Wie man seine eigenen Maßstäbe gewinnt oder veralbert
Grundsätzlich hält man die Meinungsfreiheit höher als hoch. Doch wie steht es um Meinungsäußerungen, die in Kriegszeiten das zum Abschlachten bestimmte Geschlecht davon abhalten, sich beim Militär zu immatrikulieren? Oliver Wendell Holmes jr. wählte hier das schöne Bild, dass die Meinungsfreiheit nicht so weit reiche, dass ein Mensch im Theater fälschlich "Feuer!" rufe und eine Panik provoziere. Meinungsfreiheit stehe zurück, wenn sie ein Moment unmittelbarer Gefahr erzeuge.
Einstimmig hielt der U.S. Supreme mit diesem Argument die Aburteilung von Regierungskritik zu Zeiten des Ersten Weltkriegs aufrecht: Charles Schenck und Elizabeth Baer hatten die Wehrpflicht als Verstoß gegen den 13. Verfassungszusatz, das Verbot der Zwangsarbeit, kritisiert. Jacob Frohwerk hatte in der deutschsprachigen "Missouri Staats-Zeitung" unter anderem die manipulative britische PR-Arbeit in den neutralen USA angegriffen. Eine Wehrkraftminderung war in keinem Fall beobachtbar. Frohwerk blieb zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wegen einer albernen "Feuer"-Analogie.
Nach dem Tod von Bundesrichter Holmes, 1935, fand man übrigens seine Uniform aus dem Bürgerkrieg vor, immer noch beschädigt und blutgetränkt infolge seiner Verwundung in einer Schlacht des Jahres 1863. Nicht abwegig, hier eine Quelle richterlicher Wertvorstellungen zu suchen.
Schenck v. United States, 249 U.S. 47 & Frohwerk v. United States, 249 U.S. 204 (1919)
Martin Rath, Kritische Urteile des US-Bundesgerichts: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21200 (abgerufen am: 18.11.2024 )
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