2/2: "Die Verfolgung funktioniert in Europa nicht"
LTO: Sie schreiben, der grenzüberschreitenden Strafverfolgung stünden vor allem auch Sprachbarrieren und unterschiedliche Rechtssysteme im Weg. Wie haben Sie die europäische Zusammenarbeit erlebt?
Bülles: Ich habe dreimal versucht, ein internationales Ermittlungsteam zu gründen, um gegen Menschenhandel vorzugehen. Da signalisierten erstmal alle Länder große Bereitschaft, als es aber zum Schwur kam, sind sie aus Kostengründen wieder abgesprungen. Da ist man natürlich frustriert.
LTO: Also ist Europa bei der Verfolgung organisierter Kriminalität gescheitert?
Bülles: Das funktioniert nicht in Europa. Aber da muss man auch sehen, dass die Verfolgung auch in Deutschland nicht funktioniert. Jedes Bundesland hat andere Ziele. In Köln heißt es, warum machen die Düsseldorfer nichts, warum machen die in Niedersachen nichts. Deshalb etwa meine Forderung nach überörtlichen Schwerpunktstaatsanwaltschaften.
LTO: In Ihrem Buch beschreiben Sie nicht nur Missstände, sondern schlagen auch ganz konkrete rechtliche Schritte vor.
Bülles: Wir haben Gesetze von 1871 und 1879. Die Täter heute sind ganz anders unterwegs. Wir hatten eine Telefonüberwachung der Türsteherszene, da gibt es Täter, die fahren nach Hannover und wenn da nichts los ist, fahren die noch nach Frankfurt. Die fahren in einer Nacht mal gut und gerne 1.000 Kilometer durch zahlreiche Bundesländer. Da haben Sie das Problem des Föderalismus. Hinzu kommen fehlende oder unzureichende Gesetze. So brauchen wir Instrumente wie die Vorratsdatenspeicherung oder die Umkehr der Beweislast bei Vermögen der Straftäter, wonach diese zu beweisen haben, dass sie dieses redlich erworben haben.
LTO: Welche Vorschriften müsste der Gesetzgeber ändern?
Bülles: Als konkrete Gesetzesänderung schlage ich die Änderung des §100 ff StPO (Erhebung von Verkehrsdaten) an die EU Richtlinie 2006/246 vom 15.3.2006 vor, wonach bei erheblichen Straftaten Verkehrsdaten auf Vorrat, das heißt für mindestens sechs Monate, zu speichern sind. Eine Regelung, die Deutschland schon lange umzusetzen hat. Durch diese Daten können Netzwerke von Einbrechern, Betrügern oder Menschenhändlern, die sich bei ihren Straftaten über Handys verständigen, erkannt werden. Des Weiteren muss endlich die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels umgesetzt und das Prostitutionsgesetz in einigen Punkten zum Schutz der Frauen geändert werden.
"Pressepolitik der Justiz oft zu zurückhaltend"
LTO: Auch die Staatsanwaltschaft, so warnen Sie, gerät immer häufiger ins Visier des organisierten Verbrechens. Waren Sie selbst einmal in Gefahr?
Bülles: Na ja, ich bin zweimal bedroht worden, aber ich bin gelassen geblieben. In einem Kapitel des Buchs habe ich aber erwähnt, was einem besonders engagierten Kollegen mit der Türsteherszene passiert ist.
LTO: Sie schreiben auch, dass Ihnen zu Ihrem Entsetzen unmittelbar vor einer strenggeheimen Durchsuchungsaktion im Morgengrauen auf einem Kölner Parkplatz ein bekannter Reporter zuwinkte. "Na, Herr Bülles, schon so früh unterwegs?" War das ein Einzelfall? Wie sah Ihr Verhältnis zur Presse sonst aus?
Bülles: Ich war immer froh, dass die Medien da sind. Sie kontrollieren ja auch die Strafbehörden. Deshalb ist es auch gut, dass Verhandlungen öffentlich sind. Im Übrigen ist die Presse ein wirksames Kontrollorgan, damit die Strafverfolgungsbehörden sich an Recht und Gesetz halten.
LTO: Braucht Strafverfolgung heute die Medien?
Bülles: Ja. Ich finde, dass die Pressepolitik der Justiz oft sogar viel zu zurückhaltend ist.
LTO: Zieht das Buch einen Schlussstrich unter Ihre Arbeit gegen die organisierte Kriminalität?
Bülles: Nein, ich habe ja auch noch über 300 Seiten in der Hinterhand. Das könnte theoretisch übermorgen veröffentlicht werden. Aber, wissen Sie, irgendwann muss ja auch Schluss sein.
LTO: Herr Bülles, vielen Dank für das Gespräch.
Egbert Bülles war bis zu seiner Pensionierung 2012 30 Jahre lang Oberstaatsanwalt in Köln und leitete die Abteilung für Organisierte Kriminalität. Im Oktober 2013 erschien sein Buch "Deutschland, Verbrecherland?".
Die Fragen stellte Markus Sehl.
Markus Sehl, Staatsanwalt warnt vor organisierter Kriminalität: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9971 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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