Rechtsfragen im Sommer…loch: Ist die Wespe vogelfrei?

von Christoph Kehlbach und Michael Reis

29.08.2014

Der Sommer scheint sich zwar schon frühzeitig verabschiedet zu haben, die alljährliche Wespenplage hingegen macht Freiluftfreunden noch bis tief in den Herbst hinein zu schaffen. Einfache Lösung: Plattmachen, die Viecher. Aber darf man das überhaupt? Die Antwort ist komplizierter, als gedacht. Christoph Kehlbach und Michael Reis wagen sich an das rechtliche Wespennest.

Egal ob Kaffee und Kuchen auf dem Balkon, oder das späte Grillfest im Garten – bis in den Oktober hinein wird fast jede Mahlzeit im Freien von Wespen gestört. Es dauert oft nur wenige Sekunden und schon sitzen die schwarz-gelben Störenfriede auf dem Teller. Wie mit dieser Plage umzugehen ist, darüber scheiden sich die Geister: Ignorieren, verscheuchen oder gar erschlagen? Aber darf man Wespen in Deutschland überhaupt ohne weiteres töten? Oder macht man sich am Ende gar strafbar?

Schon in frühen Semestern lernen Studenten: "Tiere sind keine Sachen, sie werden durch besondere Gesetze geschützt. Auf sie sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden." (§ 90a Bürgerliches Gesetzbuch). Wegen des Analogieverbotes kann dieser Grundsatz zwar nicht aufs Strafrecht übertragen werden. Aber nach herrschender Meinung unterfallen Tiere auch dem strafrechtlichen Sachbegriff. Begeht also derjenige, der eine Wespe tötet, eine Sachbeschädigung? Nein, zumindest nicht, solange das Tier herrenlos ist. Und das dürfte eigentlich immer der Fall sein: Im Vergleich zu Imkern mit ihren Bienen, sind die Wespenzüchter in Deutschland spärlich gesät. In der Regel kann also von wild lebenden Wespen ausgegangen werden. Die Folge: Eine Strafbarkeit wegen Sachbeschädigung entfällt. Durchatmen für die Feinde der Wespe!

Die Wespe ist kein Wirbeltier, und wird auch nicht wie eins geschützt

Eines der in § 90a BGB angesprochenen "besonderen Gesetze" ist das Tierschutzgesetz. Ein treffenderer Titel wäre allerdings Wirbeltierschutzgesetz gewesen, denn nur diese unterfallen den Vorschriften und dürfen somit nur "unter wirksamer Schmerzausschaltung" getötet werden (§ 4, Abs. I, S.1 TierSchG). Ein Aufwand, den wohl die wenigsten im Falle einer Wespe betreiben würden. Verstoßen sie also gegen das Gesetz?

Für die Wespe ist es eine existenzielle Frage, ob sie der Gattung der Wirbeltiere zuzuordnen ist.  Auch ohne biologische Fachkenntnisse und gerichtlich bestellten Gutachter weiß der Jurist schnell: Nein, Wirbel (-), Pech für die Wespe. Sie ist ein Insekt und damit wirbellos, kann sich also nicht auf das Tierschutzgesetz berufen.

Ist die Wespe damit nun gänzlich rechtlos? Nicht unbedingt! Denn es gibt ja noch § 39 Abs. 1, Nr. 1, Fall 2, Var. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG). Danach ist es verboten, "wild lebende Tiere ohne vernünftigen Grund zu töten".

Hieraus folgt der nächste Prüfungsschritt: Besteht ein "vernünftiger Grund", eine Wespe zu töten? Das bedarf der Auslegung. Bedenkt man, dass laut Naturschutzbund (NABU) mehr Menschen durch Blitze, als durch Wespenstiche sterben, kann die Gefahr des eigenen Todes wohl kaum realistisch herangezogen werden. Vor allem bei der Mehrheit der Bundesbürger, die nicht allergisch auf Wespenstiche reagieren.

Präventivschlag aus Selbstschutz: Wespentötung als Notwehr

Aber es muss ja nicht gleich der Tod drohen, um einen vernünftigen Grund zu haben. Manch einer sieht einen vernünftigen Grund möglicherweise schon darin, dass das Insekt etwas von der Bratwurst möchte, den gemütlichen Sommerabend stört, oder mit seinem Stachel in der Lage ist, das eigene körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich zu beeinträchtigen. Das, immerhin, wäre eine Körperverletzung seitens der Wespe, und gegen die wäre ja sogar Notwehr zulässig! Das Recht braucht dem Unrecht schließlich nicht zu weichen. Und der Mensch nicht der Wespe. Eine schimpfliche Flucht ist ebenso wenig anzuraten, wie das Risiko, sich auf eine womöglich unzureichende Verteidigungshandlung zu verlassen.

Ein "vernünftiger Grund" im Sinne des § 39 Abs. 1, Nr. 1, Fall 2, Var. 3 BNatSchG kann also bei entsprechender Argumentation schnell hergeleitet werden. Der Verweis auf die Vergleichbarkeit mit einer strafrechtlich sattelfesten Notwehrlage dürfte auch dem überzeugtesten Tierschützer den Wind aus den Segeln nehmen.

Steht einem tödlichen Bierdeckelschlag also nichts mehr im Wege? Oh doch! Wer denkt, er könne nun einfach zuschlagen, der sollte kurz an § 44 Abs. 1 Nr. 1, 1. Fall, Var. 4 BNatSchG in Verbindung mit Unterpunkt 1.6.5.2 der Anlage 1 der Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten denken. Eine Norm, die zwar nicht gerade zum examensrelevanten Stoff zählt, für die Wespe aber von entscheidender Bedeutung ist.

Der kleine Unterschied: Kreisel-, Knopfhorn- und Sächsische Wespe

Denn § 44 Abs. 1 Nr. 1, 1. Fall, Var. 4 des Bundesnaturschutzgesetzes schreibt vor, dass es verboten ist, wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten zu töten. Unterpunkt 1.6.5.2. der Anlage 1 der Verordnung zum Schutz wild lebender Tier- und Pflanzenarten besagt, dass alle heimischen Arten der Kreiselwespe sowie alle heimischen Arten der Knopfhornwespen zu den besonders geschützten Hautflüglern zählen. Ergo: Diese beiden Wespenarten dürfen nicht mal dann getötet werden, wenn ein "vernünftiger Grund" vorhanden ist.

Damit geht freilich ein praktisches Dilemma einher: Woran kann der wespengeplagte, gesetzestreue Biergartenbesucher die besonders geschützten Kreisel- und Knopfhornwespen von den zahlreichen anderen, nicht geschützten Wespenarten (etwa die Deutsche oder die Sächsische Wespe) unterscheiden?  Ein zoologisch versierter Gutachter ist nie zur Hand, wenn man einen braucht, ein Tierlexikon genauso wenig. Letzte Zweifel dürften also bestehen bleiben.  Zweifel, auf die sich die Wespe berufen kann? Gilt analog zur strafrechtlichen Unschuldsvermutung etwa eine tierrechtliche Artenschutzvermutung?

Der - nunmehr doch vom gewissenhaften Juristen angefragte – Wespenfachmann erläutert: Einer solchen bedarf es gar nicht. Denn gerade die beiden besonders geschützten Wespenarten halten sich generell vom Menschen fern, an gedeckten Kaffee- oder Biergarten-Tischen sind sie nie anzutreffen. Nur die gemeine, nicht artengeschützte Wespe wagt diese Art von Übergriff. Und gerade die genießt keinen besonderen Schutz vor dem Gesetz.

Wer eine Wespe tötet, muss diesen Akt der Barbarei also nur vor seinem Gewissen verantworten, einen Rechtsverstoß sieht das Gesetz hierin nicht. Natürlich muss zweifelsfrei geklärt sein, dass nicht versehentlich eine Biene getötet wurde, denn da liegt der Fall gleich wieder ganz anders…

Zitiervorschlag

Rechtsfragen im Sommer…loch: . In: Legal Tribune Online, 29.08.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13033 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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