Die Medienöffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen ist ein sehr sensibles Thema. Aus gutem Grund hat der Gesetzgeber bereits 1964 mit § 169 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Bild- und Tonaufnahmen während der Gerichtsverhandlung verboten. Das Verbot schützt nicht nur die Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten. Vor allem gewährleistet es einen ungestörten Verfahrensablauf und die Wahrheits- und Rechtsfindung. Die Funktionsfähigkeit der Justiz hat auch in unserer modernen Mediengesellschaft Vorrang vor dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
Zwar sind Gerichtsverhandlungen und Urteilsverkündungen öffentlich. Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, ein faires Verfahren zu gewährleisten und die Justiz transparent zu halten. Recht soll nicht im stillen Kämmerlein gesprochen werden. Allerdings ist die Öffentlichkeit im Gerichtsaal nicht gleichzusetzten mit Medienöffentlichkeit.
Verbot schützt die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten
Mit ihrem Beschluss reagieren die Justizminister auch auf die Beschwerden von Medienvertretern, die sich immer wieder über erschwerte Arbeitsbedingungen bei der Berichterstattung über Gerichtsverfahren beklagen. Sie finden das Verbot von Smartphones und Videokameras unzeitgemäß. Die geplante Lockerung des Verbotes von Bild- und Tonaufnahmen aus dem Gerichtssaal wird gern als natürlicher Fortschritt dargestellt, mit dem sich unsere Justiz an die moderne Mediengesellschaft anpasst. Das klingt zunächst einleuchtend. Schließlich stammt das Verbot aus den 60er-Jahren, einer Zeit ohne Smartphones, ohne Online-Berichterstattung und ohne Internet-TV. Aber ist das Verbot daher überholt? Auch das Fernsehen war schon damals ein echtes Massenmedium. Der Gesetzgeber hat sich dennoch bewusst gegen eine Radio- und Fernsehübertragung aus dem Gerichtssaal entschieden. Und das aus gutem Grund. Das Verbot schützt die Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten, den ungestörten Verfahrensablauf und die Wahrheits- und Rechtsfindung.
Live-Übertragung der Urteilsverkündung birgt Gefahr der Prangerwirkung
Wenn es nach den Landesjustizministern geht, sollen die Urteilsverkündungen der fünf obersten Bundesgerichte bald live im Radio und Fernsehen übertragen werden können. Was vorher nur für Urteile des Bundesverfassungsgerichts galt, könnte auch für den Bundesgerichtshof, das Bundesarbeitsgericht, das Bundessozialgericht, das Bundesverwaltungsgericht und den Bundesfinanzhof Wirklichkeit werden.
Die meisten Urteilsverkündungen dürften schlechte Einschaltquoten bringen, nur sehr selten erregen Gerichtsverfahren in großem Maße die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Meist tun dies nur Strafprozesse. Gerade bei solchen besteht aber die große Gefahr der Prangerwirkung. Man nehme nur den Kachelmann-Prozess als Beispiel oder aktuell den Tugce-Prozess. In diesem besonders öffentlichkeitswirksamen Verfahren hatte das Gericht sogar das Live-Twittern aus dem Gerichtssaal untersagt. Von den Gerichten wird diese moderne Form der Kommunikation aber meist zu Recht toleriert. Videoaufnahmen intensivieren dagegen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und deren Wahrnehmung des Verfahrens in viel stärkerem Maße, Bilder brennen sich ins Gedächtnis. Nicht ohne Grund verhüllen die meisten Angeklagten auf Gerichtsfotos ihr Gesicht.
Gefahr der Beeinflussung von Richtern
Die Live-Übertragung der Urteilsbegründung könnte auch die Unabhängigkeit der Richter und deren Entscheidung beeinflussen. Richter könnten versucht sein, ihre Urteilsbegründung nach der Reaktion der Medien und der Öffentlichkeit auszurichten. Es besteht außerdem das Risiko, dass die Aufnahmen im Nachhinein bearbeitet, geschnitten oder selektiv wiedergegeben werden.
Gerichtsverfahren von sogenannter herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sollen sogar in Gänze audio-visuell dokumentiert werden können. Diese Dokumentation betrifft auch besonders sensible Verhandlungsabschnitte wie die Beweisaufnahme einschließlich der Vernehmung von Zeugen.
Allerdings soll keine Live-Übertragung der gesamten Verhandlung erlaubt sein, sondern nur eine "begrenzte Verwendung" der Aufzeichnungen. Bislang ist unklar, was unter einer solchen begrenzten Verwendung zu verstehen ist und wie diese verlässlich garantiert werden soll. Gibt es erst einmal Filmaufnahmen steht zudem zu befürchten, dass diese ungewollt an die Öffentlichkeit kommen.
Gehemmte Zeugen gefährden das gerechte Urteil
Eine audio-visuelle Aufzeichnung des gesamten Gerichtsverfahrens stellt eine besonders schwere Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Prozessbeteiligten dar. Sie kann die Rechts- und Wahrheitsfindung zu einem Zeitpunkt beinträchtigen, zu dem das Urteil noch nicht gefällt ist. Einen Zeugen, der sich einer Videokamera gegenüber sieht, wird der begrenzte Verwendungszweck der Aufnahmen nicht beruhigen. Videokameras führen in der ohnehin ungewohnten und oft emotional angespannten Situation der Zeugenaussage zu weiterer Nervosität und Unsicherheit. Viele Menschen verändern ihr Verhalten, wenn Kameras auf sie gerichtet sind. Ein gehemmter Zeuge gefährdet ein gerechtes Urteil.
Gerichtssaal nicht mit Bundestag vergleichbar
Vergleiche von Befürwortern mit der Übertragung von Sitzungen des Bundestages hinken. Der Zeuge, der mit seiner Aussage vor Gericht seine Staatsbürgerpflicht erfüllt, ist nicht gleichzusetzen mit dem Bundestagsabgeordneten, dessen Rede im Fernsehen übertragen wird. Während der Bundestagsabgeordnete die Publicity schätzt und sucht, wird der Zeuge ihr unfreiwillig ausgesetzt.
Mit engagierter Berichterstattung über Gerichtsverfahren fördern Journalisten eine effektive öffentliche Kontrolle der Justiz und sorgen damit auch für faire Verfahren. Die Lockerung des Verbots von Bild- und Tonaufnahmen droht diese positive Wirkung ins Gegenteil zu verkehren.
Die Autorin Lucie Gerhardt ist Rechtsanwältin in der Praxisgruppe Litigation, Arbitration & ADR der Kanzlei Noerr. Ihre Schwerpunkte liegen in den Bereichen Schiedsgerichtsbarkeit und internationale Prozessführung.
Kameras in Gerichtssälen: . In: Legal Tribune Online, 30.06.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16028 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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