Leer ausgehende Stieftochter klagt gegen Putzfrau

Erbit­terter Erb­st­reit um 240.000-Euro teure Brief­mar­ken­samm­lung

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In England "schenkte" ein Mann seiner Putzkraft eine Briefmarkensammlung im Wert von 240.000 Euro. Die enterbte Stieftochter ficht die Verfügung vor einem Londoner Gericht an. Wie würde der Fall in Deutschland ausgehen?

Vor dem Central London County Court in London kämpfen derzeit zwei Frauen um das Erbe eines Mannes, der 2021 im Alter von 90 Jahren verstarb: seine Stieftochter und seine frühere Haushaltshilfe. Der Fall, über den die Bild-Zeitung unter Berufung auf die englische Boulevard-Zeitung Mirror berichtet, ist ein Erbrechtsfall wie aus einer fiktiven Jura-Klausur.

Der Mann besaß ein Vermögen von umgerechnet 300.000 Euro. Nach einem 2019 neu aufgesetzten Testament sollten seine drei leiblichen Töchter jeweils 18.000 Euro erhalten. So viel hatte nach einem älteren Testament auch seine Stieftochter bekommen sollen, doch nun bedachte er sie testamentarisch mit einem symbolischen Betrag von lediglich einem Pfund.

Den Hauptpreis aber sollte nun seine Putzkraft gewinnen: eine Briefmarkensammlung mit dem stolzen Wert von umgerechnet 240.000 Euro. Das war als eine Art Geschenk geplant. Um aber eine Nummer sicherer zu gehen, verkaufte er ihr die Sammlung zu einem symbolischen Preis von einem Pfund. Diese Verfügung hält die weitgehend leer ausgehende Stieftochter für unwirksam. Vor dem Londoner Gericht ficht sie den Vorgang an. 

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In Deutschland haben die Kinder Anspruch auf den Pflichtteil

Ob sie dort Erfolg hat, ist fraglich. Grundsätzlich gewährt das englische Zivilrecht eine weitgehende Freiheit, über das eigene Vermögen zu verfügen. Das bedeutet, der Mann war grundsätzlich dazu in der Lage, seine Stieftochter zu enterben und seine Vermögenswerte seiner Putzfrau zu vermachen. Im Einzelfall könnte die Beinahe-Schenkung aber unwirksam sein, wenn der Nachweis gelingt, dass die Verfügung nur dazu diente, den Nachlass zu schmälern. Das wird hier der County Court und danach gegebenenfalls höhere Instanzen klären müssen.

In Deutschland sieht die Rechtslage schon im Ausgangspunkt anders aus: Das Erbrecht statuiert nämlich sogenannte Pflichtteilsansprüche für bestimmte Personen. Man kann die eigenen Kinder zwar enterben, aber sie gehen dann nicht leer aus, sondern erhalten trotzdem ein gewisses Minimum – den Pflichtteil. Dieser beträgt gemäß § 2303 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Das würde hier aber nur den leiblichen Kindern helfen, denn nur "Abkömmlinge" haben Anspruch auf den Pflichtteil. Die Stieftochter ginge also nach deutschem Recht ebenfalls leer aus.

Die drei Kinder würden nach der gesetzlichen Erbfolge den Nachlass unter sich aufteilen. Ignoriert man für einen Moment, dass der Mann die Briefmarkensammlung vor dem Tod (beinahe) verschenkt hat, hätte der Nachlass einen Wert von 300.000 Euro. Jedes Kind bekäme also 100.000 Euro. Der Pflichtteil beliefe sich demnach auf jeweils 50.000 Euro.

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch

Weil nach der Fast-Schenkung der Briefmarkensammlung im Wert von 240.000 Euro aber von den 300.000 Euro nur noch 60.000 Euro im Nachlass verbleiben, reduziert sich der Erbteil pro Kind auf 20.000 Euro und ihr Pflichtteil auf 10.000 Euro. Um diese Differenz auszugleichen, hilft den Pflichtteilsberechtigten der sogenannte Pflichtteilergänzungsanspruch nach § 2325 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). 

Dabei wird der Wert der Schenkungen für die Berechnung des Pflichtteils wieder hinzugerechnet, und zwar wertmäßig abgestuft bis zu zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers. Je kürzer die Zeitspanne zwischen Schenkung und Tod, desto mehr kriegen die Pflichtteilsberechtigten. Im letzten Jahr vor dem Ableben wird der Wert der verschenkten Sache zu 100 Prozent berücksichtigt, im vorletzten Jahr mit 90 Prozent im vorvorletzten um 80 Prozent usw. 

Hätte der Mann die Briefmarken also innerhalb der letzten zwölf Monate seines Lebens an seine Putzfrau verschenkt, würden die drei Kinder weiterhin einen Pflichtteilsanspruch von 50.000 Euro geltend machen. 10.000 Euro erhielten sie dann aus dem Nachlass. Zur Liquidierung der übrigen je 40.000 Euro könnten sie nach deutscher Rechtslage von der "beschenkten" Putzfrau die Briefmarkensammlung heraus verlangen (siehe § 2329 BGB). Will sie die Sammlung behalten, darf sie die 120.000 Euro auch auszahlen. Besitzt sie neben der Briefmarkensammlung kein anderes Vermögen, müsste sie die Sammlung dann jedenfalls teilweise selbst verkaufen.  

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Was ist mit der Stieftochter? 

Dieses System findet grundsätzlich auch Anwendung, obwohl der Mann die Sammlung formal gar nicht verschenkt hat, sondern für 1,20 Euro verkauft hat. Denn in einem Verkauf eines Vermögensgegenstandes deutlich unter Wert liegt erbrechtlich eine sogenannte gemischte Schenkung: Das Erbrecht teilt die Verfügung betragsmäßig in zwei Teile – einen verkauften Teil in Höhe von hier 1,20 Euro und in einen verschenkten Teil von hier 239.998,80 Euro. Nur der verschenkte Teil wird zur Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsergänzungsanspruch – diese Rechnung ersparen wir uns jetzt hier.

Die Stieftochter hingegen kann die Ergänzung des Pflichtteils, wie gesagt, nicht für sich in Anspruch nehmen, da sie schon gar nicht pflichtteilsberechtigt ist. Sie würde auch dann leer ausgehen, wenn die gemischte Schenkung unwirksam wäre, etwa weil die leiblichen Kinder sie wegen möglicher Sittenwidrigkeit anfechten. Ein nicht leibliches Kind erhält grundsätzlich nur das, was im Testament (oder Erbvertrag) steht. Insofern könnte das englische Recht in Bezug auf sie womöglich sogar mehr Ansprüche gewähren.

Die einzige Möglichkeit für die Stieftochter nach deutschem Recht, an mehr Geld zu kommen, wäre wohl, das neuere Testament selbst anzufechten, weil es ihre Position verschlechtert hat (§ 2080 Abs. 1 BGB). Dann würde das ältere Testament gelten, wonach sie 18.000 Euro hätte erhalten sollen. Dazu müsste sie nachweisen, dass der 90-Jährige sich bei seiner Erklärung im Irrtum befunden hat oder getäuscht oder bedroht worden ist (§ 2078 BGB).

mk/LTO-Redaktion

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