US-Strafverteidiger über seine Arbeit im Todestrakt: "Ein guter Weg, um arm und unbeliebt zu werden"

Interview mit Prof. Andrew Hammel, LL.M. (Harvard)

06.07.2013

2/2: "Fundamentale Fragen des Strafrechts in Deutschland kein Wahlkampfthema"

LTO: Trotz der beträchtlichen Einwände ist eine Mehrheit der Amerikaner für die Todesstrafe, wohingegen sie hierzulande ganz überwiegend abgelehnt wird. Wie erklärt sich diese unterschiedliche Haltung?

Hammel: Zum einen ist der Unterschied gar nicht so gewaltig, wie Sie vielleicht glauben. Wenn Sie in einer Umfrage abstrakt wissen wollen, ob jemand für oder gegen die Todesstrafe ist, sprechen sich in Amerika ungefähr 60 und in Deutschland 20 bis 25 Prozent dafür aus. Wenn Sie aber konkret fragen, ob es diese Strafe für jemanden geben sollte, der ein kleines Kind vergewaltigt und getötet hat, dann bejahen das auch in Deutschland zwischen 55 und 65 Prozent der Befragten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe in Deutschland bereits unter rechtlichen und politischen Gesichtspunkten ausscheidet. Die Verfassung verbietet sie in Art. 102 und Politiker machen fundamentale Fragen des Strafrechts hierzulande nicht zu Wahlkampfthemen. Die Strafgesetze werden in Berlin von einem kleinen Kreis von Experten entworfen und verfasst, denen es nie in den Sinn käme, sich für die Todesstrafe einzusetzen.

Bei den Bürgern besteht also die zutreffende Wahrnehmung, auf diese Frage ohnehin keinen Einfluss zu haben. In Amerika hingegen kann teilweise sogar per Volksentscheid über Strafgesetze entschieden werden – tatsächlich haben einige Staaten auf diesem Wege die Todesstrafe wieder eingeführt. Wenn das Strafrecht in Deutschland auf Länderebene geregelt würde, fände ich es gar nicht so unvorstellbar, dass zum Beispiel Sachsen-Anhalt oder Bayern über eine Einführung der Todesstrafe nachdenken würden.

"Adenauer bekannte sich noch 1964 öffentlich zur Todesstrafe"

LTO: Ist es mit der vielbeschworenen moralischen Überlegenheit Deutschlands in diesem Punkt also gar nicht so weit her?

Hammel: Im Großen und Ganzen besteht für die Todesstrafe in Deutschland heute schon eine sehr viel geringere Akzeptanz als in den USA. Das war aber durchaus nicht immer so. Ihre Abschaffung nach dem zweiten Weltkrieg ging auf einen Vorstoß der "Deutschen Partei" zurück, der damals in der Bevölkerung absolut nicht mehrheitsfähig gewesen wäre. Die SPD ist aus Angst vor der Reaktion der Wähler erst später auf den Zug aufgesprungen. Konrad Adenauer bekannte sich noch 1964 öffentlich zur Todesstrafe.

Erst in den späten 60er und 70er Jahren vollzog sich ein echter Mentalitätswandel in der Breite der Gesellschaft, was zum Teil am politisch-kulturellen Klima jener Zeit lag, zum Teil aber auch an schlichter Gewöhnung. So war es in Europa übrigens häufig. Wenn es einer kleinen, intellektuellen Elite gelingt, die Todesstrafe abzuschaffen, dann verfestigt sich dieser Status quo über die Jahrzehnte. Die Leute hören irgendwann auf, darüber zu diskutieren, akzeptieren den neuen Zustand und halten ihn sogar für eine Errungenschaft. Das hat oftmals mehr mit Gewöhnung zu tun als mit unabänderlichen moralischen Überzeugungen.

LTO: Herr Professor Hammel, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Prof. Andrew Hammel, LL.M. (Harvard) ist Juniorprofessor für Amerikanisches Recht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Er ist Autor des Buches Ending the Death Penalty: The European Experience in Global Perspective und war zehn Jahre als Verteidiger für Strafgefangene im Todestrakt texanischer Gefängnisse tätig.

Das Interview führte Constantin Baron van Lijnden.

Zitiervorschlag

US-Strafverteidiger über seine Arbeit im Todestrakt: . In: Legal Tribune Online, 06.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9086 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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