Eurobonds: Deutschlands Haftung für die Schulden Europas

von Prof. Dr. Sebastian Müller-Franken

13.06.2012

Die Debatte über Eurobonds erweckt den Eindruck, als sei deren Einführung nur eine Frage des politischen Willens. Unerörtert bleibt, ob sie rechtlich überhaupt erlaubt wäre und ob nicht bereits das Europarecht solche Mittel gerade ausschließen will. Ein Kommentar von Sebastian Müller-Franken.

Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft. Ihr Sein und Handeln wird begründet und begrenzt durch das Gesetz. Das gilt auch für die Maßnahmen zur "Rettung des Euro", mag dies auch nicht jeder der Beteiligten so sehen. Insbesondere die Vereinbarkeit von Eurobonds mit dem Europarecht ist mehr als fraglich.

Eurobonds sind Anleihen, deren Rückzahlung die Staaten der Währungsunion garantieren. Ihr Zweck ist es, einen einheitlichen, aus Sicht der Krisenstaaten vergleichsweise niedrigen Zins für alle Staaten zu erlangen. Entscheidend hierfür ist die Bereitschaft Deutschlands, als größtes Mitglied der Währungsunion mit höchster Bonität ("AAA"), diesem Haftungsverbund anzugehören. Die Märkte werden Kredite gegen niedrige Zinsen nur dann gewähren, wenn sie in dem Haftungsverbund einen Schuldner sehen, an den sie sich bei einem Ausfall eines oder mehrerer Staaten halten können. Eben diese Rolle soll Deutschland spielen.

Unter den zahlreichen Varianten von Eurobonds konzentriert sich die Diskussion gegenwärtig auf drei Modelle, die sich jeweils in Gegenstand und Reichweite der Finanzierung unterscheiden: klassische Eurobonds, Eurobonds zur Schuldentilgung und Projektbonds.

Alle Schulden oder nur ein paar Projekte – die diskutierten Modelle

Bei klassischen Eurobonds soll die gesamte Verschuldung der Eurostaaten auf Eurobonds umgestellt werden. Die Staaten könnten Eurobonds sowohl für ihre alten (derzeit 8,2 Billionen Euro) als auch die von ihnen geplanten neuen Schulden aufnehmen. Die Rückzahlung wäre garantiert durch die Staaten der Eurozone. Dies ist das bei den Befürwortern von Eurobonds begehrteste Konzept.

Mit Hilfe von Eurobonds zur Schuldentilgung können die Staaten den Teil ihrer Schulden, welcher die alte Maastricht-Schuldenobergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (aktuell 2,3 Billionen Euro) übersteigt, in einen Fonds auslagern, der dann über einen festgelegten Zeitraum abgezahlt werden soll. Das Programm wäre zeitlich und in seinem Volumen beschränkt. Der Fonds würde sich durch die Begebung niedrig verzinster Anleihen refinanzieren, deren Rückzahlung von den Staaten der Währungsunion garantiert würde.

Projektbonds dagegen dienen nicht der Finanzierung von Staatsschulden der Mitgliedstaaten, sondern der Finanzierung konkreter Vorhaben der Europäischen Union oder eines Mitgliedstaats. Ihre Rückzahlung würde wiederum durch sämtliche Staaten der Eurozone garantiert.

Keine Haftung für die Schulden anderer

Dreh- und Angelpunkt aller Formen von Gemeinschaftsanleihen ist die "No-bail-out-Klausel" in Art. 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach haftet die Union nicht für die Schulden der Mitgliedstaaten. Ebenso wenig bürgen die Staaten  für die Schulden der Union oder eines anderen Mitgliedstaats.

Gegen diese Regel verstoßen klassische Eurobonds. Führte man sie ein, würden die Staaten sich gerade dazu verpflichten, gegenseitig für ihre Schulden einzustehen. Anders war dies bei den bilateral gewährten Griechenlandhilfen. Denn diese leisteten die Staaten "freiwillig". Abhilfe würde es auch nicht schaffen, die Eurobonds völkerrechtlich formal außerhalb des AEUV zu organisieren. Eine solche Umgehung  würde am materiell-rechtlichen Gehalt dieses Haftungsregimes  nichts ändern.

Auch bei den Eurobonds zur Schuldentilgung würde faktisch für Schulden der Mitgliedstaaten gehaftet. Materiell ginge es hier nicht um eine Haftung für die Anleihen des Fonds, sondern um nichts anderes als die zumindest teilweise Vergemeinschaftung der Schulden der Staaten der Eurozone. Für den ebenfalls völkerrechtlich geregelten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sieht dies auch das Unionsrecht so. Mit einer ausdrücklichen Ergänzung des AEUV wollen die Mitgliedstaaten die Vereinbarkeit mit der No-bail-out-Klausel herstellen.

Projektbonds dagegen sind unionsrechtlich unproblematisch. Zwar haften auch hier die Staaten für die Schulden der Union sowie eines oder mehrerer anderer Staaten. Für gegenseitige finanzielle Garantien für gemeinsame Vorhaben sieht der AEUV in Art. 125 Abs. 1 S. 2 HS 2 aber ausdrücklich eine Ausnahme vom Verbot der No-bail-out-Klausel vor.

Abschied vom Konzept der bloßen Wirtschafts- und Währungsunion

Für die Einführung von klassischen und Eurobonds zur Schuldentilgung müssten die Mietgliedstaaten den AEUV ändern. Eine solche Änderung kann nur im ordentlichen Vertragsänderungsverfahren erfolgen, da die Zuständigkeiten der Union hierbei "ausgedehnt" würden, Art. 48 Abs. 6 EUV. Nötig ist dann die Einberufung eines Konvents. Dadurch würde Öffentlichkeit hergestellt. Es bedürfte zudem einer förmlichen Ratifikation.

Zwar würden durch klassische Eurobonds und solche zur Schuldentilgung formal keine neuen Zuständigkeiten auf die Union übertragen. Denn die Instrumente sollen auf völkerrechtlicher Basis neben den Institutionen der Union etabliert werden. Gleichwohl würde das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren dem Gehalt eines solchen Schrittes nicht gerecht. Nicht zuletzt geht es um den endgültigen Bruch mit dem ursprünglichen Konzept der Wirtschafts- und Währungsunion. Dieses Konzept beruhte auf der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, vor allem aber auf der Eigenverantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre Haushalte.

Sollen nun Schulden der Staaten vergemeinschaftet werden, wäre dies eine grundlegende Änderung nicht nur der Wirtschafts- und Währungsunion. In die Europäische Union würde mit dieser Institutionalisierung eines "Einstehens füreinander" ein Prinzip hineingetragen, das es nach Ansicht von Experten sonst nur in Bundesstaaten gibt. Ein solcher Schritt ließe sich nur durch eine Vertragsänderung im ordentlichen Verfahren begründen.

Dass die EU-Kommission als eine der größten Befürworterinnen von Eurobonds ihrer Aufgabe als "Hüterin der Verträge" gerecht wird, indem sie das Unionsrecht gegen ein abweichendes Vorgehen der Mitgliedstaaten durchsetzt, ist kaum zu erwarten.

Aber das Recht hört hier nicht auf. Es bleiben die verfassungsrechtlichen Grenzen, die das Grundgesetz den Haftungsübernahmen Deutschlands für die Schulden anderer Staaten zieht. Diese Grenzen zu verteidigen wird letztlich in den Händen des Bundesverfassungsgerichts liegen.

Der Autor Prof. Dr. Sebastian Müller-Franken ist Inhaber eines Lehrstuhls für öffentliches Recht an der Philipps-Universität Marburg. Fragen rund um das  Demokratieprinzip bilden einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Zuletzt hat er Eurobonds aus der Perspektive des Grundgesetzes einer Untersuchung unterzogen.

Zitiervorschlag

Eurobonds: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6380 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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