Der 2. Strafsenat hält eine qualifiziertere Belehrung von Zeugen im Rahmen von Befragungen durch den Ermittlungsrichter für nötig. Da die anderen Senate der Idee eine Absage erteilten, hat er nun den Großen Senat angerufen.
Im September letzten Jahres hatte der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) per Anfragebeschluss (v. 04.06.2014, Az. 2 StR 656/13) angeregt, strengere Voraussetzungen für die Verwertung von Aussagen des Ermittlungsrichters in der Hauptverhandlung aufzustellen: Ein angehöriger Zeuge soll nach Ansicht des 2. Senats im Rahmen der Aufklärung über sein Zeugnisverweigerungsrecht (ZVR) auch darüber informiert werden, dass seine Aussagen aus dem Gespräch mit dem Ermittlungsrichter indirekt im Hauptverfahren Eingang finden können - und zwar auch dann, wenn der Zeuge später von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Nach aktueller Rechtsprechung des BGH kann der Ermittlungsrichter nämlich - anders als ein Polizeibeamter oder Staatsanwalt - in der Hauptverhandlung über die Zeugenvernehmung vernommen werden. Am Dienstag wurde bekannt, dass diese Änderungsanfrage des 2. Strafsenats jetzt dem Großen Senat für Strafsachen am BGH vorliegt.
Die angefragten Kollegen aus den übrigen Strafsenaten lehnten eine qualifiziertere Zeugenaufklärung zuvor einstimmig ab. So sieht der 4. Strafsenat in seiner Antwort (Beschl. v. 16.12.2014, Az. 4 ARs 21/14) keine planwidrige Lücke im Gesetz. Vielmehr habe der Gesetzgeber den Umgang mit und die Belehrung von Zeugen umfassend und vollständig geregelt. Auch der erste und der dritte Senat sind nicht der Auffassung, dass ein Zeuge gesondert über die indirekte Verwertbarkeit seiner Aussage unterrichtet werden muss (Beschl. v. 14.01.2015, Az. 1 ARs 21/14 und v. 08.01.2015, Az. 3 ARs 20/14). Eine solche Regelung sei weder gesetzlich vorgesehen noch nötig, um sein Zeugnisverweigerungsrecht auszuüben.
Nach Auffassung des 5. Strafsenats stellt bereits die bisherige Aufklärung durch den Richter ausreichend sicher, dass der Zeuge von seinem Verweigerungsrecht Kenntnis nimmt und sich der Tragweite seines Handelns bewusst wird. Wer sich auf solcher Grundlage freiwillig dazu entschließe, zunächst auszusagen, dem entstehe auch später kein Nachteil, wenn diese Aussage zu Beweiszwecken verwendet werde, auch wenn er selbst dann die Aussage verweigere.
Nach dem einstimmigen "Nein": Großen Senat angerufen
Die Argumente der übrigen Strafsenate überzeugten den 2. Strafsenat nicht, da sie an der wesentlichen Problematik nichts änderten. Ein Zeuge ziehe regelmäßig nicht in Betracht, dass seine Aussage später "über Umwege" durch den Richter doch noch Eingang in das Verfahren nehmen kann, auch wenn er selbst von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache. Nach den Absagen der übrigen vier Senate legte der 2. Strafsenat gemäß § 132 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz dem Großen Senat für Strafsachen folgende Frage im erst jetzt veröffentlichten Beschluss (v. 18.3.2015, Az. 2 StR 656/13) vor:
"Ist die Einführung und Verwertung einer früheren Aussage eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann zulässig, wenn diese den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch über die Möglichkeit der Einführung
und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hatte?"
Der Große Senat für Strafsachen muss jetzt Stellung beziehen, um eine einheitliche Rechtsprechung am BGH zu gewährleisten. Vorsitzende des Großen Senats für Strafsachen ist BGH-Präsidentin Bettina Limperg, außerdem gehören dem elfköpfigen Gremium je zwei Vertreter eines jeden Strafsenats an, darunter auch Thomas Fischer, der Vorsitzende des 2. Senats.
ms/LTO-Redaktion
2. Strafsenat ruft Großen Senat an: . In: Legal Tribune Online, 11.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16574 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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