Entschädigung für NS-Opfer: "Kein anderes Land hat so Wiedergutmachung geleistet"

Interview mit Matthias Druba, LL.M. (George Washington)

26.11.2012

Jedes Jahr treffen sich das Bundesfinanzministerium und die Jewish Claim Conference, um über die Entschädigung von NS-Opfern zu verhandeln. Mitte November 2012 verständigte man sich auf finanzielle Hilfen für bislang ohne Entschädigung gebliebene Verfolgte in Osteuropa und der Ex-Sowjetunion. Matthias Druba erklärt im LTO-Interview die Einmaligkeit der deutschen Bemühungen um Wiedergutmachung.

LTO: Am 10. September 1952 unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und der damalige israelische Außenminister Moshe Scharett das so genannte Luxemburger Abkommen, das die Entschädigung von NS-Opfern regelt. Wie kann es sein, dass es 60 Jahre später noch immer Verfolgte gibt, die bisher nicht entschädigt wurden?

Druba: Entschädigen konnte man ja nur die Leute, die auch erreichbar waren, und das war in Osteuropa während des Kalten Kriegs nicht der Fall. Die dortigen Staaten hatten auch gar kein Interesse an einer Entschädigung. Ihrer Auffassung nach waren sie selbst Opfer des Nationalsozialismus und waren deshalb nicht in der Pflicht, NS-Unrecht rückgängig zu machen.

Außerdem hat sich der Fokus immer mehr erweitert. Das Luxemburger Abkommen konzentrierte sich noch darauf, umfängliche Pauschalzahlungen zu leisten, um Israel eine Starthilfe zu geben. Später verständigte man sich dann über die Rückgabe von geraubtem Eigentum oder Entschädigungen für Dinge, die nicht mehr zurückgegeben werden konnte. Heute geht es eher um Pflege, Unterbringung und Renten.

Zudem versucht man, diejenigen zu bedenken, die bisher nicht erreichbar waren, weil sie weder nach Israel ausgewandert sind noch in einem der westlichen Länder leben. Meist sind das Überlebende aus Osteuropa.

"Pauschalzahlungen sollten ein neues Leben ermöglichen"

LTO: Wozu hat sich Deutschland mit dem Luxemburger Abkommen verpflichtet?

Rechtsanwalt und Notar Matthias DrubaDruba: Israel eine erhebliche Summe in Raten zu zahlen. Man kann das eine pauschale Starthilfe nennen oder ein Anerkenntnis dafür, dass Israel viele Verfolgte aufgenommen hatte. Außerdem gab es Pauschalzahlungen an die Jewish Claims Conference, um Verfolgte in der restlichen Welt zu versorgen, da ja bei weitem nicht alle Juden nach Israel gegangen sind. Diese Zahlungen waren nie für die Abgeltung konkreter Schäden gedacht, also ein verlorenes Mietshaus oder eine beschlagnahmte Buchhandlung; sie sollten vielmehr ein neues Leben ermöglichen. In Israel wird das Geld für den Bau von Heimen, aber auch für den Straßenbau verwandt worden sein.

LTO: Sie haben eben schon die Jewish Claims Conference erwähnt. Wer ist das, wer steht dahinter?

Druba: Furchtbar viele Einzelorganisationen. Das ist eine Art Dachverband aller jüdischen Wohlfahrtsorganisationen. Ein Gremium, das die Gelder sammelt und dann nach unten weiterreicht.

LTO: Dieser Verband tritt heute auch als Vertragspartner von Deutschland auf? Nicht Israel?

Druba: Ja, da Israel kein Rechtsnachfolger der Verfolgten Juden ist. Israel ist einfach ein Staat, der von sich selbst auch gar nicht sagt, dass er jüdisch ist.

"Abkommen war eine Eintrittskarte für die Rückkehr in die zivilisatorischen Kreise"

LTO: Das BMF hält das Abkommen unter historischen, politischen und völkerrechtlichen Gesichtspunkten für etwas ganz Besonderes. Stimmen Sie dem zu?

Druba: Ja, natürlich. Auch wenn es politisch unkorrekt klingen mag: Kein anderes Land hat für das, was es anderen angetan hat, in dieser Form Wiedergutmachung geleistet. Wobei ich nicht nur von der Rückgabe von geraubtem Eigentum spreche, sondern von Zahlungen, die langfristige Konsequenzen der Verfolgung abdecken sollen.

Selbstverständlich kann man keine direkten Vergleiche ziehen. Dennoch: Wie verhält sich Frankreich gegenüber Algerien oder die ehemaligen Kolonialmächte? Letztere loben sich natürlich dafür, dass sie überall Eisenbahnen verlegt haben. Aber darauf sollen sie sich ja nicht beschränkt haben.

Ich denke, man kann als Deutscher wirklich stolz darauf sein, dass es das einzige Land ist, das gesagt hat, wir haben etwas Furchtbares gemacht, wir erkennen das an und wir wollen das wiedergutmachen oder zumindest die Folgen des Leids zu lindern versuchen. Sicherlich war das Anerkenntnis, dass der Holocaust keine normale Kriegsführung gewesen ist, aber auch so etwas wie eine Eintrittskarte für die Rückkehr in die zivilisatorischen Kreise.

Zitiervorschlag

Entschädigung für NS-Opfer: . In: Legal Tribune Online, 26.11.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7637 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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