Reform des Aufenthaltsrechts: Abschie­bungs­haft für alle

von Joachim Kretschmer

14.05.2014

Vergangene Woche legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Reform des Aufenthaltsrechts vor. Ob Abschiebungshaft, Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer oder Ausweisung von Straftätern – Abschottung und Repression sind das Ziel dieser Flüchtlingspolitik, meint Joachim Kretschmer. Das widerspricht nicht nur mitmenschlicher Integrationskultur, sondern auch dem EU-Recht.

Eher versteckt kommt dabei eine Änderung daher, in der sich der Charakter des Gesetzentwurfs besonders deutlich zeigt. Die Regelungen zur Abschiebungshaft sollen praxisgerechter gestaltet werden. Das klingt gut, wenigstens neutral, ist aber inhaltlich schändlich.

Nach § 62 Abs. 3 Nr. 5 und 6 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) n.F. soll künftig die Inhaftierung angeordnet werden, wenn "Fluchtgefahr besteht" oder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird und erhebliche Fluchtgefahr besteht. Letzteres geht zurück auf Dublin-Verordnung, nach der Ausländer Asyl nur in dem Mitgliedstaat beantragen können, in dem sie zuerst in die EU eingereist sind.

Wann Fluchtgefahr vorliegt, soll in § 2 AufenthG in einem neuen Abs. 14 aufgezählt werden. Das ist bereits systematisch eine schlechte Gesetzgebung, warum schreibt man die Fluchtgründe nicht gleich in § 62 AufenthG? Vielleicht soll man das Schändliche nicht gleich durchschauen?

Eine lange Liste von Fluchtgründen

Aber entscheidend ist natürlich der Inhalt: Erhebliche Fluchtgefahr wird unter anderem dann angenommen, wenn der Ausländer unter Umgehung einer Grenzkontrolle eingereist ist, sich vor polizeilichen Kontrolle versteckt oder über seine Identität täuscht, indem er Identitäts- oder Reisedokumenten vernichtet. Auch falsche Angaben über den Reiseweg sollen Fluchtgefahr begründen. Und das ist nur ein Teil der Fluchtgründe, die sich die Referenten im Innenministerium ausgedacht haben.

Es wird wohl kaum einen Migranten geben – einen Flüchtling etwa aus Syrien, dem Irak, Somalia, Eritrea oder Afghanistan – auf den nicht mindestens ein Punkt dieser Aufzählung zutrifft. Das bedeutet Abschiebungshaft für alle. Es ist typisch für Flüchtlinge, dass sie ihre Identitätspapiere auf der Flucht wegschmeißen, wenn sie ihnen nicht gar von den Schleusern abgenommen werden. Passlosigkeit erschwert oder verhindert nämlich die Abschiebung und führt zur Duldung (§ 60a AufenthG).

Es ist auch verständlich, wenn Flüchtlinge, die Bürgerkrieg, Not, Hunger, Armut und Verfolgung entfliehen, anfangs wenig Vertrauen in staatliche Institutionen haben. Das Vertrauen muss das Gastland erst gewinnen. Es macht aus der Perspektive eines Flüchtlings Sinn, seine Reisewege zu verschleiern, um nicht sofort abgeschoben zu werden (§ 34a Asylverfahrensgesetz). Aber das deutsche Recht kennt nur eine Antwort: Abschiebungshaft.

Gesetzentwurf widerspricht Gedanken des EU-Rechts

Kein unumstrittenes Mittel: Zuletzt kritisierte Generalanwalt Bot am Europäischen Gerichtshof die Praxis einiger deutsche Bundesländer, Abschiebungshäftlinge gemeinsam mit Straftätern unterzubringen: "Ein Mitgliedstaat darf sich, außer bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, nicht auf das Fehlen spezieller Hafteinrichtungen in einem Teil seines Hoheitsgebiets berufen, um einen abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen – sei es auch mit dessen Einwilligung – in einer gewöhnlichen Haftanstalt unterzubringen", heißt es in seinen Schlussanträgen (Az. C-473/13 u.a.).

Nach der EU-Rückführungsrichtlinie darf die Abschiebungshaft nur begrenzt zum Einsatz kommen und muss verhältnismäßig sein. Das bekräftigt auch der Generalanwalt: "Die Richtlinie stellt unmissverständlich klar, dass die Inhaftnahmeentscheidung ein letztes Mittel darstellt. […] Die Richtlinie verdeutlicht somit besonders gut, dass die Situation des Migranten, dessen einziger Fehler seine Notlage ist und dessen einziges Vergehen darin besteht, dass er ihr, und sei es unter Eingehung ungeheurer Risiken für einen vollkommen ungewissen Ausgang, zu entkommen sucht, eine ganz andere ist als die eines Straftäters." Der Subsidiarität der Abschiebungshaft widersprechen Wortlaut und Gedanke des Referentenentwurfs gänzlich.

Zitiervorschlag

Joachim Kretschmer, Reform des Aufenthaltsrechts: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11967 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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