Den "Kirchner" kennt jeder Jurist als das Standardwerk für Abkürzungen. Weitaus weniger geläufig sind die Verdienste seines Herausgebers um den Aufbau der größten Rechtsbücherei Deutschlands. Dr. Hildebert Kirchner feierte in dieser Woche seinen 90. Geburtstag. Eine Würdigung des langjährigen Direktors der Bibliothek des Bundesgerichtshofes von Dr. Detlev Fischer.
Hildebert Kirchner, am 8. November 1920 in Hildesheim als Sohn eines Kaufmanns geboren, hat schon als Schüler des humanistischen Gymnasiums Andreanum seiner Heimatstadt besonderes Interesse an geschichtlichen Ereignissen, Gestalten und Entwicklungen gezeigt. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften in Jena und Göttingen in den Jahren 1939 bis 1942 trat die Rechtsgeschichte hinzu.
Nach bestandenem Referendarexamen eröffnete ihm der Göttinger Ordinarius Wilhelm Ebel die Möglichkeit einer rechtsgeschichtlichen Habilitation. Das seinen ausgeprägten rechtshistorischen Forschungsinteressen entgegenkommende Angebot lehnte Kirchner im Hinblick auf die Stellung Ebels als maßgebender SS-Hauptsturmführer der Fachgruppe Rasse und Siedlungswesen ab.
Stattdessen zog er es vor, bei Professor Hans Niedermeyer und später, nach dem Krieg, bei Professor Wilhelm Felgentraeger als wissenschaftlicher Assistent zu arbeiten. Zunächst aus gesundheitlichen Gründen vom Wehrdienst freigestellt, wurde Kirchner noch Ende 1944 zur Sanitätstruppe eingezogen und im untergehenden Ostpreußen eingesetzt.
Von der Staatsanwaltschaft zum Bibliothekswesen
Nach kurzer Kriegsgefangenschaft in Dänemark kehrte er im September 1945 in seine niedersächsische Heimat zurück, um seine Referendarausbildung fortzuführen. Nach der 1948 in Celle abgelegten Zweiten Staatsprüfung trat Kirchner als Gerichtsassessor in den staatsanwaltschaftlichen Dienst ein, merkte aber recht bald, daß ihm diese Tätigkeit auf Dauer wenig liegen würde.
Als Verwalter der juristischen Seminarbibliothek in Göttingen hatte er zuvor bereits seine Leidenschaft für die Bibliotheksarbeit entdeckt, so daß er dem Angebot der dortigen Universitätsbibliothek, als Bibliotheksreferendar in deren Dienste zu treten, gerne folgte. Bei Rudolf Smend, einst Verfasser einer wichtigen Monographie über das Reichskammergericht, wurde er 1950 mit einer Arbeit zur Geschichte der Entstehung der Begriffe "öffentlich und Öffentliches Recht" promoviert. Als Volljurist und Bibliotheksassessor war Kirchner mit seinen vielfältigen geschichtlichen Neigungen für die im Aufbau begriffene Bibliothek des Bundesgerichtshofs (BGH) wie kein anderer prädestiniert, dort in führender Funktion zu arbeiten.
1952 ging er nach Karlsruhe und wurde bereits im Alter von 35 Jahren mit der Leitung der Gerichtsbibliothek betraut. Das anspruchsvolle Amt versah er über 30 Jahre mit herausragendem Erfolg. In dieser Zeit war er zusätzlich mit vielseitigen Aufgaben im Bibliotheksverbandswesen befaßt und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten zum juristischen Bibliothekswesen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang neben seinem, nach ihm benanntem, jedem Juristen geläufigen Abkürzungsverzeichnis der deutschen Rechtssprache seine langjährige, führende Herausgebertätigkeit für die Karlsruher Juristische Bibliographie.
Kenner des BGH mit Geist und Witz
Daneben fand er auch noch Zeit, seinen ausgeprägten rechtsgeschichtlichen Interessen nachzugehen. Im BGH hielt er nicht nur die Erinnerung an das Reichsgericht aufrecht, sondern verwies auf die weit zurückliegende Zeit des 1495 errichteten Reichskammergerichts. Für die Gesellschaft für kulturhistorische Dokumentation in Karlsruhe konzipierte er 1979 aus Anlaß des 100. Jahrestages der Reichsjustizgesetze die vielbeachtete Ausstellung "Recht und Justiz in Deutschland seit 1806".
Seit der Eröffnung des Rechtshistorischen Museums in Karlsruhe im Jahre 1985 steht er mit Rat und Tat dieser privatrechtlich geführten Einrichtung, die von ihm entscheidend mitgeprägt wurde, bis heute zur Verfügung. Wiederholt griff er zur Feder und befaßte sich mit justizhistorischen Fragestellungen. Seine Aufsätze sowie die im Ruhestand hinzugekommenen Beiträge, zumeist an entlegenen Stellen veröffentlicht, sind unter dem Titel Gesammelte Schriften – Beiträge zur Rechts- und juristischen Zeitgeschichte in der Schriftenreihe des Rechtshistorischen Museums, Heft 21, soeben erschienen.
Ergänzt werden sie durch Arbeiten, die bislang nicht publiziert wurden. Die Gesammelten Schriften geben ein facettenreiches, rechtsgeschichtliches Oeuvre wieder, das vorwiegend der Höchstgerichtsbarkeit in Deutschland gewidmet ist. Daß Kirchner zudem ein Mensch voller Geist, Witz und Humor ist, wird spätestens in seinem Beitrag "Bundesgerichtshöfische Nebenstunden" deutlich, in dem er den Präsidentenportraits aus der Anfangzeit des BGH eine Vielzahl kaum bekannter Anekdoten aus dieser Zeit hinzugefügt hat.
Dr. Detlev Fischer ist Richter am BGH und Vorsitzender des Vereins Rechtshistorisches Museum in Karlsruhe.
Hildebert Kirchner: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1926 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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