Immer mehr Staaten sind sich sicher, dass das Assad-Regime Giftgas gegen die zivile Bevölkerung eingesetzt hat. Unsicherheit herrscht jedoch darüber, wie angemessen darauf reagiert werden kann und sollte. Viele Möglichkeiten hält das Völkerrecht nicht bereit, meint Hans-Joachim Heintze. Eine Einbindung des Anklägers beim IStGH könnte eine Lösung sein.
Eigentlich gehört Syrien dem Genfer Giftgasprotokoll von 1925 an. Die Vereinbarung verbietet die Verwendung solcher Waffen. Die Chemiewaffenkonvention von 1933, die die Vernichtung solcher Waffen vorschreibt, hat Syrien dagegen nicht unterzeichnet.
Unabhängig von diesen beiden Verträgen ist die Anwendung von Chemiewaffen in einer Stadt wie Damaskus aber gewohnheitsrechtlich verboten, da ein solcher Angriff unterschiedslos militärische Ziele wie Zivilisten trifft. An dieses Verbot sind die syrischen Streitkräfte ebenso gebunden wie die Rebellen.
Luftangriff als Sanktion
Nach den Ermittlungen der UN-Beobachter ist mittlerweile unstreitig, dass Giftgas eingesetzt wurde und mehr als tausend Opfer zu beklagen sind. Das ist ein Kriegsverbrechen.
Die USA behaupten, bei ihren Ermittlungen zu dem Schluss gekommen zu sein, dass die syrische Regierung für den Giftgasangriff verantwortlich ist und dafür bestraft werden muss, um andere Diktatoren von einem ähnlichen Vorgehen abzuschrecken. Die Bestrafung soll durch einen Angriff der US-Luftwaffe auf Ziele in Syrien erfolgen.
Solchen Angriffen steht aber Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta entgegen, der militärische Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen verbietet. Eine Ausnahme von diesem Gewaltverbot macht Kapitel VII der UN-Charta. Danach kann die USA das Thema auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates setzen und verlangen, den Giftgasangriff als eine Bedrohung für den Weltfrieden nach Art. 39 der UN-Charta einzustufen.
Anschließend könnte der Sicherheitsrat bestimmte Staaten ermächtigen, als Sanktion Gewalt nach Art. 42 UN-Charta gegen Syrien anzuwenden. Diese Gewalt ist aber keine Bestrafung im eigentlichen Sinn, sondern ein Versuch, den Staat zu einem rechtstreuen Verhalten zu veranlassen.
Konzept der Schutzverantwortung
Der Sicherheitsrat ist freilich kein rechtliches, sondern ein politisches Organ. Die 15 Mitgliedsstaaten des Rates kümmern sicher eher um ihre eigenen Interessen als um den Weltfrieden. Russland hat bereits erklärt, dass es einer Gewaltanwendung gegen Syrien nicht zustimmen würde, weil es dahinter versteckte politische Ziele des Westens vermutet.
Diese Situation ist angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Syrien unbefriedigend, und zwar nicht nur für die USA. Die Bilder dieser Verbrechen üben einen großen Druck auf die Politik aus, etwas zu tun, um den betroffenen Menschen zu helfen.
Deshalb haben sich 2001 ehemalige Politiker zusammengefunden und das Konzept der Schutzverantwortung entwickelt. Danach obliegt der Schutz der Menschenrechte eigentlich jedem Staat selbst. Nimmt ein Staat diese Verpflichtung nicht wahr und begeht Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen, so soll die Verantwortung auf die Staatengemeinschaft übergehen und diese Maßnahmen ergreifen dürfen, um die Menschen zu schützen.
Grundsätzlich wird aber auch nach diesem Konzept erwartet, dass der Sicherheitsrat handelt. Sollte er dies nicht tun, kann militärische Gewalt auch ohne Ermächtigung durch den Sicherheitsrat angewendet werden. Allerdings muss eine solche Intervention immer verhältnismäßig sein, ausschließlich den Interessen der betroffenen Menschen dienen und darf nicht den politischen Vorteilen von Großmächten geopfert werden. Außerdem muss es die begründete Erwartung geben, dass sich die Lage anschließend verbessert.
Humanitäre Interventionen sind aufwändig
Das Konzept folgt der Kosovo-Intervention der NATO aus dem Jahre 1999. Wie aufwändig eine solche "humanitäre Intervention" ist, lässt sich daran erkennen, dass UNO, NATO und EU heute noch damit beschäftigt sind, im Kosovo rechtsstaatliche Verhältnisse aufzubauen.
Die Schutzverantwortung ist bislang noch nicht geltendes Recht, hat aber eine große moralisch-politische Dimension. Die Idee, staatlich verfolgten Menschen zu helfen, ist sicher nicht nur für die USA faszinierend. Die Menschen in Syrien bedürfen zweifellos solcher Hilfe. Daher verwundert es nicht, dass sich viele Politiker zur Rechtfertigung der geplanten Angriffe auf Syrien unter Führung der USA auf diese Schutzverantwortung berufen.
Allerdings sollen die geplanten Luftangriffe nicht den Menschen dienen, sondern ein Regime abstrafen. Dies ist eine Pervertierung des moralisch hoch zu bewertenden Konzepts der Schutzverantwortung, das nicht zur Rechtfertigung von "Sühnemaßnahmen" herangezogen werden darf.
Ankläger beim IStGH müsste Ermittlungen einleiten
Gemäß Art. 51 der UN-Charta könnte sich die USA auch auf Selbstverteidigung berufen. Allerdings setzt dies einen Angriff auf die USA voraus. Bisher fühlt sich das Land nach den Worten seines Präsidenten aber nur bedroht. Ein Angriff auf Syrien wäre daher ein Fall präventiver Selbstverteidigung, die zwar als politisches Konzept existiert, aber völkerrechtlich nicht akzeptiert ist.
Ein Vergeltungsschlag wäre dagegen im humanitären Völkerrecht verankert. Nach den Genfer Konventionen ist eine Vergeltung im internationalen bewaffneten Konflikt nicht ausgeschlossen. Allerdings sind die USA nicht in einen solchen Konflikt verwickelt, so dass auch dieser Rechtsfertigungsgrund ausscheidet.
Angesichts dieser Rechtslage bleibt aus der Sicht des Völkerrechts für die USA nur der Weg, alle Parteien an einen Tisch zu bringen und eine Verhandlungslösung anzustreben. Angesichts des Giftgasangriffs ein unbefriedigendes Ergebnis. Parallel zu den Verhandlungen müsste daher der Sicherheitsrat den Fall nach Art. 13b seines Statuts dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) unterbreiten. Der Ankläger müsste dann Ermittlungen einleiten und könnte dabei Gebrauch von den durch die USA gesammelten Beweisen machen, um die Verantwortlichen strafrechtlich zu belangen.
Der Autor Prof. Dr. Hans-Joachim Heintze lehrt Völkerrecht am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum und ist Deutscher Direktor des Network on Humanitarian Action (NOHA).
Giftgasangriff in Syrien: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9487 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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