Das Ansehen von "Made in Germany" ist infolge der VW- und DFB-Skandale angeschlagen – das schadet der Volkswirtschaft als Ganzes. Hermann Dück schlägt vor, die Herkunftsbezeichnung als Kollektivmarke mit festen Standards zu verankern.
"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!" soll schon Lenin gesagt haben. Oft kommt diese Erkenntnis zu spät. Welche Folgen falsche Anreize und Intransparenz haben können, zeigt sich aktuell an den Fällen von VW und DFB. Während VW aufgrund der Abgasaffäre möglichen Strafzahlungen und Schadensersatzforderungen in Milliardenhöhe entgegensieht, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den DFB wegen Anfangsverdachts der Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall in Zusammenhang mit der WM-Vergabe 2006.
Als größtes Unternehmen des Landes galt VW bislang als Repräsentant deutscher Wertarbeit. Der auch im Ausland verwendete Werbeslogan "Das Auto" stellt einen klaren Bezug zum Inland her. Auch, wenn das Unternehmen nicht explizit mit den Worten "Made in Germany" wirbt, dürfte der jüngste Skandal doch negativ auf andere Hersteller ausstrahlen, die dies tun. Durch den fast zeitgleichen Fall des DFB wird es zudem deutlich schwieriger, das deutsche Ansehen mit dem Einwand "Ausnahmen bestätigen die Regel" zu verteidigen.
"Made in Germany" kann bis zu 10 % Mehrpreis einbringen
Warum aber ist das wichtig? Es wird geschätzt, dass "Made in Germany" einen Mehrpreis von bis zu 10 % rechtfertigt. Nach Schätzungen entspricht dies jährlich mindestens einem zweistelligen Milliardenbetrag. Sind Abnehmer nicht länger bereit, diesen Preisaufschlag zu bezahlen, so stellt das für die gesamte Volkswirtschaft ein Problem dar.
Die Gefahr für "Made in Germany" liegt vor allem darin, dass mit dem Vertrauens- ein Ansehensverlust einhergeht. Dass Passivität die Reputation beschädigen kann, demonstriert das Beispiel Großbritanniens Ende des 19. Jahrhunderts. Um sich gegen günstige Importe u.a. aus Deutschland zu schützen, erließ man 1887 den Merchandise Marks Act. Dieses Gesetz verpflichtete die Hersteller dazu, das Herkunftsland anzugeben: "Made in Germany" war geboren. Da deutsche Hersteller jedoch qualitativ besser wurden und die einst führenden britischen Produzenten weitgehend untätig blieben, kehrten sich die Verhältnisse um.
Vertrauensgut "Made in Germany" und "signalling"
Wie kann man hierzulande also dem damaligen Schicksal Großbritanniens entgehen? Was muss geschehen, damit "Made in Germany" nicht zum Auslaufmodell wird? Auf der Suche nach einer Antwort landet man in der Informationsökonomie. Als Grundlage jeder Interaktion ist Information ein wesentlicher Wertfaktor. Wissen Anbieter von Gütern etwas, wovon die Nachfrager keine Kenntnis haben, spricht man von Informationsasymmetrie. Die Unsicherheit bei den Nachfragern ist dabei umso größer, je schwieriger es für diese ist, die notwendigen Informationen zu beschaffen.
So lässt sich die Qualität einfacher Suchgüter schon vor dem Erwerb durch Beobachtung feststellen. Bei anspruchsvolleren Erfahrungsgütern beruhen die Qualitätsvorstellungen auf Eindrücken, welche die Nachfrager nach dem Kauf des Produkts gewinnen. Bei Vertrauensgütern ist praktisch keine Überprüfung möglich und der Abnehmer darauf angewiesen, dem Anbieter zu "glauben". "Made in Germany" ist insbesondere für technisch komplexe (Industrie-) Erzeugnisse bekannt, bei denen es sich oftmals um Vertrauensgüter handelt. Hieraus resultiert ein starkes Informationsbedürfnis.
Nach den Erkenntnissen des Ökonomie-Nobelpreisträgers Akerlof bewirkt asymmetrische Information hinsichtlich der Güterqualität, dass die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager sinkt. Fallende Preise wiederum wirken sich negativ auf das Qualitätsniveau aus. Dies mündet in einer Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und abnehmender Qualität, bis sich ein Gleichgewicht an dem Punkt einstellt, an dem sich das Angebot und die Nachfrage nach minderwertiger Ware ausgleichen.
Wollen die Anbieter qualitativ hochwertiger Güter ihr höheres Preisniveau halten, müssen diese Vertrauen aufbauen, welches den Aufschlag rechtfertigt. Das funktioniert am besten, wenn man im Sinne der Theorie des "signalling" Qualitätssignale aussendet. Wie die aktuellen Vorfälle zeigen, lässt sich von der Herkunft aus Deutschland nicht zwangsläufig auf eine hohe Qualität bzw. einwandfreies Verhalten schließen. Man sollte daher dem besonderen Ruf von "Made in Germany" Substanz verleihen, indem man das Qualitätsversprechen konkretisiert.
Der Weg von "Made in Germany" zur Kollektivmarke bzw. zum Gütesiegel
In seinem Beschluss vom 27. November 2014 (Az. I ZR 16/14) bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH) die bisherige (höchstrichterliche) Rechtsprechung zu "Made in Germany". Diese verlangt, dass die Vorgänge in Deutschland stattfinden, durch welche die Ware diejenigen Eigenschaften erhält, die aus Sicht des Rechtsverkehrs qualitativ wesentlich sind. Wie zuvor beschrieben, kann dies der Rechtsverkehr gerade bei Vertrauensgütern nicht ohne Weiteres feststellen. Das insofern abstrakte und bei Fehlverhalten leicht enttäuschte Vertrauen erfordert vielmehr ausdrückliche Qualitätsregeln.
Gemäß § 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Markengesetz (MarkenG) besteht für die Exekutive die Möglichkeit, für geographische Herkunftsangaben wie "Made in Germany" Bestimmungen über die Qualität und die dafür maßgeblichen Umstände in einer Verordnung (VO) zu erlassen. Der Verordnungsgeber kann allerdings die technischen Details gar nicht kennen. Er sollte deshalb in der VO vorsehen, dass ein Verein "Made in Germany" zu gründen ist, der diese Aufgabe übernimmt. So hat der Verordnungsgeber schon die Qualitätsbestimmung bei der Verordnung für Schneidwaren aus Solingen an die Praxis delegiert.
Der nach Branchen untergliederte Verein könnte dann eine Dach-Kollektivmarke für "Made in Germany" eintragen lassen. Die einzelnen Branchen würden in einer Markensatzung die speziellen Qualitätsanforderungen gemäß § 102 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG für ihren jeweiligen Bereich aufstellen. So könnte z.B. die Automobilindustrie die Nutzung von "Automotive Made in Germany" regeln. Als Gütegemeinschaften würden die Branchen über die betreffenden Kollektivmarken bzw. Gütesiegel "Made in Germany" wachen. Ein vereinsinternes Kontrollgremium aus öffentlich-rechtlichen Vertretern, Prüfverbänden und Verbraucherorganisationen könnte die Wertigkeit der Standards sichern.
Natürlich kann man kritisch auf den hiermit verbundenen Aufwand hinweisen. Man müsste dann aber eingestehen, dass ein Mindestmaß an Bürokratie ebenfalls eine deutsche "Tugend" und irgendwie "Made in Germany" ist. Ganz ernsthaft wäre bei der Abwägung zwischen Aufwand und Ertrag der Wert von "Made in Germany" zu berücksichtigen. Zuletzt könnte man den Kritikern ein weiteres Zitat Lenins zurufen: "Was (sonst) tun?" – und dabei zu bedenken geben, dass Nichtstun auch keine Lösung ist.
Der Autor Dr. iur. Hermann Dück, Siegen hat zum Thema "Made in Germany" zwischen Auslaufmodell und Gütesiegel (LIT Verlag, Münster 2015) promoviert.
"Made in Germany" als Kollektivmarke?: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17452 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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