Das BVerfG weigerte sich, die Verfassungsfreundlichkeit der NPD festzustellen. Deshalb kündigte die Partei den Gang nach Straßburg an. Während sie im Fall eines Verbots durch Karlsruhe auf den EGMR hoffen kann, werden die europäischen Richter die staatlichen Warnungen vor den Nationaldemokraten im Ergebnis wohl wie ihre deutschen Kollegen durchgehen lassen, meinen Dominik Schnieder und Sebastian Roßner.
Im November erregte die NPD Aufsehen mit einem Antrag beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) festzustellen, sie sei nicht verfassungswidrig. Erwartungsgemäß scheiterte die Partei damit jedoch (Beschl. v. 20.02.2013, Az. 2 BvE 11/12).
Weder das Grundgesetz noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sähen ein entsprechendes Verfahren vor, so die Karlsruher Richter. Da jede Partei als verfassungskonform zu behandeln ist, solange das BVerfG nicht das Gegenteil festgestellt hat, entstehe dadurch keine Rechtsschutzlücke.
Auch der Hilfsantrag der Partei, festzustellen sie sei in ihrer Parteienfreiheit verletzt, weil Bundestag, -rat und -regierung immer wieder behaupteten, sie sei verfassungswidrig, gleichzeitig aber keinen Verbotsantrag stellten, hatte keinen Erfolg.
Sachliche Diskussion über Verfassungswidrigkeit auch nach EMRK möglich
Die NPD will nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ziehen. Erfolg dürfte sich damit nicht haben. Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) kennt keinen Rechtsbehelf, mit dem Parteien feststellen lassen können, dass sie konventionskonform sind.
Allerdings könnte der EGMR durchaus die zitierten Äußerungen von Ministerpräsidenten, Landesinnenministern, Bundestagsabgeordneten und einer Bundesministerin über die Verfassungswidrigkeit der Nationaldemokraten als Eingriff in die Parteienfreiheit, Art. 11 Abs. 1 EMRK, werten. Anders als in Karlsruhe, wo die NPD die Äußerungen organstreitfähigen Antragsgegner zuordnen musste, genügt es vor dem EGMR, dass die Aussagen hoheitlich waren und damit dem Staat insgesamt zurechenbar sind.
Aber auch gemessen an der EMRK muss es möglich sein, eine politische Diskussion über die Verfassungswidrigkeit einer Partei zu führen. Bleibt diese sachlich und nimmt keinen diffamierenden Charakter an, werden auch die Straßburger Richter wie ihre deutschen Kollegen wohl bereits daran zweifeln, dass die Kommentare überhaupt in die Rechte der Partei eingreifen, und zwar auch dann, wenn sie von hochrangigen Politikern stammen. Anders liegt der Fall, wenn die Akteure den Glaubwürdigkeitsbonus staatlicher Ämter in Anspruch nehmen. Erklärt etwa der Bundesinnenminister auf einer Bundespressekonferenz, er halte eine Partei für verfassungswidrig, ist diese Äußerung der Bundesrepublik zuzurechnen und greift in die Rechte der Betroffenen ein.
Staatliche Warnungen vor einer Partei bedürfen einer Ermächtigung
Aber auch nach der EMRK unterliegt die Parteienfreiheit durchaus Schranken, die in Art. 11 Abs. 2 genannt werden. Der Staat darf die Parteienfreiheit einschränken, auch um die demokratische Ordnung an sich zu schützen. Eine Partei als "verfassungswidrig" oder "verfassungsfeindlich" zu bezeichnen, hat eine warnende Wirkung, die wohl geeignet ist, Gefahren für die demokratische Ordnung zu bekämpfen.
Allerdings muss ein Eingriff nach Art. 11 Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen sein. Für Warnungen vor einer Partei etwa durch die Bundesregierung gibt es zwar keine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Die deutsche Rechtsprechung erkennt aber seit geraumer Zeit an, dass Regierungsorgane im Rahmen ihres Aufgabenbereichs vor Gefahren warnen dürfen. Die nationale Kritik an dieser Rechtsprechung, dass für die Regelung von Grundrechtseingriffen der Bundestag zuständig sei, dürfte für den EGMR nicht relevant sein. Der Gesetzesvorbehalt der EMRK soll die Bürger lediglich vor unbestimmten und unvorhersehbaren Beeinträchtigungen schützen. Dafür macht es aber kaum einen Unterschied, wie innerhalb der Einzelstaaten die Zuständigkeiten verteilt sind. Eine richterrechtliche Ausgestaltung von Warnungen in Deutschland dürfte deshalb auch nach der Konvention genügen.
Straßburg wird wohl Verbotsverfahren in Karlsruhe abwarten
Die Warnungen vor der NPD sind vermutlich auch notwendig im Sinne von Art. 11 Abs. 2 EMRK. Für ein Verbot verlangen die Straßburger Richter eine konkrete, von der Partei ausgehende Gefahr für die demokratische Ordnung. Die deutschlandweiten Umfragewerte der NPD verharren zwar auf niedrigem Niveau (bei kaum mehr als zwei Prozent); zudem ist die Partei chronisch pleite. Allerdings ist sie immerhin in zwei Landtagen und mehreren Kommunalparlamenten vertreten.
Eine konkrete Gefährdung der demokratischen Ordnung ist daher zumindest für bestimmte Regionen nicht gänzlich auszuschließen. Für ein Parteiverbot würde dieser relativ geringe Grad an Gefahr, der von der NPD ausgeht, dem EGMR zwar nicht ausreichen. Anderes gilt aber möglicherweise für Warnungen, die weit weniger stark in die Rechte der Partei eingreifen: Die Existenz und politische Tätigkeit der NPD wird durch die Äußerungen rechtlich nicht tangiert. Sie darf weiterhin ihre Standpunkte vertreten, um die Gunst der Wähler buhlen und sich im offenen Meinungskampf mit den erhobenen Vorwürfen auseinandersetzen.
Die Rechtsprechung des EGMR steht stets in einem gesamteuropäischen Kontext, die Richter berücksichtigen bei ihren Entscheidungen aber auch immer die spezielle Situation in den einzelnen Konventionsstaaten. Straßburg könnte daher das sich abzeichnende zweite Verbotsverfahren gegen die NPD vor dem BVerfG abwarten. Jedenfalls wird dem Gerichtshof die Bedeutung seiner Entscheidung für das deutsche Verfahren sicherlich bewusst sein.
Der Autor Dominik Schnieder ist Lehrassistent an der Professur für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Sebastian Roßner, EGMR wird NPD nicht helfen: . In: Legal Tribune Online, 13.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8315 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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