Zwischen Tempeln, Hochhäusern und Slums
Indien polarisiert, heißt es so schön. Entweder man liebt das Land oder man hasst es. Bereits nach wenigen Wochen konnten wir beides ziemlich gut nachvollziehen. Zum einen wird man in Indien gerne einmal krank. Die -Klassiker sind hier die Klimaanlagenerkältung und die Lebensmittelvergiftung. Wenn man etwas so schlechtes gegessen hat, dass man es in mehrere Richtungen gleichzeitig wieder loswird, dann hat man einen "Delhi-belly", kein Witz. Gerade während des Monsuns ist Essen wie russisches Roulette. Ähnlich vorsichtig wie mit Lebensmitteln wird man in Neu Delhi auch im Umgang mit seinen Mitmenschen. Wenn ein Rikschafahrer zum Beispiel sagt, das Restaurant, in das man möchte, sei geschlossen, dann überzeugt man sich davon lieber persönlich vor Ort. Fährt er mit Taxameter, kontrolliert man per Smartphone wenigstens grob, ob er den direkten Weg nimmt. Indien macht also aufmerksam – oder unhöflich, je nach den Absichten des Fahrers. Macht man sich aber auf die Reise, zeigt sich das Land von seinen schönen Seiten. Allein die Wochenendausflüge haben unseren Aufenthalt in Indien zu einem Erlebnis gemacht, das wir auf keinen Fall missen möchten. Von Delhi aus kommt man mit dem Flugzeug, Bus oder (Nacht-)Zug gut in sehr unterschiedliche Ecken des Landes und findet kulturell wie landschaftlich fast alles, was man sich als Tourist wünscht: Im Norden kann man den goldenen Tempel der Sikhs bewundern und den Gläubigen mit ihren Turbanen beim Bad im heiligen See zuschauen. Darjeeling lockt im Osten mit Teeplantagen und Junglefeeling, der Himalaya mit massiven Berglandschaften. Im Westen liegt das schöne Jaipur, die "Pink City" mit dem Palast der Winde. Wer sich an karibikähnlichen Sandstränden in Goa oder auf einem Hausboot in den Backwaters entspannen möchte, der findet sein Glück im Süden.
Indien als Reizüberflutung
Auch nach mehreren Monaten konnten wir uns nicht an den Farben Indiens satt sehen, die besonders an den Kleidern der Inderinnen ins Auge springen. Ob nun im klassischen Sari, der praktischeren Kurta oder westlicher Kleidung, es werden überwiegend leuchtende Farben, wallende Tücher und Unmengen an Schmuck getragen. Aber nicht nur die weiblichen Einwohner tragen dick auf. Indien ist in vielerlei Hinsicht die reinste Reizüberflutung. Insbesondere ist es viel lauter als Deutschland. Es wird gehupt, sobald irgendein anderes Fahrzeug oder ein Fußgänger auf der Straße erscheint – also ununterbrochen. In Indien riecht es intensiver als bei uns. Geht man eine Straße entlang, so kommt man immer wieder an großen Müllbergen vorbei, in denen Straßenhunde und heilige Kühe nach Futter suchen. Ebenso häufig, aber weniger streng steigt einem der Duft von Gebäck-, Blumen- oder Gewürzständen in die Nase. Die Menschen sind sich physisch näher als in Deutschland. Eine volle U-Bahn betritt man, indem man seinen Vordermann heftig schubst. Möchte man die müden Beine entlasten, so lehnt man sich an die wildfremde Person, die zufällig hinter einem steht. Ein Grund für diese Nähe mag sein, dass es in Indien so viel mehr Menschen gibt als bei uns. Im Zug haben wir das Spiel "Finde das Bild ohne Inder" ersonnen. Es war aussichtslos. Wo immer man aus dem Fenster schaut, sieht man Menschen.Unbegrenzte Spannweite der Gesellschaft
Aber Indien weckt nicht nur widersprüchliche Empfindungen, das Land ist in mancherlei Hinsicht ein Widerspruch in sich. Die Infrastruktur ist in Dörfern teilweise kaum vorhanden, in den Städten hingegen die einer modernen Gesellschaft. Die Metro in Delhi ist ausgebauter als in manch nordamerikanischer Stadt, die Flughäfen in Delhi und Mumbai sind, abhängig vom Terminal, moderner als viele deutsche. Andererseits kann man beim Landeanflug auf Mumbai den größten Slum Asiens bewundern. Arm und Reich leben auf engstem Raum friedlich miteinander. In Mumbai steht Antilia, das teuerste ungenutzte Einfamilien-Hochhaus der Welt. Jenseits der hohen Mauern schlafen tausende Obdachlose. Wir mögen uns darüber empören, welche Summen in Prestigeprojekte der Regierung gesteckt werden, während Indien immer noch einen höheren Prozentsatz an Unterernährten hat als Afrika – die Einwohner haben aufgehört, sich darüber zu wundern.2/2: Die Vertretung deutscher Interessen im Ausland
Auch die Arbeit in Delhi war vielfältig. Maximilian Orthmann war in der Politikabteilung tätig und durfte unter anderem den Besuch von Außenminister Steinmeier in Delhi live miterleben. Referendare werden hauptsächlich in der Abteilung für Rechts- und Konsularwesen eingesetzt. Dort bearbeitet man Remonstrationen und Klagen in Visumsangelegenheiten. Es geht um die problematischen Fälle, etwa wenn ein Visum zur Familienzusammenführung wegen des Verdachts einer Scheinehe zurückgewiesen werden soll. Einen Teil meiner Station habe ich als Referendarin in der Wirtschaftsabteilung verbracht. Hier ist das Ziel, deutschen Unternehmen die Tätigkeit in Indien zu erleichtern. Die Botschaft informiert die Unternehmen über Vorgänge in Indien und tritt bei Konflikten als Vermittlerin auf. In diesem Sinne habe ich etwa einen Vermerk über indisches Patentrecht geschrieben. Insbesondere deutsche Pharmakonzerne sollen wissen, unter welchen Voraussetzungen sie in Indien Patentrechte geltend machen können – und inwieweit die indische Generikaindustrie freie Hand hat. Die praktischen Auswirkungen dieses Konfliktes kann man in der nächsten "Apotheke" bestaunen: An jeder zweiten Kreuzung gibt es winzige Läden, in denen man Medikamente jeder Art ohne Rezept erstehen kann. Braucht man sechs Tabletten eines bestimmten Antibiotikums, so zieht der Verkäufer die Filmtabletten aus einer seiner 500 Schubladen und schneidet mit der Schere die gewünschte Anzahl an Tabletten aus. "70 Rupien, bitte." – das sind 88 Cent.Indien und wir
Während unserer Zeit in Indien haben wir gelernt, dass eine Botschaft Auge und Ohr Deutschlands im Ausland ist. Ein großer Teil der Arbeit vor Ort ist klassische Verwaltungstätigkeit, aber ihr Wirkungskreis kann weit darüber hinausgehen. Erledigt die Botschaft ihre Aufgaben gut, kann sie den beiden Ländern dabei helfen, einander besser zu verstehen und sich näher zu kommen. Wir haben gelernt, dass Indien ein eindrucksvolles, facettenreiches Land ist, das in vielerlei Hinsicht begeistert, aber ebenso viele ernsthafte Probleme zu bewältigen hat. Wir haben uns ordentlich über den Tisch ziehen lassen, wir haben beinhartes Verhandeln geübt – und sind von wildfremden Menschen mit beeindruckender Gastfreundschaft empfangen worden. In unseren Augen wird man Indien am ehesten gerecht, wenn man alles, was man von Ferne über das Land gehört und gelesen hat, beiseitelässt und neue, eigene Erfahrungen macht. Durch die gewaltige Größe und Vielfalt des Landes kann man enorm viel erleben. Und so unberechenbar eine Indien-Reise sein mag, sie wird garantiert faszinierend. Möglicherweise nicht in jeder Hinsicht faszinierend schön, mit Sicherheit aber faszinierend anders. Dr. Nora Ziegert ist Rechtsreferendarin in München.Maximilian Orthmann studiert Jura in Bonn.
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2014 M11 4
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