Wer soll die Energiewende bezahlen? Alle? Nur Erzeuger und Nutzer von Strom aus fossilen Quellen? Je mehr sich die erneuerbaren Energien durchsetzen, desto komplizierter wird eine gerechte Verteilung der Kosten. Margarete von Oppen hat ein Gutachten für die Solarbranche erstellt. Sie hält es für bedenklich, dass an den Kosten beteiligt werden soll, wer die Energiewende vorbildlich umsetzt.
LTO: Anfang August soll die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in Kraft treten. Ziel ist es, die Kosten für die Energiewende gerechter zu verteilen. Belastet werden soll in Zukunft deshalb auch, wer seinen Strom selbst aus erneuerbaren Energien erzeugt. Wer tut das in der Regel?
von Oppen: Vor allen Dingen investiert der Mittelstand, also Gewerbe, Dienstleistung, Handel und Landwirtschaft in Solarstromanlagen. Daneben gibt es noch den privaten Bereich: das klassische Einfamilienhaus mit wenigen Solarpanelen auf dem Dach. Die sind aber weniger betroffen, weil der Gesetzentwurf eine Grenze bei zehn Kilowattstunden zieht. Nur wer mehr Leistung installiert, soll die EEG-Umlage zahlen müssen.
LTO: Wieso wehrt sich dann die Solarbranche gegen diese Neuregelung und nicht mittelständische produzierende Unternehmen?
von Oppen: Der Verband versteht sich als Stimme der Unternehmen. Er ergreift in deren Interesse die Initiative. Er ist außerdem bereit, Zeit und Kosten zu übernehmen, um so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Diese Handlungsspielräume haben die Unternehmen selbst häufig nicht. Die Eigenerzeugung von Strom ist im mittelständischen Segment ein großes Thema und die aktuelle Entwicklung wird dort mit Ärger und Sorge betrachtet. Das betrifft übrigens nicht nur die Solarbranche. Denken Sie zum Beispiel an ein Sägewerk, dass sich den benötigten Strom mithilfe von Holzhackschnitzeln erzeugt.
"Energiewende-Kosten müssen Verursacher des Klimawandels tragen"
LTO: In Ihrem Gutachten kommen Sie zu dem Ergebnis, dass diese sogenannte Eigenverbrauchsumlage gegen die allgemeine Handlungsfreiheit verstoßen könnte. Wieso nicht gegen die Berufsfreiheit?
von Oppen: Ein Eingriff in die Berufsfreiheit setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass die fragliche Vorschrift zumindest eine objektiv berufsregelnde Tendenz hat. Eine solche Tendenz ist nicht ersichtlich. Die EEG-Umlage refinanziert die Förderung von Strom aus erneuerbaren Energien. Die Energieversorgungsunternehmen dürfen damit im Ergebnis belastet werden, weil sie als Verursacher einer klima- und umweltschädlichen Energieerzeugung gelten.
Deshalb blieb leider nur Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG), der auch das Recht umfasst, frei zu wirtschaften. Die EEG-Umlage auf den Eigenverbrauch greift klar in dieses Recht ein. Grundsätzlich ist ein solcher Eingriff auf Basis des EEG auch möglich. Allerdings muss die gesetzliche Grundlage ihrerseits verfassungsgemäß, insbesondere verhältnismäßig sein.
Der interessanteste Aspekt dabei ist die Frage nach der Zumutbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat dazu die Rechtsprechung zur "Indienstnahme Privater für Allgemeinwohlbelange" entwickelt. Ein schönes Beispiel dafür sind die Raucherwarnungen auf Zigarettenpackungen. Als normaler Unternehmer würde man ja nicht auf die Idee kommen, vor seinem eigenen Produkt zu warnen. Das BVerfG geht aber davon aus, dass der Gesetzgeber die Tabakindustrie im Interesse des Gesundheitsschutzes zu einer solchen Warnung verpflichten darf. Zwar ist die Tabakindustrie nicht selbst für einen solchen Allgemeinwohlbelang unmittelbar verantwortlich, aber es gibt einen spezifischen Sach- und Verantwortungszusammenhang. Zigaretten sind nämlich besonders gesundheitsschädliche Produkte.
LTO: Und dieser Gedanke lässt sich auf die Eigenverbrauchsumlage übertragen?
von Oppen: Am Anfang war ich auch skeptisch, aber im Grunde passt das sehr gut: Die Belastung der Energieversorger mit der EEG-Umlage ist auch eine Indienstnahme Privater für Allgemeinwohlbelange – nämlich für die Energiewende. Während die Tabakindustrie gesundheitsschädliche Zigaretten herstellt, erzeugen die Betreiber von Kohlekraftwerken Strom auf klimaschädliche Weise. Das rechtfertigt dann die Belastung mit der Umlage. Diese verursachergerechte Zuordnung der Kosten wird so auch als Ziel in der Gesetzesbegründung formuliert. Die Kosten der Energiewende im Sinne des Verbraucherschutzes möglichst breit zu verteilen, muss dabei – aus meiner Sicht – ein untergeordneter Zweck bleiben, aus rechtlichen Gründen nicht aus politsichen!
Wer nun aber seinen eigenen Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, verhält sich nicht klimaschädlich, er setzt die Energiewende vielmehr vorbildlich um. Das Hauptargument für eine Belastung mit der EEG-Umlage entfällt damit. Und es gibt auch kein anderes überzeugendes Argument. Einer der mehreren Zurechnungsgründe wäre die Möglichkeit, Strom aus dem öffentlichen Netz zu beziehen. Da sehe ich aber den erforderlichen besonderen Sach- und Verantwortungszusammenhang nicht. Denn jeder ist berechtigt, Strom einzukaufen und über das Netz zu beziehen. Würde der Gesetzgeber an ein solches allgemeines Kriterium anknüfen, würde die Umlage sehr nah an eine Steuer herangeraten.
2/2: "Ich teile die Argumentation der Textilbranche nicht"
LTO: Das klingt ein wenig nach der Argumentation der Textilbranche, deren Unternehmen derzeit vor verschiedenen Zivilgerichten gegen die Ökostrom-Umlage klagen. Sie halten diese für eine unzulässige Sonderabgabe. Die Subventionierung einer bestimmten Art der Energieerzeugung müsse der Staat mit Steuern finanzieren, er dürfe dafür nicht Abgaben von den Stromverbrauchern erheben. Überzeugt Sie das?
von Oppen: Meine Überlegung geht in eine vollständig andere Richtung. Charakteristisch für eine Sonderabgabe ist die sogenannte "Aufkommenswirkung zugunsten der öffentlichen Hand".
Vergütungsmechanismen zwischen Privaten, wie das bei der EEG-Umlage der Fall ist, erfüllen diese Voraussetzung nicht. Das sehen bisher auch die Gerichte so. Die Textilindustrie will den Charakter der EEG-Umlage als Sonderabgabe aus folgendem herleiten: Die Erhebung der Umlage sei gesetzlich so intensiv geregelt, dass sie trotz fehlender formaler Beteiligung der öffentlichen Hand am Ausgleichsmechanismus, die Wirkungen einer Sonderabgabe habe. Man muss sich aber ernsthaft die Frage stellen, ob es nicht ein Formenmissbrauch ist, wenn die Umlage wie eine Steuer eingesetzt würde, indem man für eine Belastung lediglich an das Recht zum Strombezug anknüpft. Die Idee stammt übrigens nicht von mir, aber ich finde sie bei näherem Hinsehen sehr plausibel.
"Berechnung der Umlage hat wenig mit Kosten der Energiewende zu tun"
LTO: In der Konsequenz bräuchte es also nicht weniger, sondern mehr Ausnahmen von der Umlage?
von Oppen: Aus rechtlicher Sicht ja, und zwar jenseits aller politischen Wünsche. Die EEG-Umlage ist ein schwieriges Instrument. Ihre Berechnung ist auch sehr theoretisch und hat mit den tatsächlichen Kosten der Energiewende wenig zu tun.
LTO: In der Berichterstattung über eine mögliche Verfassungsklage der Solarbranche und der Verbraucherzentrale ging es vor allem um einen möglichen Gleichheitsverstoß.
Von Oppen: Dieses Argument ist zwar einfacher zu verstehen als die Überlegungen zu Art. 2 Abs. 1 GG. Rechtlich ist das aber viel schwieriger zu begründen, weil der Gesetzgeber bei der Auswahl der Sachverhalte die er gleich oder ungleich behandelt einen weiten Beurteilungsspielraum hat. Aber der Vollständigkeit halber: Wer Strom aus erneuerbaren Energien für den eigenen Verbrauch erzeugt, wird nach dem derzeitigen Gesetzesentwurf deutlich höher mit der EEG-Umlage belastet als bestimmte Eigenverbraucher konventioneller Eigenerzeugungsanlagen. Von der Umlage gänzlich befreit ist der sogenannte Kraftwerkseigenverbrauch, von dem etwa die Betreiber von Atom- und Kohlekraftwerken profitieren.
Deutlich günstiger kommt auch die stromintensive Industrie weg, die zu 85 Prozent von der Umlage befreit werden soll, und zwar unabhängig davon, ob sie fossil oder erneuerbar erzeugten Strom einsetzt. Für diese Befreiungen spricht zum einen das Interesse an einer günstigen Stromerzeugung und zum anderen die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Das sind bestimmt sachliche Gründe, die nicht zu beanstanden sind. Allerdings dürfen sie nicht dazu führen, dass der eigentliche Zweck des EEG auf den Kopf gestellt wird – es darf also keinen Systembruch geben. Es ist jedenfalls nicht ganz ausgeschlossen, dass ein solcher Systembruch hier bejaht werden kann.
LTO: Was können Solarunternehmen nun tun? Direkt zum BVerfG gehen?
von Oppen: Es ist wichtig, noch einmal herauszustellen, dass natürlich nur ein Anlagenbetreiber den Weg zum Verfassungsgericht gehen kann und nicht die Verbände selbst. Anlagenbetreiber könnten unmittelbar gegen das in Kraft getretene Gesetz, im Wege der sogenannten Rechtsatzverfassungsbeschwerde zu Felde ziehen. Hier gibt es wiederum zwei Möglichkeiten, das etwas riskantere Eilverfahren oder der geduldige Weg über ein Hauptsacheverfahren.
Anlagenbetreiber können aber auch die erste Rechnung der Energieversorger über die Umlage abwarten. Zahlt der Anlagenbetreiber häufiger nicht, wird ihn der Energieversorger irgendwann vor den Zivilgerichten verklagen. Das geht dann durch die Instanzen, bis man gegen die letzte Entscheidung Verfassungsbeschwerde erheben kann.
LTO: Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten?
von Oppen: Allen ist klar, dass die Klage beim BVerfG kein Spaziergang ist. Aber das sollte einen nicht abschrecken.
LTO: Vielen Dank für das Gespräch.
Margarete von Oppen hat im Auftrag des Bundesverbandes Solarwirtschaft ein Gutachten über die Verfassungsmäßigkeit der Eigenverbrauchsumlage erstellt. Die Bundesverbraucherzentrale unterstützt die Solarbranche dabei.
Das Interview führte Claudia Kornmeier.
Claudia Kornmeier, Reform der Ökostrom-Umlage: "Wer auf eigene Solarenergie setzt, wird bestraft" . In: Legal Tribune Online, 11.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11678/ (abgerufen am: 01.06.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag