Zuständig für ein Asylverfahren ist das Land, in dem zuerst der Antrag gestellt wurde, nicht etwa das Land der ersten Einreise. Die Dublin III-Verordnung, so die Generalanwältin beim EuGH, sei für Flüchtlingsströme wie den in 2015 nicht gemacht.
Stellen wir uns einmal vor, Grenzmitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) wie Kroatien wären für die Aufnahme und Betreuung außergewöhnlich hoher Zahlen von Asylbewerbern zuständig. Nun, dann bestünde ein echtes Risiko, dass sie schlicht nicht imstande wären, die Situation zu bewältigen – und ihren unions- und völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könnten. Das darf nicht sein – so ergebnisorientiert argumentierte die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag zu den Zuständigkeiten der Mitgliedsländer für Asylverfahren.
Die Dublin III-Verordnung (VO) aus dem Jahr 2013 regelt, welches Land der Europäischen Union für Asylanträge von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen zuständig ist. Das ist das Land, in dem der Schutzsuchende erstmalig europäischen Boden betritt. Eigentlich.
Denn, so teilte es am Donnerstag die Generalanwältin Eleanor Sharpston am (EuGH) mit, eine solche Auslegung würde von vorneherein die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Union festlegen. Darauf ziele die VO jedoch nicht ab.
Ganz außergewöhnliche Umstände
Im Jahr 2015 machten sich über eine Million Menschen – Flüchtlinge, Vertriebene und andere Migranten – auf den Weg in die EU, teilte der EuGH mit. Viele von ihnen hätten internationalen Schutz begehrt. Es sei die größte Massenbewegung von Personen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Diese "ganz außergewöhnlichen Umstände" bilden den Hintergrund von zwei Fällen, zu denen die Generalanwältin ihre Schlussanträge vorgelegt hat.
Die Verfahren betreffen die Migrationsroute über den Westbalkan. Sie führte auf dem See- und/oder Landweg aus Ländern des Nahen Ostens in die Türkei, von dort in westlicher Richtung nach Griechenland und dann auf den Westbalkan, dazu gehören Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn und Slowenien.
In beiden Fällen geht es um das Verhältnis von EU-Recht zur Dublin III-VO, zum Schengen-Grenzkodex sowie zur Auslegung von Visumsregelungen und um die Definition der unrechtmäßigen bzw. illegalen Einreise.
Kein Land fühlt sich zuständig
In einem Fall hatten kroatische Behörden für einen über die Westbalkanroute geflüchteten Syrer (Az. C-490/16, A. S.) die Beförderung an die slowenische Staatsgrenze organisiert. Der Mann stellte in Slowenien einen Asylantrag. Eine illegale Einreise, die zur Unzuständigkeit von Slowenien führen könnte, liegt seiner Ansicht nicht vor, weil die Duldung der Ausreise durch die Kroaten wie eine legale Einreise zu bewerten sei.
In einem zweiten Fall waren im Jahr 2015 zwei afghanische Frauen mit ihren Kindern über die Westbalkanroute nach Österreich geflohen (Az. C-646/16, Jafari). Sie reisten zunächst nach Griechenland ein, dann über Kroatien weiter nach Österreich. Die Österreicher meinen, die Familien seien in Griechenland illegal in das Unionsgebiet eingereist, weil sie als afghanische Staatsangehörige Visa benötigt hätten. Da aber in Griechenland systemische Mängel im Asylverfahren bestünden, sei nach der Dublin-III-VO Kroatien zuständig. Die Frauen meinten, ihr Grenzübertritt sei wegen des Schengener Grenzkodex‘ nicht illegal, daher sei Österreich für die Durchführung ihres Asylverfahrens zuständig
Tanja Podolski, Generalanwältin am EuGH zur Zuständigkeit für Asylverfahren: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23146 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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