Flüchtling haftet für schlechte Fingerabdrücke: Erdulden reicht nicht

von Wolfram Steckbeck

06.09.2013

Asylbewerber dürfen ihre Fingerkuppen nicht manipulieren. Das stellte das BVerwG am Donnerstag in zwei Verfahren fest, in denen es um die Verwertbarkeit von Fingerabdrücken ging. Der Vorwurf: Die Männer wollten verschleiern, dass sie über ein anderes EU-Land eingereist waren. Nachweisen konnte die Asylbehörde eine solche Manipulation bisher allerdings nicht, meint Wolfram Steckbeck.

Seit der englische Arzt Francis Galton im 19. Jahrhundert die Daktyloskopie als relativ einfache Methode der Identifizierung entwickelte, ist die Überprüfung der Fingerabdrücke aus der Verbrechensbekämpfung nicht mehr wegzudenken. Auch DNA-Analysen haben daran nichts geändert – sie sind zwar noch sicherer, aber auch wesentlich aufwändiger und teurer.

Flüchtlinge sind zwar keine Verbrecher, aber auch sie sind verpflichtet, "erkennungsdienstliche Maßnahmen" zu dulden, § 15 Abs. 2 Nr. 7 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG). Tun sie dies nicht, gehen sie die Gefahr ein, dass ihr Asylverfahren nach § 33 Abs. 1 AsylVfG eingestellt wird.

Wer in Malta angekommen ist, kann dorthin zurückgeschickt werden

In den Fällen, über die das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am Donnerstag zu entscheiden hatte, ging es um einige Somalier, die ihre Fingerabdrücke zwar abgegeben hatten, allerdings nicht in brauchbarer Qualität, wie das Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) meinte. Zum Teil widersprachen dem sogar die beauftragten Polizeibehörden. Allerdings erfordert die europäische Datenbank für Fingerabdrücke von Asylbewerbern, Eurodac, offensichtlich eine wesentlich höhere Qualität als die gewöhnliche Verbrechensbekämpfung in Deutschland.

Das Bundesamt stellte die Asylverfahren schließlich ein, weil die Identität der Flüchtlinge nicht feststehe und dafür die unzureichende Mitwirkung der Männer ursächlich gewesen sei. Hintergrund für die Überprüfung der Fingerabdrücke und Eurodac ist, dass die Asylbehörden herausfinden wollen, ob ein Asylbewerber schon in einem anderen EU-Mitgliedstaat Asyl beantragt hat und deshalb dorthin zurückgeschickt werden kann. Möglich macht dies die Dublin-II-Verordnung, die für jeden Flüchtling nur ein zuständiges Asylland in Europa definiert – nämlich das Land der ersten Zuflucht. In Fällen afrikanischer Staatsangehöriger, die über das Mittelmeer kommen, sind das oft Malta, Italien und Griechenland.

Die Vorinstanzen hatten die Einstellung der Verfahren aufgehoben. Ein Flüchtling sei zwar verpflichtet, die Abnahme von Fingerabdrücken zu erdulden, im Gesetz stehe jedoch an keiner Stelle, dass er verwertbare Fingerabdrücke abgeben muss. Wenn die Abdrücke nicht verwertbar seien, könne die Behörde, den Asylbewerber solange vorladen, bis verwertbare Abdrücke vorlägen. Gegebenenfalls könnten auch – wie in anderen Ländern – verfeinerte Methoden zur Feststellung der Fingerabdrücke angewendet werden.

Das Risiko für gute Fingerabdrücke trägt der Flüchtling

Das BAMF legte Revision ein, wobei es diese in zwei Verfahren zurücknahm. Das BVerwG gab der Behörde nun Recht und verwies die verbliebenen Fälle zurück an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 05.09.2013, Az. 10 C 3.13). Zwar sei ein Flüchtling nicht verpflichtet, die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke zu garantieren – das wird er wohl üblicherweise auch gar nicht können – er sei aber verpflichtet, jede Manipulation seiner Fingerkuppen zu unterlassen. Dies ergebe sich aus der Duldungspflicht des § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG. Damit bürden die Leipziger Richter Asylbewerbern das Risiko dafür auf, dass ihre Fingerabdrücke nicht nur nach deutschem, sondern auch nach europäischem Standard ausreichend lesbar sind.

Die bayerischen Verwaltungsrichter sollen nun klären, ob der Vorwurf des Bundesamtes zutrifft, dass die Fingerkuppen manipuliert wurden. Aber wen wird die Beweislast treffen, wenn die Beweisaufnahme kein eindeutiges Ergebnis bringt? Letztlich hat das BAMF bisher in keinem Fall den Nachweis erbracht, dass und wie Fingerabdrücke manipuliert werden können. Die Behörde stützt sich nur auf Mutmaßungen, die bisher wissenschaftlich nicht belegt sind.

Francis Galton ging noch davon aus, dass Fingerabdrücke nicht zu verändern sind, darauf gründet er ihre Verwertbarkeit im Strafverfahren. Er hatte sich allerdings nicht mit den Feinheiten des Eurodac-Systems herumzuschlagen.

Der Autor Wolfram Steckbeck ist Rechtsanwalt in Nürnberg und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltverein.

Zitiervorschlag

Wolfram Steckbeck, Flüchtling haftet für schlechte Fingerabdrücke: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9508 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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