OLG Schleswig-Holstein zur Radfahrerhaftung: Helmpflicht durch die Hintertür

von Prof. Dr. Dieter Müller

20.06.2013

2/2: Helmpflicht und Mitverschulden– bislang nur für Motorradfahrer

Ein Mitverschulden eines Radfahrers allein daraus  herzuleiten, dass der Fahrradhelm geeignet gewesen wäre, die eingetretenen Verletzungen zu verringern oder gar zu vermeiden, wäre nur dann zulässig, wenn es eine Helmpflicht gäbe.

Für die vergleichbaren Fälle des Tragens von Sicherheitsgurten oder eines Schutzhelms für Motorradfahrer ist das anerkannt, weil die Verkehrsteilnehmer in beiden Konstellationen verpflichtet sind, die passiven Schutzvorrichtungen zu tragen. Fährt ein Biker ohne Schutzhelm und wird durch den Verkehrsverstoß eines anderen Verkehrsteilnehmers verletzt, muss er sich also ein Mitverschulden anrechnen lassen, weil er seinerseits eine passive Schutzpflicht missachtet hat.

Diese Grundsätze haben die genannten Oberlandesgerichte bereits aufgeweicht. Man darf ganz erheblich daran zweifeln, ob die Ausweitung des Mitverschuldens auf die besonders gefährdeten Gruppen der Kinder und Rennradfahrer zweckmäßig ist. Schließlich kann auch jeder andere Radfahrer einen riskanten Fahrstil pflegen und moderne Mountain-Bikes und City-Fahrräder können inzwischen Geschwindigkeiten erzielen, die denjenigen von Rennradfahrern in nichts nachstehen.

Nur wer sich falsch verhält, darf belastet werden

Das OLG Schleswig-Holstein will diese Mithaftung nun noch weiter, nämlich auf alle Radfahrer ausweiten. Der Senat führt dazu einen neuen Gedanken in die Diskussion ein, wenn er ein besonderes Verletzungsrisiko aller Fahrradfahrer feststellt und vor diesem Hintergrund die Auffassung vertritt, "dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird".

Diese Bemerkung ist zwar nach dem gesunden Menschenverstand inhaltlich richtig, darf aber nicht in eine juristische Verpflichtung umgedeutet werden mit der Folge, dass es indirekt zu einer Helmpflicht für Radfahrer käme. Natürlich trägt ein verkehrswidrig fahrender Autofahrer an der Entstehung eines Verkehrsunfalls mit einem Radfahrer die Schuld, und zwar sowohl nach dem Verhaltensrecht und dem Ordnungswidrigkeitenrecht, als auch nach dem zivilrechtlichen Haftungsrecht.

Es darf gerade nicht zu einer teilweisen Verlagerung des Verschuldens auf das Unfallopfer kommen, nur weil dieses sich nicht optimal geschützt, aber ansonsten keinerlei Fehlverhalten gezeigt hat. Die Bewertung des OLG Schleswig-Holstein ist auch im Sinne der Vorschrift des § 254 BGB ungerecht: Sie verlagert  die Schuld, wenn auch im konkreten Fall nur zu 20 Prozent, in unzulässiger Weise auf das unschuldige Unfallopfer.

Die Betrachtungsweise der Schleswiger Richter liefe letztendlich darauf hinaus, dass jeder sich bei jeglicher Art der Verkehrsteilnahme optimal schützen müsste, und zwar auch, wenn er dazu nicht gesetzlich verpflichtet ist und keinerlei Schuld an einem Unfall trägt. Diese Auslegung geht ersichtlich zu weit und belastet die Opfer über Gebühr.

Wie man es machen könnte: Sinn und Umsetzbarkeit der Helmpflicht

Der Radverkehr wird in Deutschland weiterhin zunehmen und mit ihm auch die Konflikte zwischen Radfahrern und Kraftfahrzeugführern sowie zwischen den Radfahrern untereinander. Vor dem Hintergrund der großen Verletzungsrisiken der potenziell ungeschützten Radfahrer sind passive Schutzmaßnahmen wie Fahrradhelme wünschenswert.

Wenn der Staat die teilweise erheblichen finanziellen und sozialen Unfallfolgen schwerer Kopfverletzungen nicht der Versichertengemeinschaft auferlegen und damit sozialisieren will, muss er sich zu einer Helmpflicht entschließen. Diese könnte er zunächst für Kinder und Rennradfahrer einführen, was  wäre wegen der potenziell höheren Verletzungsrisiken wohl auch unter Gleichheitsgesichtspunkten gerechtfertigt wäre.

Dann könnte man die Unfallentwicklung in diesen beiden Gruppen im Vergleich zu  allen anderen Radfahrern untersuchen. Bei einem messbaren positiven Effekt in den beiden Risikogruppen wäre eine allgemeine Helmpflicht für alle Radfahrer eine logische Folge.

Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachdozent für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht. Sein Artikel ist nicht dienstlich veranlasst und gibt ausschließlich die private Meinung des Autors wieder.

Zitiervorschlag

Dieter Müller, OLG Schleswig-Holstein zur Radfahrerhaftung: . In: Legal Tribune Online, 20.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8976 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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