In Bayern wird es keine unverbindlichen Volksbefragungen geben, sie verstoßen gegen die Landesverfassung, so der dortige VerfGH. Robert Hotstegs meint, dass das Gericht damit wichtige Leitplanken für die Demokratie aufgezeigt hat.
Die von der Regierungsmehrheit durchgesetzten unverbindlichen Volksbefragungen verstoßen gegen die Bayerische Verfassung. Mit dieser Entscheidung gab der Bayerische Verfassungsgerichtshof (VerfGH) am Montag Klagen von SPD und Grünen statt (Urt. v. 21.11.2016, Az. Vf. 15-VIII-14). Der entsprechende Gesetzespassus sei mit der Verfassung unvereinbar und damit nichtig.
Diese Entscheidung des VerfGH gibt einen Überblick über System und Einordnung der direkten Demokratie in den bayerischen Verfassungsstaat. Damit hat das Gericht allen Beteiligten eine Nachhilfestunde gegeben, die im Gesetzgebungsverfahren zu kurz gekommen war. Im Ergebnis wurde die Vorschrift des Art. 88a Landeswahlgesetz (LWG) für verfassungswidrig erklärt. Die dort vorgesehenen unverbindlichen Volksbefragungen seien derzeit weder von der Bayerischen Verfassung (BV) gedeckt, noch sei die hierdurch jedenfalls mittelbar erfolgte Verschiebung der Kräfte in der Staatswillensbildung so weit gefasst, dass sie Raum für die Volksbefragungen gelassen hätte.
Unverbindliche Befragungen als bloße Kosmetik eingeführt?
Der Prozess selbst war von Anbeginn des Gesetzgebungsverfahrens zu erwarten gewesen. Es war absehbar, dass eine verfassungsändernde Mehrheit im Landtag nicht zustande kommen würde. Daher hatte die Staatsregierung eine bloße Änderung des LWG vorgeschlagen. Die dort angedachte Norm des Art. 88a sah unverbindliche Volksbefragungen über "Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung" vor. Das Initiativrecht hierzu lag bei Landtag und Staatsregierung, denn nur durch übereinstimmenden Beschluss beider Verfassungsorgane konnte die Volksbefragung beginnen. Dem unmittelbaren Wortlaut nach war die Gesetzgebung von vornherein der Befragung entzogen. Auch sollten Landtag und Staatsregierung ausdrücklich nicht an das Ergebnis gebunden werden.
Früh hatte sich gegen eine solche Konstruktion Widerstand geregt. Die Bedenken waren vielfach und sowohl juristischer und als auch politischer Natur. Rechtlich machten die Oppositionsfraktionen vor allem geltend, es läge ein Verstoß gegen Art. 7 BV vor. Danach übt der Staatsbürger in Bayern nämlich "seine Rechte aus durch Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden" aus.
Das Instrument einer Befragung sei schlicht nicht vorgesehen. Darüber hinaus fehle es an einem Minderheitenschutz, der auch Oppositionsfraktionen das Initiativrecht zubillige. Eine Befragung allein durch Staatsregierung und Landtag(smehrheit) hätte lediglich kosmetischen Wert. Die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung sprach von "politischer Selbstbefriedigung des Regierungschefs" - da ist durchaus etwas Wahres dran.
Bürgerbeteiligung lediglich "von oben"
Politisch sind die unverbindlichen Volksbefragungen um ein Vielfaches umstrittener. Denn es stellt sich bereits die Frage, ob es "unverbindliche" Befragungen überhaupt geben kann. Was wäre, wenn eine Befragung ein überwältigendes Ergebnis von beispielsweise 80 Prozent ergäbe? Könnten und würden Staatsregierung und Landtag hiervon noch tatsächlich abweichen? Und warum bleibt es bei einer bloßen Befragung? Wäre es nicht viel sinnvoller, den Staatsbürgern auch direkt die Entscheidung zu überlassen? Gerade, wenn es bei überwältigender Mehrheit kein politisch vertretbares Abweichen mehr geben könne? Schließlich die Frage, warum die Volksbefragungen nur "von oben" initiiert werden dürfen. Wäre es nicht viel sinnvoller, derartige Befragungen auch von anderer Seite, etwa aus den Oppositionsbänken im Landtag oder direkt aus dem Volk heraus starten zu können?
Der VerfGH hat sich auf seine Kernaufgabe beschränkt und die juristische Bewertung vorgenommen. Sie ist eindeutig: Bayern ist eine repräsentative Demokratie mit direktdemokratischen Einflüssen. Die wesentlichen Instrumente der Mitwirkung des Volkes sind in Art. 7 BV abschließend aufgezählt, dort gehörten auch Volksbefragungen hinein. Indem lediglich das LWG geändert wurde, habe der Gesetzgeber gegen die BV verstoßen, so der Gerichtshof. Der Gesetzgeber hatte im Ergebnis also die Augen davor verschlossen, dass er das neuartige Instrument der Volksbefragung im Verfassungsrecht erst verankern musste, um es anschließend auszugestalten.
Robert Hotstegs, BayVerfGH stoppt unverbindliche Volksbefragungen: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21226 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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