wohl nicht zufällig Eigenschaften, die sogar Schmitt freundlich gesonnene Beobachter ihm selbst zuschrieben.
Unzählige Notizen, Seite für Seite, merken Schmitts "Ekel" über tatsächliche oder angebliche Juden an, ob sie ihm bloß auf der Straße begegneten oder das wohl zweifelhafte Vergnügen hatten, von Schmitt geprüft zu werden – Notiz zu einem Rigorosum: "sehr interessantes Examen eines ziemlich dreisten Juden". Über den heute berühmten Soziologen Karl Mannheim schreibt Schmitt: "scheußlicher, elender Ostjude".
Dabei geht diese feindliche Haltung weit über das Maß gelegentlicher Fremdenfurcht hinaus, von dem sich vermutlich kein Mensch völlig freisprechen kann, und wohl auch deutlich über die seinerzeit weit verbreitete Judenfeindlichkeit. Der Antisemitismus wirkt obsessiv, wenn nicht pathologisch, wenn Schmitt über seinen Kollegen Erich Kaufmann (1880-1972), der in der Weimarer Republik und der frühen Bundesrepublik zu den führenden Staats- und Völkerrechtlern zählte, wiederholt nicht nur seinen "Ekel" äußert, sondern – so wörtlich – "Angst".
Wiederholt, beispielsweise im Eintrag zum 24. Februar 1931, schildert Schmitt, wie er voll depressiver Verstimmung seinen Tagesgeschäften nachgeht, um seine finstre Stimmung zurückzuführen auf: "Angst vor den Juden und ihre[n] Haß".
Fast so häufig wie die judenfeindlichen Einträge sind jene über eine zweite Obsession: den Alkohol. Offenbar trinkt Schmitt zwischen 1930 und 1934 regelmäßig und in nicht zu knappen Mengen. "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet." – Im Gebrauch des Suchtmittels scheint Schmitt nur bedingt souverän gewesen zu sein. Konsumfreie Tage werden als eher zufällige Ausnahmen ausdrücklich erwähnt.
Einen Zusammenhang zwischen – zu vermutender – Alkoholabhängigkeit und Antisemitismus bringt der Eintrag vom 23. Januar 1933 zutage: Mit zwei Journalisten aus der bayerischen Metropole unterhält sich Schmitt, sie "tranken Schnaps", über "die Liebe zu München und [den] von Juden noch nicht zerstörten Teil Deutschlands", um den Tag zu schließen: "Ekel vor der Vergiftung durch Juden. Abends weder Bier noch Wein. Gott sei Dank, unbegreiflich dieser Zwang zum Alkohol".
Eine dritte Obsession Schmitts betrifft die Sexualität. Die Nachwelt erfährt, dank dieser Publikation im renommierten Berliner Akademie Verlag, von jeder dokumentierten Ejakulation des Staatsrechts-Professors ebenso wie vom außerehelichen wie ehelichen Austausch von Intimitäten.
Will man das alles wissen?
Die idealistische deutsche Philosophie hat bekanntlich eine etwas windige Idee hervorgebracht, die vom Philosophen eine selbstkritische Haltung gegenüber den eigenen Phantasien und Projektionen verlangt – die Idee nämlich, dass der Staat "das bessere Ich der Gesellschaft" sei. Wenn dem so ist, sollte die Gesellschaft einen Anspruch auf nüchtern denkende Staatsrechtslehrer haben – so wie ein Angeklagter im Strafprozess ein Anrecht auf einen Verteidiger mit klarem Kopf hat.
Abstoßend ist die Lektüre der teils intimen Obsessionen eines Staatsrechtslehrers zweifellos. Gerechtfertigt könnte diese postume Bloßstellung Schmitts durch eine – freilich nicht sonderlich tiefschürfende – Hypothese sein, die das Gegenstück zur windigen idealistschen Staatsidee ist: Wer privat schwach ist, träumt vielleicht besonders schnell vom besonders starken Staat.
Im Übrigen findet sich wenig für heute Verwertbares. Vielleicht eines: Wer sich heute etwa daran stören sollte, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber mitunter zu wenig Spielraum lasse, in sozial- oder steuerpolitischen Fragen oder im Umgang mit gefährlichen Kriminellen, wird bei Schmitt konträr fündig: Als Prozessvertreter der Reichsregierung verteidigte Schmitt die Entmachtung der republiktreuen Staatsregierung Preußens, im sogenannten "Preußenschlag" von 1932.
Die von der SPD und der katholischen Zentrumspartei geführte Minderheitsregierung Preußens hatte sich vor dem Staatsgerichtshof in Leipzig insbesondere dagegen zur Wehr gesetzt, dass die Notverordnung, durch die sie entmachtet worden war, die Behauptung aufstellte, Preußen sei dem Reich und seiner Verfassung untreu. Schmitt forderte, was diese Behauptung betraf, einen weiten Ermessensspielraum der Reichsregierung und eine enge richterliche Ermessenskontrolle. In seinem Tagebuch freut er sich dann diebisch, dass ihm der Staatsgerichtshof unter Reichsgerichtspräsident Erwin Buhmke beipflichtete.
Diebisch freuen kann sich der heutige Leser von Carl Schmitts entblößenden Tagebüchern immerhin über ein Fräulein, das nach der "Machtergreifung" mitunter die Diktate des nun vielbeschäftigten Juristen übernahm: Es war Maria Therese von Hammerstein (1909-2000), die höchst eigenwillige Tochter des höchst eigensinnigen, NS-feindlichen Generals Kurt von Hammerstein-Equord, dem Hans Magnus Enzensberger erst 2008 ein literarisches Denkmal gesetzt hat.
Während Carl Schmitt sich 1934 über einen seiner Doktoranden lustig machte, der sich schützend vor einen Rabbiner hatte stellen wollen, dem der Nazi-Pöbel den Bart abschnitt, fuhr das Fräulein von Hammerstein, wie wir heute wissen, mit dem Motorrad durch Berlin und warnte manchen Verfolgten rechtzeitig vor der drohenden Verhaftung.
Handapparat:
Carl Schmitt: "Tagebücher 1930 bis 1934", herausgegeben von Wolfgang Schuller in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler, Berlin, Akademie Verlag, 2010
Carl Schmitt: "Der Führer schützt das Recht", in: "Deutsche Juristen-Zeitung" 1934, Spalten 945 bis 950.
Paul Noack: "Carl Schmitt. Eine Biographie", Frankfurt am Main und Berlin, Ullstein, 1996 [zuerst a.a.O. 1993]
Nicolaus Sombart: "Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt – ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos", Frankfurt am Main, Fischer, 1997 [zuerst München und Wien 1991]
Rudolf Augstein: "Machiavelli im Sauerland", in: DER SPIEGEL Nr. 45/1993, Seiten 75-83.
Augstein geht auch auf Schmitts berüchtigten Artikel "Der Führer schützt das Recht ein", erwähnt aber bemerkenswerterweise nicht, dass der "Machiavelli im Sauerland" bereits 1934 die mörderische Wehrmachtsjustiz des Zweiten Weltkriegs herbeiphantasierte – immerhin hatte Augstein diesen Krieg mitmachen müssen.
Martin Rath ist freier Journalist und Lektor in Köln.
Martin Rath, Carl Schmitts Tagebücher (1930 bis 1934): . In: Legal Tribune Online, 15.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3274 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag