Im Werk eines großartigen bayerischen Juristen – sofern der Freistaat überhaupt andere kennt – finden sich bemerkenswerte Erkenntnisse zu Griechenland und dem dortigen Reformbedarf. Obwohl diese Ausführungen nicht weniger als 180 Jahre alt sind, haben sie es doch in sich, behauptet Martin Rath. Vor allem zeigen sie Absurditäten, die passieren, wenn man einem Land fremdes Recht aufzwingt.
Im reifen Frühjahr und frühen Sommer des Jahres 1835 veröffentlichte der vergleichsweise geniale bayerische Jurist Georg Ludwig von Maurer (1790-1872), der allerdings in eine evangelische Pfarrersfamilie in der Rheinpfalz geboren wurde, in München also vermutlich gleich doppelt als Reingeschmeckter galt, ein monumentales Werk. Verwunderlich ist jedoch, dass es dieser Tage nicht von anderen großen Juristen des bayerischen Volkes – insbesondere solchen der Staatsregierung – fortlaufend zitiert und dem rechtswissenschaftlichen Nachwuchs des Freistaats zum Studium anempfohlen wird.
Eine kleine Kostprobe aus dem dreibändigen Werk des Rechtsgelehrten, aus dem später noch einmal ein leibhaftiger bayerischer Justizminister werden sollte: "Das Finanzwesen war demnach unter allen den verschiedenen Fächern der Staatsverwaltung, noch bei weitem am meisten im Rückstand. Und daß sich dennoch die Griechischen Finanzen in einem im Ganzen sehr befriedigenden Zustande befunden haben, kam einzig von Unserer sehr großen Oekonomie. Allein diese reichte wohl für die Gegenwart, keineswegs aber für die Zukunft hin."
Misswirtschaft in Griechenland von bayerischer Hand
Kurz: Als die Bayern kamen, brachten sie das Geld nach Griechenland mit. Georg Ludwig von Maurer, der es mit einer Schrift über die "Geschichte des altgermanischen, namentlich des altbayrischen öffentlich-mündlichen Gerichtsverfahrens" 1826 zum Juraprofessor an der Ludwig-Maximilians-Universität gebracht hatte und seit 1831 dem Oberhaus des bayerischen Parlaments angehörte, hatte seine Erkenntnisse zu Staat, Geschichte und Politik Griechenlands aus erster Hand gewonnen. Immerhin 18 Monate lang war er Vormund des griechischen Staatsoberhaupts gewesen. Eine Tätigkeit, die insofern ganz andere Umstände machte, als sie es heute tun würde, weil der anfangs minderjährige König von Griechenland zwischen 1832 und 1862 ein gewisser Otto war – genauer: Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach (1815-1867), Sohn des Königs von Bayern und griechischer Import-Monarch.
In seiner dreibändigen Studie "Das griechische Volk in öffentlicher, kirchlicher, privatrechtlicher Beziehung vor und nach dem Freiheitskampfe bis zum 31. Juli 1834", die im Jahr 1835 in Heidelberg erschien, führt von Maurer beredt Klage über die Misswirtschaft der griechischen Finanzen: Zur "Flüssigmachung" der wirtschaftlichen Ressourcen des Landes sei kaum etwas geschehen, es "wurden keine Colonien [die heute noch in Bayern beliebten Staatsdomänen, MR], und ebensowenig eine Nationalbank errichtet, um das öde Land urbar zu machen, oder den armen aber arbeitsamen Bauern aufzuhelfen. Das Zehntwesen und die voller Mißbräuche steckende Zehnterhebung blieb unregulirt."
Schlafmütziger bayerischer Regierungsmann
Freilich klagte von Maurer nicht nur über die mangelhaften Bemühungen, dem noch jungen, erst unlängst von türkisch-osmanischer Herrschaft befreiten Griechenland unter bayerischer Führung die Segnungen des modernen Staats angedeihen zu lassen. Die Intrigen und Unzulänglichkeiten im Münchener und bayerisch-griechischen Regierungspersonal bleiben nicht unerwähnt. An Joseph Ludwig Franz Xavier Graf von Armansperg (1787-1853), seinem Hauptgegner, Mit-Regenten und Mit-Vormund über den noch jugendlichen Griechenkönig Otto, einem zudem fachlich weniger kompetenten Juristen, ließ von Maurer kein gutes Haar:
"Der Graf von Armansperg aber schlief während dieser Zeit, oder ritt spatzieren, oder las in Rotteck’s allgemeiner Weltgeschichte das Capitel von der Französischen Revolution!" Die Bemühungen seiner Kollegen, diesen einflussreichen bayerischen Kopf in Athen zu fleißiger Reformarbeit zu animieren, beschreibt von Maurer wie folgt: "An Bitten, Erinnerungen, sogar an Verwahrungen zum Protokoll von Unserer Seite hat es zwar nicht gefehlt. Allein es pflegte darauf hin weiter nichts zu erfolgen, als neue Zusicherungen für 2, 3, bis 4 Wochen, je nach der Verschiedenheit des Gegenstandes. Und, nach Ablauf dieser sich selbst gesetzten Fristen, ein weiteres leeres Versprechen!"
Wir sehen hier, dass nicht allein der Versuch, in Griechenland moderne Verwaltungsverhältnisse zu etablieren, ein bayerisches Bemühen war – auch die Prokrastination hatte ihren Weg von München nach Athen gefunden. Vermutlich erklärt das, warum heutige bayerische Politiker bei ihren Kommentaren zu Griechenland nicht stets ihren von Maurer zitieren.
Martin Rath, Als Bayern die Hellenen regierte: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15498 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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