Ein Brief von Brüderle mitten im Wahlkampf: Rechtswidrige Schützenhilfe von der Fraktion

von Dr. Sebastian Roßner

04.05.2012

Rainer Brüderle hat in einer großangelegten, offenbar von der FDP-Bundestagsfraktion finanzierten Briefkampagne einer Vielzahl von Bürgern geschrieben. Unmittelbar vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wirbt der Fraktionsvorsitzende für den FDP-Kurs des Schuldenabbaus. Damit überschreitet er die Grenzen zulässiger Information durch die Fraktionen, meint Sebastian Roßner.

Nicht jeden Tag erhält man Post von einem leibhaftigen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag. So war auch der Verfasser dieses Artikels einigermaßen überrascht, als er den Umschlag mit dem Bundesadler und dem Namen des Vorsitzenden der FDP-Bundestagsfraktion in Händen hielt.

Rasch geöffnet gab das Kuvert seinen Inhalt frei – einen Briefbogen voller Ausführungen zum Schuldenabbau, wiederum mit dem Bundesadler und zusätzlich dem Konterfei des Fraktionsvorsitzenden geschmückt, sowie ein in blau-gelb gehaltenes Faltblatt, auf dessen Titelseite ein junger Vater seiner kleinen Tochter eine stützende Hand reicht. Darunter das neue Mantra der FDP: "Schulden abbauen. Geld stabil halten".

Ist ein Narr, wer dabei an den Slogan der nordrhein-westfälischen FDP "Lieber neue Wahlen als neue Schulden" dächte, den Christian Lindner landesweit plakatieren ließ? Nein, die Nähe zur Wahlkampfwerbung der FDP ist in Inhalt und Gestaltung so groß, dass ein unbefangener Leser den Brüderle-Brief und die Reklame der NRW-Liberalen kurz vor der Neuwahl unmittelbar in einen engen Zusammenhang bringt.

Fraktionen erhalten mehr Geld vom Staat als Parteien

Politische Werbung in Zeiten des Wahlkampfes ist zwar generell kein Grund zur Aufregung und es ist auch völlig üblich, dass die Bundesprominenz einer Partei ihren um Stimmen kämpfenden Landesverbänden zur Hilfe eilt. Hier tritt allerdings eine Bundestagsfraktion auf den Plan und greift in den nordrhein-westfälischen wie auch den schleswig-holsteinischen Wahlkampf ein.

Bundes- wie Landtagsfraktionen aber erhalten erhebliche staatliche Zuwendungen. Um beim Bundestag zu bleiben: Etwa 80 Millionen Euro fließen jährlich aus dem Staatssäckel an die fünf Fraktionen im Berliner Reichstag, davon etwa zwölf Millionen an die Liberalen.

Aber erst im Vergleich zur staatlichen Finanzierung der Parteien gewinnen diese Summen der Fraktionsfinanzierung ihr ganzes Gewicht: So hat die FDP im Jahr 2010 etwa 13,5 Millionen Euro als staatliche Teilfinanzierung erhalten. Nimmt man die Fraktionsfinanzierung in den Ländern hinzu, wird klar, dass die Fraktionen mehr Geld vom Staat erhalten als die jeweiligen Parteien.

Keine Fraktionsmittel für Parteiaufgaben

Rechtlicher Hintergrund dieser Diskrepanz ist die Deckelung der Gesamtsumme der staatlichen Parteienfinanzierung auf gegenwärtig 150 Millionen Euro pro Jahr, die aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) resultiert. Für die Fraktionen hingegen gibt es derartige Restriktionen nicht. Sie sind Staatsorgane und gelten rechtlich nicht als Teil ihrer Partei, sondern des jeweiligen Parlaments. Staatliche Zuschüsse an die Fraktionen werden somit nicht als Parteien-, sondern als Parlamentsfinanzierung verbucht.

Gerät eine Partei in finanzielle Engpässe, ist daher die Versuchung groß, Gelder aus den meist gut gefüllten Töpfen der Fraktionen in die schwindsüchtigen Beutel der Partei umzuleiten. Das aber ist nicht erlaubt, denn es würde sowohl die Deckelung der staatlichen Parteienfinanzierung unterlaufen als auch den Wettbewerb der Parteien durch den Einsatz von Steuermitteln verzerren. Dementsprechend verbietet § 25 Abs. 2 Nr. 1 Parteiengesetz Spenden der Fraktionen an die Parteien. Noch weitergehend formuliert § 50 Abs. 4 S 2 Abgeordnetengesetz (AbgG) dieses finanzielle Trennungsgebot, indem die Vorschrift eine Verwendung von Fraktionsmitteln für Parteiaufgaben untersagt.

Unzulässige Verwendung von Fraktionsmitteln?

Als eine solche Spende der FDP-Bundestagsfraktion an die nordrhein-westfälische FDP wird man die Finanzierung des Rundschreibens an die Bürger nicht ansehen können, denn der Vollzug einer Spende setzt begrifflich einen Akt der Annahme durch den Empfänger voraus, der hier nicht erkennbar ist.

Die Frage, ob der Brief der liberalen Bundestagsfraktion eine Verwendung von Fraktionsmitteln für Parteiaufgaben darstellt, ist schwerer zu beantworten, denn die Bundestagsfraktionen dürfen gem. § 47 Abs. 3 AbgG die Öffentlichkeit über ihre Arbeit informieren.

Fraktionen sind aber nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung Teil ihrer Parteien, sondern sie fungieren auch als deren parlamentarischer Arm. Die Information der Öffentlichkeit durch eine Fraktion ist also zwangsläufig immer durch und durch politisch gefärbt. Sie unterstützt dabei regelmäßig die Linie der eigenen Partei, die wiederum nicht zuletzt auch durch die Haltung der Fraktion festgelegt wird.

Wenn also jede publizistische Schützenhilfe einer Fraktion für ihre Partei bereits gegen das Verbot einer Verwendung von Fraktionsmitteln für Parteiaufgaben verstieße, wäre das Recht der Fraktionen auf eine eigene Öffentlichkeitsarbeit bedeutungslos.

BVerfG fordert äußerste Zurückhaltung im Wahlkampf

Einen Ausweg aus der Schwierigkeit, zwischen legitimer Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen und verbotener Verwendung von Fraktionsmitteln durch die Parteien zu unterscheiden, weist die Rechtsprechung des BVerfG.

Das höchste deutsche Gericht hatte zu entscheiden, ob die Öffentlichkeitsarbeit der damaligen sozial-liberalen Bundesregierung kurz vor den Bundestagswahlen von 1976 verfassungswidrig war. Die Karlsruher Richter kamen in ihrer Entscheidung (Urt. v. 02.03.1977, Az. 2 BvE 1/76) zu dem Ergebnis, dass die Öffentlichkeitsarbeit von Staatsorganen erlaubt und notwendig sei, aber nicht in Wahlkampfwerbung übergehen dürfe.

Für die notwendige Abgrenzung haben sie zwei Kriterien entwickelt: Inhaltlich muss Öffentlichkeitsarbeit generell sachlich-informierend bleiben und darf nicht parteiergreifend und plakativ werben. In zeitlicher Hinsicht verpflichtet das Gericht alle Staatsorgane zu äußerster Zurückhaltung während der heißen Phase des Wahlkampfes kurz vor dem Wahltermin. Während dieser begrenzten Periode kann sogar eine ansonsten gestattete sachliche Information verboten sein.

In Hinblick auf die gebotene Sachlichkeit der Öffentlichkeitsarbeit wird man Abstriche für die Fraktionen machen können und müssen, weil sie den Parteien besonders nahestehen. Das zeitliche Kriterium des BVerfG aber greift für den Brief des Fraktionsvorsitzenden voll ein: Innerhalb von etwas mehr als einer (Schleswig-Holstein) oder zwei Wochen (NRW ) vor den Landtagswahlen ist äußerste Zurückhaltung in der Öffentlichkeitsarbeit geboten. Dem wird das Schreiben der liberalen Bundestagsfraktion nicht gerecht, zumal es auch deutlich werbenden Charakter trägt. Brüderle hätte uns erst nach den Wahlen schreiben sollen.

Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der Inhaber des Lehrstuhls Prof. Martin Morlok hat im Auftrag der nordrhein-westfälischen Grünen ein Gutachten zur Zulässigkeit der Postwurfsendung von Rainer Brüderle erstellt und diese scharf kritisiert.

Zitiervorschlag

Sebastian Roßner, Ein Brief von Brüderle mitten im Wahlkampf: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6127 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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