Der Verkauf von Marihuana ist verboten, also gab es bei "Alles rund um Hanf" synthetische Cannabinoide, die das BtMG noch nicht kannte. Eine Haftstrafe erhielt der Ladenbetreiber in erster Instanz dennoch und zwar nach dem AMG. Helmut Pollähne überzeugt das nicht: Arzneimittel seien Substanzen, die heilen, Drogen tun dies nicht. Nun muss der EuGH darüber entscheiden.
Ein Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) legt dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eine Frage zur Entscheidung vor. Das kommt nicht oft vor, man wird sich aber wohl daran gewöhnen müssen: Auch unser Strafrecht beruht mittlerweile in manchen Fällen auf europäischem Recht. So etwa eine Norm des Arzneimittelgesetzes (AMG), um deren Auslegung es ging.
Der Angeklagte betrieb einen "Alles rund um Hanf"-Shop und verkaufte auch sogenannte Legal Highs: kleine Tütchen mit Kräutermischungen, denen synthetische Cannabinoide beigemischt sind und die vor allem als Ersatz für Marihuana konsumiert werden. Diese auch "neue psychoaktive Substanzen" oder "Spice" genannten Stoffe unterfielen (damals noch) nicht dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG); verurteilt wurde der Angeklagte dennoch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, und zwar unter anderem wegen eines Verstoßes gegen §§ 5, 95 Arzneimittelgesetz (AMG). Danach ist es verboten, "bedenkliche Arzneimittel" in den Verkehr zu bringen.
Der 3. Strafsenat hatte nun in der Revision zu prüfen, ob jene Legal Highs überhaupt Arzneimittel im Sinne des § 2 AMG sind, und zwar "Funktionsarzneimittel" – eine lebhaft umstrittene Frage, die auch das Bundesverwaltungsgericht noch nicht beantwortet hat.
Deutsches Strafrecht vor dem EuGH
Nun geht es aber erst einmal nach Luxemburg. § 2 AMG beruht nämlich auf einer EU-Richtlinie, die der deutsche Gesetzgeber 2009 nahezu identisch übernommen hat. Die mit § 2 AMG verbundenen Auslegungsprobleme ergeben sich jedoch für Art. 1 Nr. 2 Buchst. b) jener Richtlinie gleichermaßen. Da die Auslegung von EU-Richtlinien aber dem EuGH obliegt und dieser über die Frage auch noch nicht entschieden hat, durfte der BGH weder die EU-Richtlinie selbst noch § 2 AMG auslegen.
Das Zusammenwachsen der EU in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat seine Tücken – der BGH hat sie erkannt und den einzig richtigen Weg gewählt; die Vorlagepflicht folgt im Übrigen aus Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
Mit einem am vergangenen Montag veröffentlichten Beschluss wollen die Karlsruher Richter von ihren Kollegen in Luxemburg wissen, ob die EU-Richtlinie dahin auszulegen ist, dass Stoffe, die die menschlichen physiologischen Funktionen lediglich beeinflussen – also nicht wiederherstellen oder korrigieren –, nur dann Arzneimittel sind, wenn sie einen therapeutischen Nutzen haben oder körperliche Funktionen zum Positiven hin beeinflussen (Beschl. v. 28.05.2013, Az. 3 StR 437/12). Oder anders gefragt: Fallen gesundheitsgefährdende Stoffe, die allein deswegen konsumiert werden, weil sie einen Rauschzustand hervorrufen, nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie?
Dabei lässt der 3. Strafsenat durchblicken, wie er selbst die Frage beantworten würde, könnte er autonom entscheiden. Arzneimittel seien von jeher von dem Zweck geprägt, Krankheiten zu heilen, zu verhüten und Diagnosen zu ermöglichen. Mit diesem allgemeinen Begriffsverständnis sei es nicht in Einklang zu bringen, auch solche Stoffe darunter zu subsumieren, die zwar unzweifelhaft die körperlichen Funktionen beeinflussen, aber ausschließlich gesundheitsschädliche Wirkungen haben.
Arzneimittel heilen, Legal Highs schaden
Am Ende geht es um Drogenpolitik: Ob der Verkauf von Betäubungsmitteln eine Straftat ist, regelt das BtMG mitsamt seinen Anlagen abschließend (der Wirkstoff JWH-210, um den es hier geht, wurde inzwischen in Anlage II des BtMG aufgenommen). Das AMG darf nicht als Auffangtatbestand für solche Substanzen herhalten, die der Gesetzgeber – beziehungsweise die Bundesregierung, soweit es um die Anlagen geht – dem Anwendungsbereich des BtMG nicht oder noch nicht unterworfen hat. Dies ist ein Gebot des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes, wonach die Strafbarkeit "gesetzlich bestimmt" worden sein muss, bevor die Tat begangen wurde.
Fielen Legal Highs in den Anwendungsbereich des AMG, würden außerdem die Grenzen zwischen Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht verschwimmen und die verfassungsrechtlich geforderte Normenklarheit auf der Strecke bleiben. Erinnert sei an den Zweck des AMG, "im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel" zu sorgen.
Insoweit ist zu hoffen, dass der EuGH die ihm vorgelegte Frage im Sinne des 3. Strafsenats beantwortet und klarstellt, dass die Richtlinie (und damit auch § 2 AMG) nicht so auslegen ist, dass die Legal Highs Funktionsarzneimittel sind. Sollten die Luxemburger Richter eine andere Auslegung bevorzugen, müsste der BGH dieses Ergebnis immer noch mit der deutschen Rechtssystematik und mit Art. 103 Abs. 2 GG in Einklang bringen.
Der Rest wäre eine Frage des Verbotsirrtums: Wenn sich schon der BGH nicht sicher ist, ob das Tun des Angeklagten strafbar war, und wenn weder eindeutige Entscheidungen des EuGH noch höchster deutscher Gerichte dazu existierten, dann wird man kaum zu dem Ergebnis kommen können, der Irrtum des Angeklagten über die Strafbarkeit sei vermeidbar gewesen.
Der Autor Dr. iur. habil. Helmut Pollähne ist Privatdozent am Institut für Kriminalpolitik der Universität Bremen und Rechtsanwalt in Bremen.
Helmut Pollähne, Legal Highs vor dem EuGH: . In: Legal Tribune Online, 08.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9093 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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