2/2: Keine Speicherung wegen einer Überzeugung
Auch mit Nr. 2 derselben Norm waren die Karlsruher Richter nicht ganz einverstanden. Die Vorschrift erlaubt die Datenerfassung von Personen, "die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen". Das sei an einigen Stellen mehrdeutig und weit gefasst, kritisierte der 1. Senat. Allerdings konnten sich die Mitglieder nicht darauf einigen, ob die Begriffe "rechtswidrige Gewalt" und "vorsätzliches Hervorrufen solcher Gewalt" nun tatsächlich verfassungswidrig sind.
Nach Auffassung der vier Richter, welche die Entscheidung insoweit tragen, sind die Merkmale mit dem Grundgesetz vereinbar, sofern ihnen keine übermäßig weite Bedeutung beigelegt wird und insbesondere unter Gewalt nur Handlungen verstanden werden, die unmittelbar gegen Leib und Leben gerichtet oder durch den Einsatz gemeingefährlicher Waffen geprägt ist.
Das bloße "Befürworten von Gewalt" reicht nach einhelliger Auffassung des Senats nicht dafür aus, Personen in der Antiterrordatei zu erfassen. Denn das Gesetz verweise damit auf eine subjektive Überzeugung. Der Datenspeicherung würde ein Kriterium zugrunde gelegt, das der Einzelne nur begrenzt beherrschen und durch rechtstreues Verhalten nicht beeinflussen könne.
Daten von Kontaktpersonen dürfen nur eingeschränkt gespeichert werden
Für vollständig verfassungswidrig hält das BVerfG Nr. 3 der Regelung. Danach sind einfache Grunddaten (Name, Anschrift, Geschlecht, Foto o.ä.) in der Datenbank zu speichern, wenn jemand nichts davon weiß, dass sein Kontakt etwas mit dem Terrorismus zu tun hat. Hat jemand dagegen Kenntnis davon, sind auch seine erweiterten Grunddaten wie E-Mailadresse, Bankverbindung und Religion, aber auch sogenannte terrorismusrelevante Fähigkeiten zu erfassen.
Das BVerfG hält es zwar für verfassungsrechtlich nicht prinzipiell ausgeschlossen, Daten von Kontaktpersonen zu speichern. In der Regel seien solche Informationen aber nur insoweit interessant, als sie Hinweise über die eigentlichen Terroristen liefern können. Daran müsse sich auch das Gesetz orientieren.
Unverhältnismäßig sei zudem in nicht eilbedürftigen Fällen die sogenannte Inverssuche. Das ist eine merkmalbezogene Recherche in den erweiterten Grunddaten, bei welcher der Behörde bei einem Treffer nicht nur eine Fundstelle vermittelt, sondern unmittelbar Zugang zu den Daten gewährt wird. So kann sie zum Beispiel nach Personen mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit und Ausbildung suchen und erhält im Trefferfall nicht nur die Angabe, welche Stelle Informationen über diese Personen besitzt, sondern gleich Namen und Adressen.
Einen weiteren Verstoß gegen das Grundgesetz sieht das BVerfG darin, dass auch Daten erfasst werden, deren Erhebung in das Telekommunikationsgeheimnis (Art. 10 Grundgesetz, GG) und die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) eingegriffen hat. In diese Grundrechte darf nur unter engen Voraussetzungen eingegriffen werden. Solchermaßen erlangte Daten den Sicherheitsbehörden über die Antiterrordatei uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen, unterlaufe diese strengen gesetzlichen Anforderungen.
Mehr Kontrolle durch Datenschutzbeauftragten
Mit dem Umfang der erfassten Daten haben die Karlsruher Richter dagegen kein Problem (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 a und b ATDG). Allerdings sollen die Behörden zukünftig dokumentieren und veröffentlichen müssen, welche Daten sie am Ende tatsächlich speichern. Das Gesetz sei an dieser Stelle nämlich sehr offen formuliert, wenn es etwa von "terrorismusrelevanten Fähigkeiten" spricht. Ein sogenanntes Katalog-Manual der Bundesregierung dazu, das dem Senat vorlag, ist bisher nicht veröffentlicht. Das ATDG sieht dies auch nicht vor.
Betroffene können sich nur sehr eingeschränkt gegen ihre Erfassung in der Antiterrordatei wehren. Nur unter bestimmten Voraussetzungen erhalten sie überhaupt Auskunft darüber, ob Informationen über sie aufgenommen worden sind. Dies ist nach dem BVerfG nur mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn die Datenschutzbeauftragten den Umgang mit der Antiterrordatei wirksam beaufsichtigen können. Dazu müsse der Gesetzgeber turnusmäßige Kontrollen festlegen. Außerdem müsse das BKA verpflichtet werden, gegenüber Bundestag und der Öffentlichkeit über den Datenbestand und dessen Nutzung zu berichten.
Trotz Åkerberg Fransson: Keine Vorlage an den EuGH
Die Karlsruher Entscheidung dürfte auch Auswirkungen auf die 2012 nach Bekanntwerden der NSU-Morde eingeführte Rechtsextremismus-Datei haben, welche nach demselben Muster funktioniert wie die Antiterrordatei. Innenminister Friedrich erklärte bereits, dass die für die Antiterrordatei vorgegebenen Einschränkungen natürlich auf die Rechtsextremismus-Datei übertragen werden müssten. Dazu gehöre eine stärkere Einbeziehung der Datenschutzbeauftragten.
Relativ ausführlich begründete der Senat in seiner Entscheidung, weshalb er auch mit Blick auf das aktuelle Urteil in der Rechtssache Åkerberg Fransson keinen Anlass für eine Vorlage zum Europäischen Gerichtshof sah. Das Urteil hatte in Justizkreisen für Aufregung gesorgt, weil Experten ihm teilweise eine erhebliche Ausweitung der luxemburgischen Zuständigkeit entnahmen.
Die Karlsruher Richter gingen aber einstimmig davon aus, dass die Entscheidung auf Besonderheiten des Umsatzsteuerrechts beruhe und keine grundsätzliche Bedeutung für die Vorlagepflicht der nationalen Gerichte nach Luxemburg habe. Zudem sei das ATDG nicht im Sinne des Art. 51 Abs. 1. S. 1 der Grundrechtecharta zur Durchführung des Unionsrechts erlassen worden.
Mit Material von dpa.
Claudia Kornmeier, BVerfG billigt Antiterrordatei: . In: Legal Tribune Online, 24.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8593 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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