Studenten als Prozessbeobachter

Von hoher Warte

von Stefanie LadeLesedauer: 5 Minuten
An der Universität Marburg gibt es ein Trial-Monitoring-Programm: Studenten beobachten internationale Gerichtsverfahren. Sie sind auch dabei, wenn ab Dezember der Prozess gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher wieder aufgenommen wird.

Wenn ab dem 1. Dezember am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt gegen den ehemaligen ruandischen Bürgermeister Onesphore R. wegen eines Kirchenmassakers im Zuge des ruandischen Genozids von 1994 verhandelt wird, werden auch Studenten der Philipps-Universität Marburg unter den Zuschauern sein und den Prozess beobachten. Die Studenten nehmen an dem deutschlandweit einmaligen Trial-Monitoring Projekt des Forschungs- und Dokumentationszentrums für Kriegsverbrecherprozesse teil. Das OLG Frankfurt hatte Onesphore R. 2014 wegen Beihilfe zum Völkermord zu 14 Jahren Haft verurteilt. Aufgrund von Revision des Generalbundesanwalts hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) dieses Urteil teilweise aufgehoben. Die Annahme des OLG, der Angeklagte sei lediglich Gehilfe und nicht Täter des Völkermordes gewesen, hält nach Auffassung der Karlsruher Richter einer rechtlichen Überprüfung nicht stand (Urt. v. 21.05.2015, Az. 3 StR 575/14). Deshalb haben die BGH-Richter das Verfahren teilweise an das OLG Frankfurt zurückverwiesen. "Das ist eines der wenigen Völkermordverfahren, die überhaupt in Deutschland geführt werden", sagt Tobias Römer. Der Jurastudent ist einer der aktuell drei operativen Leiter des Projekts. Gegründet wurde es von Prof. Dr. Christoph Safferling im Wintersemester 2010/11  - genau zu dieser Zeit wurde auch das Verfahren gegen Onesphore R. eröffnet. Fachlich betreut das Programm Dr. Ken Eckstein. Abgesehen von dieser Unterstützung wird es von den Studenten selber organisiert und umgesetzt.

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Ausbildung zum Prozessbeobachter: früh übt sich

Sinn und Zweck des Trial-Monitoring Projekts ist es, die Studenten an einzelne Verfahren heranzuführen und als Prozessbeobachter auszubilden. "Durch unsere Arbeit wollen wir die Öffentlichkeit für solche Verfahren sensibilisieren und darauf aufmerksam machen", sagt Römer. "Wir kennen keine Universität, die ein vergleichbares Programm anbietet." Gerade für angehende Rechtswissenschaftler sei es eine attraktive Möglichkeit, sich früh kontinuierlich und vertiefend mit einem Prozess zu beschäftigen. Als weitere positive Merkmale führt Römer an: "Die Kommilitonen erleben einen Entscheidungsprozess mit und arbeiten interdisziplinär." Denn neben Jurastudenten beteiligen sich beispielsweise auch angehende Sozial- und Politikwissenschaftler, Studenten des Masterstudiengangs Friedens- und Konfliktforschung, der Ethnologie oder Betriebswirtschaftslehre. Eine fächerübergreife Zusammenarbeit ist für eine umfassende Beobachtung notwendig. Schließlich sollen die Studenten nicht nur die Prinzipien des Monitoring kennenlernen, sondern auch umsetzen. "Gerade bei einem Völkermordprozess ist es beispielsweise wichtig, sich über die kulturellen Besonderheiten im Klaren zu sein", erzählt Römer. Genauso sei es beispielsweise von Bedeutung, über die historischen Hintergründe Bescheid zu wissen. Während der Prozessdauer gegen den ehemaligen ruandischen Bürgermeister werden jeden Tag circa vier bis fünf Studenten das Verfahren beobachten, mitschreiben und anschließend darüber Berichte anfertigen. "Das Besondere ist der Kontext des Genozids in Ruanda von 1994 und die Entfernung zum Tatort", beschreibt Römer das Außergewöhnliche an diesem Prozess. Ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung zum und der Arbeit als Prozessbeobachter sind die regelmäßig stattfindenden Gruppentreffen. "Wir berichten uns gegenseitig von den einzelnen Prozesstagen, besprechen den Verlauf und greifen aktuelle Probleme vertieft auf."

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2/2: Einsatzorte weltweit

Dabei könne es für die Studenten durchaus belastend sein, wenn zum Beispiel ein Überlebender seine Erinnerungen an das Kirchenmassakers schildert, weiß Römer. Deshalb beinhaltet das Trial-Monitoring auch Trauma-Workshops und informiert über sekundäre Traumatisierung. Neben der praktischen Beobachtung und einem kontinuierlichen Austausch beinhaltet das von der Universität zertifizierte Programm Veranstaltungen zum Völkerstrafrecht, zur Strafprozessordnung und zu Themen aus der Kriminologie. Übergeordnet besteht die Ausbildung also aus drei Modulen: Erstens der allgemeinen Ausbildung mit Vorlesungen, zweitens der speziellen Monitoring-Ausbildung mit Workshops, etwa zum Erstellen von Berichten, und drittens der praktischen Umsetzung des Erlernten während der Prozesstage. "Circa drei Viertel aller Studenten, die das Projekt beginnen, beenden es auch sichern sich so ihr Zertifikat", sagt Römer. "Vielen gefällt es so gut, dass sie  auch im Nachhinein noch mitarbeiten." Aktuell nehmen 54 Studenten an dem Programm teil. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die theoretischen Kenntnisse nicht abstrakt bleiben, sondern schnell in der Praxis angewandt werden. Dadurch sollen die fertig ausgebildeten Studenten nach einer kurzen Einarbeitung an einem beliebigen Einsatzort weltweit als Prozessbeobachter arbeiten können. Kontakte zu internationalen Praktikern bestehen bereits dank finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und durch regelmäßige Besuche von Studierenden bei der Monitoring-Gruppe der "Asian International Justice Initiative" am Rote-Khmer-Tribunal in Kambodscha. Für die Zukunft ist die Teilnahme an einem internationalen Workshops in Istanbul bei der Menschenrechtsorganisation "Truth Justice Memory Center" geplant.

Oberstes Gebot: Neutralität

Prozessbeobachtung unterstützt die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit eines Verfahrens, da die Anwesenheit von Beobachtern die Fair-Trial-Standards zu sichern hilft und durch die Dokumentation die Legitimität des Verfahrens gefördert wird. Das sei in Deutschland zunächst kein großes Problem, sagt Römer, aber in anderen Ländern würde sich alleine eine Prozessbeobachtung positiv auf die Verhandlung auswirken. Die Berichte der Studenten werden veröffentlicht und ermöglichen somit Dritten oder Mitgliedern des Monitoring-Projekts eine detaillierte Analyse über den Verfahrensablauf. Die Teilnehmer arbeiten objektiv und unparteiisch. Das heißt, sie mischen sich unter keinen Umständen in das laufende Verfahren ein und prüfen genau, ob und wie sich eine Veröffentlichung von Berichten während der Verhandlung auf den Prozess auswirken könnte. "Zu Beginn des Prozesses gegen den ehemaligen ruandischen Bürgermeister im Jahr 2011 veröffentlichten wir unsere Berichte noch täglich", erinnert sich Römer. Damit Zeugen die detaillierten Berichte aber nicht vor ihrer Aussage lesen und ihre Angaben vor Gericht entsprechend anpassen können, werden die Berichte mittlerweile im zeitlichen Abstand veröffentlicht. Um durch die Berichte keine Persönlichkeitsrechte zu verletzen, achten die Studenten darauf, dass sie angemessen abstrakt schreiben. Seit Beginn des Verfahrens gegen Onesphore R. im Januar 2011 wurden von über 130 Studierenden nahezu 900 Seiten Berichtmaterial erstellt. Ab dem 1. Dezember 2015 werden es noch einige Seiten mehr werden. Die Autorin Stefanie Lade arbeitete drei Jahre lang als Redakteurin, studiert nun Jura und ist  hilfswissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht (Prof. Dr. Dirk Heckmann) an der Universität Passau.

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