BVerfG zur medialen Schlammschlacht nach Kachelmann-Freispruch: Ex-Geliebte hatte "Recht zum Gegen­schlag"

29.04.2016

Kachelmanns Ex durfte ihre Vorwürfe gegen ihn nach dem Freispruch in einem Interview wiederholen. Sie hatte ein "Recht zum Gegenschlag", nachdem der Moderator sie zuvor selber in einem Interview angegriffen hat, entschied das BVerfG.

Die Meinungsfreiheit umfasst auch die Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert darzustellen, insbesondere als Erwiderung auf einen unmittelbar vorangegangenen Angriff auf die Ehre, der gleichfalls in emotionalisierender Weise erfolgt ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden (Beschl. v. 10.03.2016, Az. 1 BvR 2844/13). Damit gab es einer Verfassungsbeschwerde der Ex-Freundin von Wettermoderator Jörg Kachelmann statt, die sich gegen eine zivilgerichtliche Unterlassungsverurteilung gewandt hatte.

Das Landgericht (LG) Mannheim hatte den Moderator 2011 vom Vorwurf der Vergewaltigung an seiner Ex-Geliebten Claudia D. freigesprochen. Kurz danach äußerten sich sowohl Kachelmann selbst als auch seine Anwälte zu den Vorwürfen und dem Freispruch. In einem Interview mit einer Wochenzeitung sagte der Wettermoderator zum Prozess unter anderem:

[…] vor Gericht hatte mir mein Verteidiger […] geraten zu schweigen. Was sollte ich auch mehr sagen als die kurze Wahrheit: "Ich war es nicht!" und: "Ich habe keinem Menschen Gewalt angetan!" […] Ich hätte an jedem Prozesstag hundertmal aufstehen und sagen müssen: "Das ist gelogen!" Was soll ich über lügende Zeuginnen sagen, […]

Über seine Ex-Freundin sagte er zusätzlich:

Ich weiß, ich habe mich mies benommen. Ich habe Menschen verarscht. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Aber das, was die Nebenklägerin mit mir gemacht hat, als sie sich den Vorwurf der Vergewaltigung ausdachte - das ist keine Verarsche. Das ist kriminell. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. […] Ich habe keinen Sprung in der Schüssel. Viel interessanter wäre doch zu erfahren, was psychologisch in der Frau vorging, die mich einer Tat beschuldigt, die ich nicht begangen habe. Die Nebenklägerin soll ja nach dem Urteil in einem Nebenraum des Gerichts erheblich randaliert haben.

Eine Woche später gab Claudia D. selber ein Interview mit der Zeitschrift Bunte. Dort wiederholte sie die Vorwürfe.

Das Gericht unterstellt mir mit diesem Freispruch, dass ich so dumm und so niederträchtig sein könne, eine solche Vergewaltigungsgeschichte zu erfinden […]. Wer mich und ihn kennt, zweifelt keine Sekunde daran, dass ich mir diesen Wahnsinn nicht ausgedacht habe. Ich bin keine rachsüchtige Lügnerin. 

[…] Fast unerträglich aber war für mich, die Aussagen der [von Kachelmann] bezahlten Gutachter in der Presse lesen zu müssen. Diese Herren erklären vor Gericht, die Tat könne sich nicht so abgespielt haben, wie es die Nebenklägerin, also ich, behauptet - und man selbst sitzt zu Hause, liest das und weiß ganz genau: ES WAR ABER SO! […]

Weiter erklärte sie im Interview, dass sie die Tat als Trauma zu verarbeiten habe. Zudem schilderte sie, dass Kachelmann sie beim Verlassen ihrer Wohnung in jener Nacht mit dem Tod bedroht habe. Gegen Ende des Interviews äußerte sie, dass sie nie vorgehabt habe, in die Öffentlichkeit zu gehen. Vor allem das "heuchlerische Interview" Kachelmanns zwinge sie aber dazu.

In der Folgezeit begehrte Kachelmann  von der seiner Ex Unterlassung mehrerer Äußerungen, die sie im Rahmen dieses Interviews getätigt hatte. Das Landgericht (LG) Köln verurteilte sie antragsgemäß. Die Berufung zum Oberlandesgericht und die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof blieben ohne Erfolg.

Kachelmann muss scharfe Reaktion hinnehmen

Ihre Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen hatte nun aber Erfolg. Diese verletzen sie in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG), entschied das BVerfG. Die Untersagung der streitgegenständlichen Äußerungen bewege sich nicht mehr im fachgerichtlichen Wertungsrahmen.

Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung umfasse nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen. Dabei könne insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein. Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, müsse eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert.

Indem die Gerichte davon ausgingen, dass sich die Frau auf eine sachliche Wiedergabe der wesentlichen Fakten zu beschränken habe, und hierfür auf das öffentliche Informationsinteresse abstellen, verkennen sie die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch unabhängig von einem solchen Interesse geschützte Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten, befand der Senat.

BVerfG: "Recht zum Gegenschlag"

Zugleich übersehe diese Sichtweise das öffentliche Interesse an einer Diskussion der Konsequenzen und Härten, die ein rechtsstaatliches Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann. Zu Gunsten von Claudia D. sei in die Abwägung zudem einzustellen, dass sie sich in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem (noch nicht rechtskräftigen) Freispruch äußerte und lediglich wiederholte, was der Öffentlichkeit aufgrund der umfänglichen Berichterstattung zu dem Strafverfahren bereits bekannt war.

Darüber hinaus haben die Zivilgerichte das vorangegangene Verhalten Kachelmanns nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt. Der Frau stehe ein "Recht auf Gegenschlag" zu. Dabei sei sie nicht auf eine sachliche, am Interview Kachelmanns orientierte Erwiderung beschränkt, weil auch er und seine Anwälte sich nicht sachlich, sondern gleichfalls in emotionalisierender Weise äußerten. Wenn Kachelmann auf diese Weise in die Öffentlichkeit trete, müsse er eine entsprechende Reaktion seiner Ex-Freundin hinnehmen.

Anwälte: "eine Täterin und kein Opfer"

Der Streit um das Interview ist eine von vielen Auseinandersetzungen, die in der Folge des Kachelmann-Prozesses vor den Gerichten ausgetragen werden. Erst am Donnerstag hatte das OLG Köln über eine Rekord-Entschädigung verhandelt, die Kachelmann von der Bild-Zeitung haben will. Vor dem OLG Frankfurt streitet Kachelmann um Schadenersatz und Schmerzensgeld von Claudia D.

Sein Anwalt Ralf Höcker teilte der Deutschen Presse-Agentur mit, nach der Entscheidung über die Verfassungsklage der Ex-Geliebten sei es umso wichtiger, dass in Frankfurt ein für alle Mal festgestellt werde, "dass das angebliche Opfer die Tat nur vorgetäuscht und sich die Verletzungen selbst zugefügt hat". Sie sei "eine Täterin und kein Opfer", sagte Kachelmanns Anwalt weiter.

acr/LTO-Redaktion

mit Material von dpa

Zitiervorschlag

BVerfG zur medialen Schlammschlacht nach Kachelmann-Freispruch: . In: Legal Tribune Online, 29.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19255 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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