BGH legt Afghanistan-Papiere dem EuGH vor: Euro­päi­sche Eska­la­tion des Streits um das "Zen­sur­he­ber­recht"

von Dr. Ansgar Koreng

01.06.2017

2/2: Möglicher Konflikt zwischen EuGH und EGMR

Den europäischen Richtern wurde in der Vergangenheit häufig vorgeworfen, grundrechtliche Fragen allzu stiefmütterlich zu behandeln. Nun erhalten sie explizit die Gelegenheit, das Verhältnis des auf mancher Fachtagung schon spöttisch als "Supergrundrecht" bezeichneten Urheberrechts zu anderen hochrangigen Rechtsgütern – der Presse- und der Informationsfreiheit – zu klären.

Wie die Entscheidung ausgehen wird, ist schwer zu prognostizieren. Zwar hat der EuGH in seiner jüngeren Rechtsprechung das Urheberrecht fast durchweg gestärkt, man denke nur an die äußerst umstrittene Entscheidung "GS Media" zur Linkhaftung (Urt. v. 08.09.2016, Az. C-160/15). Auf der anderen Seite hat der EuGH nach Artikel 6 Absatz 3 des EU-Vertrags bei der Rechtsanwendung aber auch die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen, die ihrerseits verbindlich vom EGMR in Straßburg ausgelegt werden. Der wiederum hat sich in der erwähnten "Ashby Donald"-Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall sehr deutlich für die Meinungsfreiheit stark gemacht.

Entmachtung des Bundesverfassungsgerichts?

Schließlich darf auch nicht außer Blick geraten, dass die im Vorlagebeschluss des BGH geäußerte Rechtsauffassung am Ende darauf hinausliefe, dass das BVerfG in dem Streit gar nicht mehr mitzureden hätte. Denn sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass die Urheberrechtsrichtlinie keinen Umsetzungsspielraum belässt, wäre sie nur am europäischen Primärrecht zu messen, nicht am Grundgesetz. Ob aber das BVerfG die These des BGH teilen würde, dass eine grundrechtliche Abwägung jenseits des geschriebenen Urheberrechts generell nicht in Betracht kommt, darf man mit Blick auf die Rechtsprechung zur mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (ausgehend von BVerfGE 7, 198 – "Lüth") durchaus für fraglich halten. Es wäre schwer erklärbar, weshalb gerade im Urheberrecht eine sonst allgemein anerkannte mittelbare Drittwirkung der Grundreche ausscheiden sollte. So könnte aus diesem urheberrechtlichen Streit am Ende eine handfeste Bewährungsprobe für den Grundrechtsschutz im europäischen Mehrebenensystem werden.

Man kann der Bundeswehr nur danken, dass sie diesen Fall angestoßen hat, denn derart zugespitzt wird sich das Spannungsverhältnis von Urheberrecht und Meinungsfreiheit kaum mehr ein zweites Mal darstellen lassen. Der EuGH wird nun Farbe bekennen müssen. Es wäre wünschenswert, wenn er sich anlässlich dieses Streits darauf besinnen würden, wofür das Urheberrecht eigentlich einmal gedacht war.

Und wofür nicht.

Dr. Ansgar Koreng ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in Berlin. Er und seine Berliner Kanzlei JBB Rechtsanwälte haben in erster und zweiter Instanz SPIEGEL ONLINE in einem ähnlich gelagerten Streit um die Veröffentlichung eines von einem Politiker verfassten Manuskripts vertreten, den der BGH Ende Juli entscheiden wird.

Zitiervorschlag

Ansgar Koreng, BGH legt Afghanistan-Papiere dem EuGH vor: . In: Legal Tribune Online, 01.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23093 (abgerufen am: 14.11.2024 )

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