Kostenlose Klausurkopien für Examenskandidaten
Mit Peter Nowak fing damals alles an. Der irische Student war in einer Klausur durchgefallen und wehrte sich zunächst erfolglos gegen das unerfreuliche Ergebnis. Um Einsicht in die Klausur nehmen zu können, griff er auf dem Klageweg in die Trickkiste: Ihm stehe ein datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch zu, worunter auch seine Klausur als "personenbezogenes Datum" falle, argumentierte er. Die Hochschule müsse ihm wenigstens eine Kopie der Arbeit aushändigen.
Nowaks Fall gelangte schließlich vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Der entschied 2017, dass Prüfungsarbeiten in der Tat personenbezogene Daten sein und Prüflinge entsprechend einen Herausgabe- beziehungsweise Auskunftsanspruch haben können. Aus Prüflingssicht befanden die Luxemburger Richter als Sahnehäubchen obendrein: Zumindest die erste Kopie darf nichts kosten. Zwar entschieden die Richter noch nach "altem" Datenschutzrecht; sie deuteten in dieser Entscheidung aber bereits an, dass ihr Urteil auch nach der zum Mai 2018 Wirkung entfaltenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht anders ausgefallen wäre, weil Prüflingen auch nach den neuen Datenschutzregeln ein solcher Anspruch enstehe.
Seitdem mehren sich deutschlandweit die Klagen von Jura-Prüflingen gegen ihre Justizprüfungsämter (JPA) auf Überlassung einer kostenfreien Kopie ihrer Examensklausuren, etwa weil ihnen der Weg zum Prüfungsamt zwecks Einsichtnahme in die originalen Dokumente zu lang ist oder sie sich das Geld sparen wollen.
Die JPA zeigen sich dabei unterschiedlich entgegenkommend: In manchen Bundesländern kommen Prüflinge auf Antrag an solche kostenfreien Kopien vergleichsweise unkompliziert heran, in anderen – gerade den großen, in denen es viele Prüflinge gibt – wird hartnäckig gemauert; so auch im Landesjustizprüfungsamt (LJPA) Düsseldorf. Ein aktuelles Urteil könnte das nun ändern.
Das erste Urteil in der Sache bundesweit
Nun hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen den Anspruch eines Jura-Prüflings auf Herausgabe kostenfreier Kopien seiner Klausuren im Zweiten Staatsexamen vollumfänglich bejaht (Urt. v. 27.04.2020, Az. 20 K 6392/18). Es ist – soweit ersichtlich – die erste Entscheidung eines Gerichts zu dieser Frage bundesweit.
Das Urteil, das LTO vorliegt, befasst sich mit den wesentlichen Fragen, die sich – abgesehen von dem einen oder anderen landesrechtlichen Detail – in all diesen Verfahren bundesweit stellen. Die klagenden Jura-Prüflinge berufen sich für die kostenlosen Kopien regelmäßig auf den Auskunftsanspruch nach Art. 12 Abs. 5, S. 1 und Art. 15. Abs. 3 DSGVO und verweisen auf das EuGH-Urteil von 2017.
Die JPA halten in aller Regel dagegen, dass die DSGVO schon gar nicht anwendbar sei, und wenn doch, nach Landesrecht von einem solchen Auskunftsanspruch abgewichen werden dürfe. Im Fall, den das VG Gelsenkirchen nun entschied, berief sich das LJPA Düsseldorf im Wesentlichen auf § 23 Abs. 2 Juristenausbildungsgesetz (JAG) NRW, wonach Einsicht nur "in den Räumen des Justizprüfungsamtes" zu gewähren ist.
VG: DSGVO anwendbar, Anspruch nicht beschränkt
Das Gelsenkirchener VG hat nun entschieden: Ob die DSGVO anwendbar ist oder nicht, könne dahinstehen. Denn nach § 5 Abs. 8 S. 1 Datenschutzgesetz (DSG) NRW komme es auch ohne europarechtlichen Bezug zur analogen Anwendung der DSGVO, weswegen sich der klagende Jura-Prüfling sehr wohl auf diese berufen dürfe.
Weil das LJPA Düsseldorf die Klausuren analog archiviere, sei auch die notwendige Voraussetzung einer "Speicherung in einem Dateisystem" erfüllt. Das Argument des Prüfungsamts, dass die Examensklausuren bloß unter dem Vermerk einer dem Prüfling zugeteilten Nummer abgelegt würden und von Datenverarbeitung nicht die Rede sein könne, ließ das VG nicht gelten. So verwies es etwa auf die Rechtsprechung der Finanzgerichte, die eine Datenverarbeitung durch die Steuerbehörden bereits annähmen, wenn auch nur einzelne Informationen über einen Bundesbürger einer ihm zugeteilten Steuernummer zugeordnet werden.
Damit bejaht die 20. Kammer den Anspruch des klagenden Prüflings auf Herausgabe einer kostenlosen Kopie seiner Arbeiten. Der sei nach § 23 JAG NRW, der die Einsichtnahme vor Ort verlangt, auch nicht beschränkt. Dem Gericht, heißt es in dem Urteil, erschließe sich nicht, wie diese Regelung dem Auskunftsanspruch entgegenstehen soll, es gehe schließlich um eine Kopie. Wolle der Prüfling die Originale einsehen, dürfe das LJPA ihn sehr wohl auffordern, gemäß § 23 JAG NRW vor Ort zu erscheinen.
Überlastung des LJPA, wenn jeder kostenlose Kopien bekäme?
Letztlich hatte das LJPA noch argumentiert, dass seine Funktionsfähigkeit durch Überlastung beeinträchtigt würde, wenn nun jeder Prüfling einen Anspruch auf Herausgabe kostenloser Kopien hätte.
Diesem Argument hielt das VG entgegen, dass damit zu rechnen sei, dass viele Prüflinge sich mit einer elektronischen Kopie, etwa im PDF-Format, zufrieden geben werden. Der Aufwand für analoge Kopien, wie sie jetzt gegen Zahlung angefertigt würden, werde dafür abnehmen.
Außerdem erwarte der Gesetzgeber von der Verwaltung, dass diese sich den Gegebenheiten der neuen Datenschutzregeln anpasst, etwa durch den Kauf neuer Hard- und Software, Einstellung zusätzlichen Personals oder Umverteilung der Arbeit unter den Mitarbeitern.
Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen
Viktoria Lehner, die den klagenden Prüfling in dem Fall vertreten hat, zeigt sich gegenüber LTO höchst erfreut, "dass sich das VG Gelsenkirchen so klar an der entsprechenden EuGH-Rechtsprechung orientiert hat". Die auf Datenschutzrecht spezialisierte Anwältin und Fachanwältin für IT-Recht von der Düsseldorfer Kanzlei Pinsent Masons sieht in der Entscheidung "ein eindeutiges Signal dafür, dass die nationale Beschränkung von Betroffenenrechten hohe Anforderungen zu erfüllen hat und die DSGVO nicht beliebig unterwandert werden kann, auch nicht von Behörden."
Auf LTO-Anfrage heißt es aus dem Landesjustizministerium NRW: "Die zugrundeliegenden Rechtsfragen aus den Bereichen des Datenschutzrechts und Auskunftsrechts sind komplex und ungeklärt. Aus gutem Grund hat daher das Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen, was selten vorkommt." Das LJPA prüfe derzeit, ob es Berufung einlegen will.
Sollte die Entscheidung rechtskräftig bzw. letztlich bestätigt werden, stelle das eine große Herausforderung für das LJPA da: "Als größtes Prüfungsamt Deutschlands für die zweite juristische Staatsprüfung werden pro Jahr allein in dieser Prüfung circa 18.000 Aufsichtsarbeiten angefertigt, die im Schnitt rund 25 Seiten umfassen; insgesamt geht es allein hier also um rund 450.000 Kopien pro Jahr." Bei den Justizprüfungsämtern bei den Oberlandesgerichten kämen für die staatliche Pflichtfachprüfung pro Jahr noch einmal mehr als dieselbe Menge hinzu.
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2020 M05 19
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