Die Justiz und das nackte Grauen: Sommer, Sonne, Sex im Park

In der warmen Jahreszeit ist's besonders schlimm- so ähnlich heißt es in einem neuen Song der Band Die Ärzte. Mit steigenden Temperaturen scheint jedenfalls in den Augen der strengen Justiz die Moral zu sinken. Herbertz Grziwotz übers Nacktbaden, String-Tangas im Schwimmbad und das Balzverhalten erwachsener Menschen nachts im Stadtpark.

"Wer öffentlich badet, muss Badekleidung tragen. Das gilt für Wasser-, Luft- und Sonnenbaden. Öffentlich badet, wer sich dabei an einem Platz befindet, zu dem allgemein Zutritt gegeben ist oder erlangt werden kann oder der ohne besondere Vorkehrungen eingesehen werden kann."

Die bayerische Verordnung über das Verhalten beim öffentlichen Baden ist streng, ihre Bekleidungsvorschrift gilt bereits für Kinder ab dem sechsten Lebensjahr. Selbst in der Sauna muss man angezogen schwitzen, wenn diese ohne besondere Vorkehrungen eingesehen werden kann.

Will die badende Person keinen Bußgeldbescheid riskieren, kann sie sich nur dort ihrer Badekleidung ganz oder teilweise entledigen, wo sie nach den gegebenen Umständen damit rechnen kann, dass Unbeteiligte sie nicht sehen.

Ganz ohne auf der Insel

1965 hat das zwischenzeitlich (aber nicht aus diesem Grund) abgeschaffte Bayerische Oberste Landesgericht einen Bußgeldbescheid gegen eine Frau bestätigt, die sich nackt sonnte (BayObLG, Beschl. v. 08.02.1965, Az. BWReg. 4 b St 84/64). Sie befand sich dabei auf einer Isarinsel, die man nur erreichen konnte, indem man zwei Isararme durchwatete und zusätzlich über einen Baumstamm balancierte.

Dieser Umstand aber entschuldigte die Täterin mitnichten. Denn jedermann, der die natürlichen Hindernisse überwand, konnte die Sonnenanbeterin unbekleidet antreffen. Maßstab ist nämlich laut der strikten bayerischen Justiz, ob ein Badender mit durchschnittlichen Fähigkeiten bei Anwendung der erforderlichen und ihm möglichen Sorgfalt unter Berücksichtigung aller gegebenen Umstände damit rechnen kann, dass ihn Unbeteiligte nicht sehen.

Die bayerischen Richter gingen dabei davon aus, dass die Anschauung "der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes die Verneinung eines natürlichen Schamgefühls durch ungeniertes Zur-Schau-stellen des nackten Körpers im täglichen Leben ablehnt".

String ist zu wenig oder Badehose ist nicht Badehose

In Würzburg begann selbst Anfang der Neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts das Schamgefühl noch früher. Die Benutzungsbedingungen für die Bäder der Stadt sahen "String-Tangas" nicht als ausreichende Badebekleidung an.

Ein männlicher Badegast fühlte sich dadurch in seinen verfassungsmäßigen Freiheitsrechten beeinträchtigt. Zudem monierte er eine Ungleichbehandlung. Wenn ihm der String verboten werde, müsse die entsprechende Bestimmung zumindest um den Satz ergänzt werden, dass "Damenbade mit Oberteil getragen werden" müssten.  

Das Amtsgericht (AG Würzburg, Urt. v. 11.06.1991, Az. 15 C 813/91) wies die Klage des empörten String-Liebhabers ab. Ein unverhältnismäßiger Eingriff in seine Grundrechte sei nicht gegeben, da ihm nicht das Baden als solches, sondern nur eine bestimmte Art von Badehose verboten werde.

Dagegen folgte das Gericht der Auffassung des Klägers, es stelle eine Ungleichbehandlung dar, wenn Frauen oben ohne baden, er aber nicht im String schwimmen gehen dürfe. Den (anatomisch an sich richtigen) Einwand der Stadt Würzburg, das Gesäß eines Mannes sei mit den Brüsten einer Frau nicht zu vergleichen, ließ der Amtsrichter nicht gelten. Übliche Badekleidung ist, so damals das Gericht, weder das fehlende Oberteil des Bikinis noch der String. Aber der String des Klägers hatte Pech: Eine Gleichbehandlung im Unrecht gibt es nämlich nicht. 

Nackte auf dem Nachbargrundstück

Der Anblick nackter Menschen ist nicht immer ein ästhetischer Genuss. Eine Frau wandte sich bereits anfangs des letzten Jahrhunderts gegen das Freibad der Stadt Nürnberg, das von ihrem Hausgrundstück nur durch den 15 Meter breiten Fluss Pegnitz getrennt war. Sie fühlte sich belästigt, weil Badebesucher oft ohne Badehosen vor den ihrem Haus zugewandten Umkleidekabinen herum liefen oder auf dem Raum vor den Ankleidekabinen ausgestreckt lagen. Das alles war von ihrem Haus aus gut einsehbar.

Streng dogmatisch urteilte noch das Reichsgericht (Urt. v. 08.04.1911, Az. V 328/10), ein Nachbar könne nur die in § 906 Bürgerliches Gesetzbuch genannten Einwirkungen untersagen. Der Anblick von nackten Menschen sei allerdings den dort genannten Gasen, Dämpfen, Gerüchen, Rauch, Ruß, Wärme, Geräuschen und Erschütterungen nicht gleichzustellen. Der Anblick von Vorgängen auf dem Nachbargrundstück wirke sich nicht auf das gesundheitliche und körperliche Wohlbefinden aus. Er könne nur das seelische Empfinden der die Vorgänge erblickenden Personen verletzend berühren.

Leichter machte es sich das Oberverwaltungsgericht Berlin ein gutes Dreivierteljahrhundert später (Urt. v. 10.04.1987, Az. 2 B 124/86). Die Verwaltungsrichter wiesen die Klage eines sich belästigt fühlenden Nachbarn ab. Dass vor allem jugendliche Badegäste in der Nähe des angrenzenden Badesees teilweise unbekleidet durch die Siedlung liefen, sei der Stadt jedenfalls nicht zurechenbar.

In jeder Zeitung sieht man sie - baden mit und ohne

Ob der Badeort nun einsehbar ist oder nicht: Die Veröffentlichung von Fotos nackt badender Menschen ist rechtswidrig und verletzt deren Persönlichkeitsrecht. Das nackte Sonnen in der Öffentlichkeit enthält keine stillschweigende Einwilligung in eine entsprechende Veröffentlichung des Fotos in der Presse.

Das Argument, die fotografierten nackten Menschen seien lediglich Beiwerk neben der Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit und dürften daher abgebildet werden (§ 23 Abs. 1 Kunsturhebergesetz), haben die Gerichte nicht akzeptiert (Oberlandesgericht München, Urt. v. 13.11.1987, Az. 21 U 2979/87). Die Betroffenen haben vielmehr einen Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch.

Aber selbst mit Badebekleidung sieht man, jedenfalls ab einem gewissen Alter, nicht immer vorteilhaft aus. Auch wer beim Baden mit Badehose fotografiert wurde, möchte die Bilder also nicht unbedingt in der Zeitung sehen- selbst wenn sie im Fall eines populären Volksmusiksängers und ehemals erfolgreichen Skirennfahrers mit dem schmeichelhaften Text kommentiert werden "so knackig wie mit 30". Der Prominente verklagte die Zeitung und bekam Recht (LG Hamburg, Urt. v. 02.03.2007, Az. 324 O 604/06). Selbst wenn entsprechende Fotos mit Wissen und im Einverständnis mit dem Abgebildeten gemacht wurden, folgt daraus nicht ohne weiteres, dass er auch ihre Veröffentlichung genehmigt.

Das Balzverhalten erwachsener Menschen

"Sie liegen schon mittags in den Büschen, nachts kann man kaum noch durch den Stadtpark gehen, romantische Schwärmer nennen es Liebe, ich würde sagen, hier kann man Hormone bei der Arbeit sehen." So die Ärzte.

Ein Spaziergänger schien auch mittags mehr Interesse am Liebesleben seiner Umwelt zu haben. Gegen 13 Uhr beobachtete er in seiner Mittagspause am Hochwasserbett ein auf einer Decke liegendes Liebespaar, das Zärtlichkeiten austauschte. Beide trugen Badebekleidung. Der Beobachter blieb zunächst in einer Entfernung von fünf Metern stehen und schaute dem Treiben zu.

Nach 20 Metern hielt er nochmals inne, kehrte um und beäugte das Paar aus vier Metern Entfernung nochmals mehrere Minuten lang. Die Gestörten zeigten ihn wegen Beleidigung an. Allerdings ohne Erfolg (BayObLG, Beschl. v. 25.04.1980, Az. 3 St 140/78). Hätte der "Täter" von vornherein beabsichtigt, unentdeckt zu bleiben, hätte es bereits am Vorsatz für eine Beleidigung gefehlt.

Das Verhalten des interessierten Betrachters mag zwar eine Taktlosigkeit gewesen sein, würdigt aber das betroffene Paar in seiner Personenwürde nicht herab. Grundsätzlich müsse nämlich jedermann, der intime Handlungen vor fremder Neugier bewahren wolle, selbst dafür sorgen, dass er solche nur dort vornimmt, wo unerwünschte Zuschauer nicht möglich sind, so die bayerischen Zivilrichter.

Dies gilt auch für Liebespaare beim nächtlichen Austausch von Zärtlichkeiten in einem öffentlichen Park. Werden sie von einem Voyeur beobachtet, der gerade nicht entdeckt werden will, liegt wiederum keine Beleidigung vor. Wenn die Ertappten handgreiflich gegen den Störer werden, begehen sie einen tätlichen Angriff (BayObLG, Urt. v. 26.06.1962, Az. 3 St 51/62). Wer nachts in einem öffentlichen Park Intimitäten austauscht, muss mit einer Störung rechnen und sie in Kauf nehmen oder in das traute Heim wechseln. Die Ärzte haben wohl Recht: Bei warmem Temperaturen ist's besonders schlimm. Darum ist auch Juristen der Winter einfach lieber.         

Der Autor Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar in Regen und Zwiesel. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen unter anderem zum Nachbarrecht.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, Die Justiz und das nackte Grauen: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6753 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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