Das BVerfG hat den Europäischen Stabilitätsmechanismus und den Fiskalpakt auch im Hauptsacheverfahren als verfassungsgemäß gebilligt. Deutschlands Zahlungsverpflichtungen bleiben auf 190 Milliarden Euro beschränkt und die Haushaltsautonomie des Bundestages wird gewahrt. Warum das Gericht entschieden hat, wie es entscheiden musste, erklärt Joachim Wieland.
Überrascht dürften auch die Beschwerdeführer und Antragsteller nicht sein von der Entscheidung, die mit der im einstweiligen Rechtsschutz übereinstimmt. Schon vor der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung vom 12. September 2012 hatte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sich drei Monate Zeit genommen, um ausnahmsweise schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sehr gründlich die Verfassungsgemäßheit des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Fiskalpaktes zu prüfen.
Nachdem die Karlsruher Richter seinerzeit die Verfassungsgemäßheit beider Instrumente bejaht hatte, war das Ergebnis des Hauptsacheverfahrens zu erwarten. Hätte der Senat am Dienstag durchschlagende verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, hätte er seine eigene Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz entwertet.
Das gilt vor allem, weil die im Jahr 2012 vom Gericht vorgeschriebenen Auflagen für die Ratifikation der entsprechenden Verträge umgesetzt worden waren: Deutschland hatte völkerrechtlich sichergestellt, dass die deutschen Zahlungsverpflichtungen in keinem Fall über 190 Milliarden Euro hinausgehen würden und dass Bundesrat und Bundestag über das Handeln des ESM umfassend unterrichtet werden. Damit war die Haushaltshoheit des deutschen Parlaments gesichert.
Das Wahlrecht als Prüfungsmaßstab
Nach mehreren provisorischen Hilfsmaßnahmen soll der ESM die Stabilität des Euro-Währungsgebiets dauerhaft wahren. Er macht Finanzhilfen für Mitgliedstaaten von der Einhaltung strenger Auflagen abhängig.
Als verfassungsrechtlichen Maßstabe für seine Prüfung zieht das Bundesverfassungsgericht wie schon in den einschlägigen Vorentscheidungen das in Art. 38 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Wahlrecht heran. Aus ihm leitet der Senat die Pflicht des Gesetzgebers zu ausreichenden Vorkehrungen ab, damit er seine Integrationsverantwortung dauerhaft erfüllen kann.
Vor allem das Budgetrecht darf das Parlament nicht aufgeben. Es darf den Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht die Befugnis einräumen, über Einnahmen und Ausgaben des deutschen Staates zu entscheiden. Das wäre der Fall, wenn der Bundestag einem nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- und Leistungsmechanismus zustimmen und sich damit selbst entmachten würde.
Das BVerfG betont zu Recht, dass der demokratische Prozess offen bleiben muss, damit andere demokratische Mehrheiten andere Entscheidungen treffen können. Insbesondere eine irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen muss vermieden werden. Eine solche träte ein, wenn die Haushaltsautonomie zukünftiger Parlamente praktisch völlig leerliefe. Das befürchtet der Senat jedoch nur bei einer "evidenten Überschreitung äußerster Grenzen". Und so sieht er die Verfassungsbeschwerden wie auch das Organstreitverfahren gegen die Errichtung des ESM und den Fiskalpakt als "unzulässig und im Übrigens unbegründet an" (Urt. v. 18.03.2014, Az. 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12, 2 BvR 1824/12, 2 BvE 6/12).
Richterliche Zurückhaltung
Damit ist der verfassungsrechtliche Rahmen für den Gesetzgeber so weit gefasst, dass er den ihm von den Karlsruher Richtern eingeräumten Einschätzungsspielraum kaum je überschreiten wird. Auch aus der für sich genommen beeindruckenden Zahlungspflicht von im Höchstfall 190 Milliarden Euro lässt sich nicht ableiten, dass die Haushaltsautonomie künftiger Parlamente völlig leerlaufen wird und künftige Generationen irreversibel präjudiziert werden.
Dazu ist der Betrag mit Blick auf die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte in Deutschland von 2,5 Billionen Euro immer noch zu klein. Außerdem ist die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments dadurch gesichert, dass Entscheidungen des ESM nicht gegen die Stimmen der deutschen Vertreter in dessen Organen ergehen können.
Vorsichtshalber verpflichtet der Senat den Bundestag zudem, die deutschen Kapitalanteile so rechtzeitig zu zahlen, dass es nicht zu einer Aussetzung der deutschen Stimmrechte wegen Säumigkeit kommen kann.
Nur vergleichsweise wenige Worte widmet das Urteil dem Zustimmungsgesetz zum Fiskalpakt. Da seine wesentlichen Inhalte sich mit den deutschen verfassungsrechtlichen und den unionsrechtlichen Vorgaben für eine stabile Haushaltswirtschaft decken, wird die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages nicht berührt. Auch zwingt der Pakt Deutschland nicht zu einer dauerhaften, nicht mehr reversiblen Festlegung seiner Wirtschaftspolitik.
Einheitliche Rechtsprechung
Mit dem Urteil bleibt das BVerfG seiner bisherigen Rechtsprechungslinie treu, zwar die Befugnisse des Bundestages zu sichern und zu stärken, Regierung und Parlament aber die notwenige Freiheit zur Bewältigung der Finanzkrise und zur Stabilisierung des Euro zu geben. Das mag diejenigen enttäuschen, die auf ein Einschreiten des Gerichts zugunsten einer anderen Politik gehofft hatten.
Mit seiner Zurückhaltung entspricht das Gericht aber seiner Aufgabe, für die Beachtung des Grundgesetzes zu sorgen. Die richtige Politik in Geld- und Währungsfragen müssen nach der gewaltenteiligen Ordnung der Verfassung das demokratisch legitimierte Parlament und die Bundesregierung verantworten.
Der Autor Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M., ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Joachim Wieland, ESM und Fiskalpakt verfassungsgemäß: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11368 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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