Nach den Äußerungen des Bundespräsidenten zu Islam und Integration hält die Diskussion an. Politiker fordern, Deutschland solle den Islam endlich staatlich anerkennen, andere warnen vor einer Gleichstellung muslimischer Verbände mit den christlichen Kirchen. Worum es wirklich geht und wo die Hürden liegen - Thomas Traub zu den verfassungsrechtlichen Hintergründen.
Dieter Wiefelspütz (SPD) spricht von einem wichtigen Signal, wenn der Staat den Islam als Religionsgemeinschaft anerkenne. CSU-Generalsekretär Dobrindt lehnt diesen Vorstoß scharf ab und sieht die SPD auf einem "fundamentalen Irrweg". Eine Gleichstellung des Islam mit den christlichen Kirchen könne nur fordern, wer vom geltenden Verfassungsrecht keine Ahnung habe.
Was aber sagt das Grundgesetz (GG) zur Stellung islamischer Religionsgemeinschaften? Wie hält es unsere Verfassung mit der Religion?
Wer sich Gedanken über eine Anerkennung des Islam macht, sollte sich zunächst vor Augen führen, dass muslimisches Leben in Deutschland in ganz unterschiedlichen Glaubensausrichtungen und Verbänden stattfindet, "den Islam" gibt es nicht.
Von den vier großen islamischen Verbänden (DITIB, Zentralrat der Muslime, Islamrat, VIKZ) fühlen sich insgesamt weniger als 25 Prozent der Muslime vertreten. Nur 20 Prozent der 4 Millionen Muslime, die in Deutschland leben, sind als Mitglieder in religiösen Vereinen und Gemeinden organisiert.
"Staatlich anerkannte" Religionsgemeinschaften sieht das GG nicht vor
In Deutschland muss eine Vereinigung nicht erst als Religionsgemeinschaft staatlich anerkannt werden. Es gibt weder eine Anmeldepflicht noch ein staatliches Anerkennungsverfahren und damit auch keine Unterscheidung zwischen "staatlich-anerkannten" und anderen Religionsgemeinschaften.
Wenn also von der "Anerkennung" muslimischer Vereinigungen als Religionsgemeinschaft gesprochen wird, kann damit nur die Verleihung des Status’ einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gemeint sein, wie ihn die großen christlichen Kirchen innehaben.
Dass die Kirchen in Deutschland gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, hat historische Gründe. Sinn und Wesen dieses besonderen Rechtsstatus’ sind komplex, der große Staatsrechtler Rudolf Smend charakterisierte ihn als "rätselhaften Ehrentitel".
Besonderer Rechtsstatus: Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts
Allerdings sind nicht nur die großen christlichen Kirchen, sondern auch viele kleine Religionsgemeinschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts. Beispiele dafür sind jüdische Synagogengemeinden, die Heilsarmee und nach jahrelangem Rechtsstreit, der schließlich vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden wurde, nun auch die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas.
Mit dem Körperschaftsstatus ist eine Reihe von Rechten verbunden, die es auch für muslimische Vereinigungen attraktiv macht, diesen Status anzustreben. So können öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 Weimarer Reichsverfassung (WRV) Steuern erheben. Zahlreiche Privilegien korporierter Religionsgemeinschaften finden sich auch in anderen Gesetzen: Steuerbefreiungen, Vergünstigungen im Gebührenrecht, Schutzvorschriften im Strafrecht und Sonderregelungen im Arbeits- und Sozialrecht.
Eine muslimische Gemeinschaft muss allerdings einige Voraussetzungen erfüllen, um den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten.
Voraussetzung: Rechtstreu – aber nicht staatsloyal
Das GG setzt in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV voraus, dass die Religionsgemeinschaft durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bietet. Als ungeschriebene Voraussetzung verlangt das BVerfG außerdem die Rechtstreue. Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss das geltende Recht beachten und Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die fundamentalen Prinzipien der deutschen Verfassung und die Grundrechte Dritter nicht gefährdet.
Maßgeblich ist dabei nicht der Glaube oder die Lehre der Religionsgemeinschaft, sondern ihr tatsächliches Verhalten. Nicht jeder einzelne Verstoß gegen ein Gesetz stellt die Rechtstreue in Frage. Eine korporierte Religionsgemeinschaft muss aber grundsätzlich bereit sein, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen. Dies lässt sich nicht mit mathematischer Genauigkeit berechnen, sondern kann nur im Rahmen einer komplexen Prognose bewertet werden. Der Forderung nach einer über die Rechtstreue hinausgehenden besonderen Loyalität der Religionsgemeinschaft zum Staat hat das BVerfG eine eindeutige Absage erteilt.
Aus dem Grundgesetz lässt sich auch nicht die Forderung begründen, Muslime müssten sich zunächst zu einem größeren, umfassenden Verband zusammenschließen: Das GG zwingt nicht zu inner-islamischer Ökumene und zur Preisgabe unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtungen. Ob die Gründung des Koordinationsrats der Muslime als weiterer Spitzenverband wirklich der entscheidende Schritt auf dem Weg zu einer muslimischen Körperschaft ist, darf bezweifelt werden.
Können muslimische Dachverbände Religionsgemeinschaften sein?
Die Verleihung des Körperschaftsstatus’ an eine muslimische Gemeinschaft steht noch vor einer weiteren Hürde: Sind die muslimischen Verbände überhaupt Religionsgemeinschaften? Diese Frage klingt zunächst überraschend.
Aber der Begriff der Religionsgemeinschaft, wie er in Art. 137 WRV verwendet wird, ist ein verfassungsrechtlicher Begriff, unter den nicht jede Form religiöser Vereinigung fällt. Religionsgemeinschaft ist ein Verband, der die Angehörigen eines oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst.
Im Kern geht es um den Zusammenschluss natürlicher Personen. Die großen muslimischen Verbände aber sind Dachverbände, die hunderte von selbstständigen Moscheevereinen zusammenfassen oder deren Mitglieder wiederum Dachorganisationen sind. Nach der Rechtsprechung kann zwar auch ein Dachverband selbst Religionsgemeinschaft sein. Dann muss die Gemeinschaft aber durch ein organisatorisches Band zusammengehalten werden, das vom Dachverband an der Spitze bis hinunter zum einfachen Gemeindemitglied reicht.
Verbreitetes Problem muslimischer Verbände: Keine klare Regelung der Mitgliedschaft
Eng damit verknüpft ist die Frage nach der Mitgliedschaft der Gläubigen in einem islamischen Verband. Da Organisationen im Islam theologisch gesehen keine wichtige Rolle spielen, fehlt es oft an klaren Vorschriften zur persönlichen Mitgliedschaft.
Eine eindeutige Regelung der Mitgliedschaft natürlicher Personen ist jedoch für eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft öffentlichen Rechts werden will, unverzichtbar: Das Recht, "Kirchen"-Steuern zu erheben und damit hoheitliche Tätigkeit auszuüben, kann nicht nach dem Maßstab eines vagen Zugehörigkeitsgefühls, sondern nur anhand einer rechtlich überprüfbaren Mitgliedschaft ausgeübt werden.
Die pauschale Forderung, "den Islam" endlich als Religionsgemeinschaft anzuerkennen, führt also ebenso in die Irre wie die Vorstellung, der Körperschaftsstatus sei für christliche Kirchen reserviert. Entscheidend ist, ob ein muslimischer Verband die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Das steht nicht im politischen Ermessen, sondern ist rechtlich von den Bundesländern zu prüfen, die für die Verleihung zuständig sind.
Thomas Traub ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Kirchenrecht der Universität zu Köln. Er war an einem Forschungsprojekt zum Islam im öffentlichen Recht des säkularen Verfassungsstaates beteiligt.
Thomas Traub, Diskussion um Anerkennung : . In: Legal Tribune Online, 08.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1671 (abgerufen am: 15.11.2024 )
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