Ist der aktuelle Wohnsitz eines Verbrauchers unbekannt, können die Gerichte des letzten bekannten Wohnsitzes zuständig sein, über eine Klage gegen ihn zu entscheiden. Die Unmöglichkeit, den aktuellen Wohnsitz des Beklagten ausfindig zu machen, darf dem Kläger nicht das Recht auf ein gerichtliches Verfahren nehmen. Dies geht aus einem Urteil des EuGH vom Donnerstag hervor.
Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) schafft damit Klarheit über die Zuständigkeit von Gerichten für Fälle, in denen einem Kläger der Wohnsitz des zu Beklagenden unbekannt ist (Urt. v. 17.11.2011, Az. C 327/10). Danach gilt:
Gelingt es einem nationalen Gericht nicht, den Wohnsitz des Verbrauchers im Inland festzustellen, hat es zu prüfen, ob er seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hat. Kann das nationale Gericht einen solchen nicht feststellen und hat es auch keine beweiskräftigen Indizien, die den Schluss zulassen, dass der Beklagte seinen Wohnsitz tatsächlich außerhalb der Union hat, gilt im Fall eines Rechtsstreits der Grundsatz, dass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem sich der Wohnsitz des Verbrauchers befindet, nicht nur für dessen aktuellen, sondern auch für seinen letzten bekannten Wohnsitz.
Eine solche Auslegung der Verordnung ermögliche es nämlich dem Kläger, ohne Schwierigkeiten festzustellen, welches Gericht er anrufen kann. Der Beklagte kann gleichzeitig vorhersehen, vor welchem Gericht er verklagt werden kann. Auch könne, so die Europarichter, auf diesem Wege vermieden werden, dass die Unmöglichkeit, den aktuellen Wohnsitz des Beklagten ausfindig zu machen, die Bestimmung des zuständigen Gerichts verhindert. Denn das würde dem Kläger sein Recht auf ein gerichtliches Verfahren nehmen. Außerdem gewährleiste diese Lösung ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Rechten des Klägers und denen des Beklagten, wenn dieser die Verpflichtung hatte, dem Kläger jede Adressänderung mitzuteilen.
Im entschiedenen Fall erhob eine tschechische Bank beim Okresní soud v Chebu (Tschechische Republik) Klage gegen einen Kunden auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 4.383.584,60 CZK (ca. 175.214 Euro) zuzüglich Verzugszinsen wegen Zahlungsrückstands aus einem Darlehen. Dieses Gericht stellte fest, dass sich der Kunde nicht mehr an der im Vertrag angegebenen Adresse aufhielt. Es gelang ihm nicht, einen Wohnsitz in der Tschechischen Republik festzustellen.
Daher ersuchte das tschechische Gericht den Gerichtshof um Auslegung der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und insbesondere um Beantwortung der Frage, ob diese Verordnung einer Bestimmung des nationalen Rechts eines Mitgliedstaats entgegensteht, welche die Durchführung von Verfahren gegen Personen ermöglicht, deren Aufenthalt unbekannt ist.
age/LTO-Redaktion
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EuGH: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4827 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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