Die juristische Presseschau vom 26. Oktober 2022: BVerfG ver­han­delte über AfD-nahe Stif­tung / Busch­mann schlägt Quick-Freeze vor / Kom­pro­miss im Hafen-Streit

26.10.2022

Das BVerfG prüfte Fragen zur Finanzierung parteinaher Stiftungen. Das Justizministerium präsentierte einen Gesetzentwurf zum Quick-Freeze-Verfahren. Im Streit um chinesisches Investment im Hamburger Hafen steht eine Einigung bevor.

Thema des Tages

BVerfG – parteinahe Stiftungen: Das von der AfD angestrengte Organstreitverfahren wegen der bislang unterbliebenen Finanzierung der ihr nahestehenden Desiderus-Erasmus-Stiftung (DES) könnte zu einer Neuregelung der Finanzierung solcher parteinaher Stiftungen führen. Bei der mündlichen Verhandlung erinnerte das Bundesverfassungsgericht an seine eigene Entscheidung aus dem Jahr 1986. Dort hatte das Gericht die staatliche Förderung unter dem Vorbehalt für zulässig erklärt, dass die betroffenen Stiftungen rechtlich und tatsächlich unabhängig gegenüber den jeweils nahestehenden Parteien agieren. In der Verhandlung betonten denn auch mehrere parteinahe Stiftungen, dass sie weisungsfrei und mit Distanz zu Tagespolitik oder Wahlkämpfen agierten. Möglicherweise wird der Zweite Senat eine gesetzliche Regelung für die parteinahen Stiftungen fordern. Bislang werden die Gelder nach parlamentarischen Haushaltsverhandlungen im Rahmen des allgemeinen Haushaltsgesetzes verteilt. In einem Gesetz könnte dann auch geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen einer parteinahen Stiftung die Finanzierung verweigert werden kann. Die DES wurde zunächst nicht finanziert, weil die AfD noch nicht für eine dauerhafte politische Grundströmung stehe. Nach dem Wiedereinzug der AfD in den Bundestag argumentierte die Mehrheit mit Zweifeln an der Verfassungstreue der DES. Die AfD  sieht die Chancengleichheit der Parteien verletzt. Die Verhandlung dauerte bis in den Abend. Mit einer Entscheidung ist erst nächstes Jahr zu rechnen. Über die Verhandlung berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath), LTO (Annelie Kaufmann), und tagesschau.de (Klaus Hempel).

Nach Jasper von Altenbockum (FAZ) steht die bisherige Praxis "unter dem Verdacht der Besitzstandswahrung" und werde "dem Gebot der Chancengleichheit der Parteien nicht gerecht." Um auszuschließen, dass Staatsgeld "an eine parteinahe Stiftung mit verfassungsfeindlichen Zielen fließt", sei auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes abzustellen. Die AfD könne sich dann das Ergebnis ausmalen.

Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung/Quick-Freeze: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gab einen Referentenentwurf zum sogenannten Quick-Freeze-Verfahren in die Ressortabstimmung der Bundesregierung. Danach kann ein Gericht nach einer Straftat von erheblichem Gewicht anordnen, dass alle Telekom-Verkehrsdaten "eingefroren" werden, die für die Ermittlungen "von Bedeutung" sein könnten. Dies können Daten aus dem Umfeld des Opfers oder vom Tatort sein. Mit dem Entwurf reagiert Buschmann auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Ende September, der die deutschen Regeln einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung beanstandete. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) will für IP-Adressen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung beibehalten. taz (Christian Rath) und  LTO (Markus Sehl) berichten. netzpolitik.org (Andre Meister/Ingo Dachwitz) veröffentlicht zudem den Entwurf im Volltext.

LTO fasst politische und rechtliche Reaktionen zusammen.

Für Daniel Deckers (FAZ) ist Buschmanns Quick-Freeze-Vorschlag so untauglich wie das bereits 2011 von Buschmanns Amtsvorgängerin und Parteikollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgestellte Quick-Freeze-Verfahren. Er beruft sich dabei auf die Einschätzung von "Ermittlungsbehörden, Richterverbänden sowie (parteiübergreifend!) den Innenministern von Bund und Ländern".

Volksverhetzung: Auch die SZ (Ronen Steinke) berichtet nun über den neuen § 130 Abs. 5 Strafgesetzbuch, der u.a. die Leugnung und gröbliche Verharmlosung von "Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen" unter Strafe stellt. Die Neuregelung fordere Staatsanwaltschaften auf, sich "in mehr historische Debatten einzumischen als bisher." Der ihr zugrundeliegende EU-Rahmenbeschluss von 2008 sei auf Bestrebungen osteuropäischer Mitgliedstaaten zurückzuführen, einer Verklärung stalinistischer Verbrechen vorzubeugen.

Die Welt (Constantin van Lijnden) fragt in ihrem Bericht, ob "die Geschichte nicht reich" sei "an Kriegskritikern, die im Getöse des Schlachtenlärms noch als Vaterlandsverräter" galten, "Jahrzehnte später" jedoch "vom Zeitgeist nobilitiert wurden?" Es dürfte jedenfalls kaum mit der Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen sein, künftig "bereits jede relativierende Äußerung etwa über einzelne Plünderungen" verbieten zu wollen.

Justiz

EuG – Taxonomie: Aus Anlass der beim Gericht der Europäischen Union erhobenen Klage gegen den EU-Taxonomie-Rechtsakt erläutert Libra (Marie-Luise Schlicker) die Voraussetzungen der Einstufung der Atomenergie. Art. 10 der Taxonomie-Verordnung bestimme Kriterien für Wirtschaftstätgkeiten, die einen "wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz" leisteten. Darüber hinaus müssten die Tätigkeiten aber auch "den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft" unterstützen. Dem stehe die Gefahr eines "Lock-Ins" gegenüber, durch den die herkömmliche Technologie den Marktzugang erneuerbarer Energie behindere.

BFH zu unangekündigtem Besuch: Für den Recht und Steuern-Teil der FAZ bespricht Thorsten Franke-Roericht, Rechtsanwalt, die Ende September ergangene Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur Rechtswidrigkeit unangekündigter Wohnungsbesichtigung durch Beamte der Steuerfahndung bei kooperativen Steuerpflichtigen. Der Autor erklärt hierbei auch die Tätigkeit der Steuerfahndung im Rahmen des sogenannten Flankenschutzes.

VG Berlin zu Friedrichstraße: Nach einem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts Berlin hat das Land zwei Wochen Zeit, die Sperrung der zentralen Einkaufsmeile Friedrichstraße für den Autoverkehr aufzuheben. Auf Antrag einer Geschäftsinhaberin habe das Gericht festgestellt, dass die straßenverkehrsrechtlichen Voraussetzungen einer Straßensperrung nicht vorliegen, so LTO. Für die behördlich behauptete Verbesserung der Aufenthaltsqualität durch die Maßnahme gebe es keine gesetzliche Grundlage.

VG Freiburg - deutsche Sprache auf dem Schulhof: Am Verwaltungsgericht Freiburg wurde ein Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer Strafarbeit wegen des Benutzens der türkischen Sprache auf einem Schulhof mit einem Vergleich beendet. Wie spiegel.de (Swantje Unterberg) berichtet, war vor zwei Jahren einer damaligen Drittklässlerin aufgetragen worden, schriftlich darzulegen, warum die Klassenregeln vorschreiben, die deutsche Sprache zu benutzen. Neben der nun beendeten Auseinandersetzung verfolge die Familie des Mädchens jedoch ein dienstrechtliches Dispziplinarverfahren weiter, um zu klären, ob die Klassenregel verschiedene Sprachen ungerechtfertigt ungleich behandle.

AG Hamburg zu Billigung des russischen Angriffskriegs: Wegen der Billigung von Straftaten hat das Amtsgericht Hamburg einen 62-Jährigen zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt. Der Angeklagte hatte in der nach seinem Einspruch gegen einen Strafbefehl anberaumten Verhandlung eingeräumt, im vergangenen März ein weißes Blatt mit dem Buchstaben Z sichtbar an seinem Auto befestigt zu haben. Dass hierdurch der russische Angriffskrieg in der Ukraine gutgeheißen würde, sei jedoch "eine sehr, sehr steile These", gibt spiegel.de seine Einlassung wieder. Auch LTO berichtet. 

AG München – "Hängt die Grünen": Zwei Funktionäre der rechtsrextremen Partei "Der III. Weg" sind am Amtsgericht München wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten und Volksverhetzung angeklagt, berichtet LTO. Den Männern werde die Verantwortlichkeit für Wahlplakate mit dem Slogan "Hängt die Grünen" vorgeworfen.

KI in der Justiz: Auf ihrer Jahrestagung befasste sich die Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Justiz. In ihrem Bericht stellt die FAZ (Katja Gelinsky) das Referat von Rechtsprofessor Martin Eifert in den Mittelpunkt. Eifert bemängelte den verengten, zu sehr auf technische Details fixierten Blick auf die Technologie, warnte gleichzeitig aber auch davor, "die scheinbare Vertrautheit mit menschlichen Entscheidungen" mit rechtlicher Qualität gleichzusetzen. Letztendlich sei der Nutzen des Einsatzes im "konkreten Anwendungsfall" zu bestimmen.

Recht in der Welt

UN/Ukraine - russischer Angriffskrieg: Eine Konferenz "Völkerrecht gegen Völkermord" diskutierte am vergangenen Freitag in Berlin über die juristische Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine. Die Mehrheit der Teilnehmenden sprach sich für die Einrichtung eines UN-Sondertribunals aus, schreibt LTO (Franziska Kring). Hierdurch könnte auch die russische Aggression einer strafrechtlichen Sanktion unterworfen werden. Bei der Veranstaltung wurde zudem auf ein aktuell bestehendes "ernsthaftes Genozid-Risiko in der Ukraine" verwiesen.

Russland – Brittney Griner: Die US-amerikanische Basketballerin Brittney Griner bleibt weiterhin in russischer Haft. Wie LTO berichtet, hat ein Moskauer Gericht ihre Berufung gegen eine langjährige Verurteilung wegen des Besitzes eines halben Gramms Haschisch-Öls verworfen.

USA – Harvey Weinstein: In Los Angeles wurde der Strafprozess gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein eröffnet, der sich wegen mutmaßlicher Vergewaltigungen in Kalifornien verantworten muss. In ihrem Eröffnungsstatement beschrieb die Staatsanwaltschaft in drastischen Worten zahlreiche Übergriffe, so die FAZ (Christiane Heil). Die Verteidigung habe dagegen behauptet, dass die Begegnungen einverständlich stattfanden und es vor dem Aufkommen der MeToo-Bewegung in Hollywood üblich gewesen sei, "Sex gegen Rollen" zu tauschen.

Sonstiges

China und der Hamburger Hafen: Im Streit um den Einstieg eines chinesischen Staatsunternehmens bei einer Tochtergesellschaft des Hamburger Hafens ist nach Informationen von spiegel.de offenbar eine Einigung erzielt worden. Danach wird dem Investor Cosco zwar der geplante Einstieg mit einer Beteiligung von 35 Prozent untersagt. Erlaubt wird aber eine Beteiligung von 24,9 Prozent. Die chinesische Reederei würde dann "eine reine Finanzbeteiligung" ohne Stimmrecht übernehmen. Der erforderliche Kabinettsbeschluss solle noch am heutigen Mittwoch erfolgen.

Zum Thema unternimmt Rechtsprofessor Christoph Herrmann auf dem Verfassungsblog einen Abriss der investitionskontrollrechtlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Die Untersagung erfordere nach den Bestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes zwingend einen Kabinettsbeschluss. Für etwaige Ermessenserwägungen bliebe angesichts der im Raum stehenden Bedrohung von "Sicherheit und öffentlicher Ordnung" kein Platz. Die anscheinend schwierige Entscheidungsfindung belege, "wie schwer sich Deutschland nach wie vor mit der Umstellung von seinem rein am außenwirtschaftlichen Erfolg orientierten Politikmodell hin zu einem geopolitischen Realpolitikkurs tut."

Für Stefan Kornelius (SZ) hat "die Bundesregierung den falschen Streit zur falschen Zeit gewählt." Nach wie vor sei Reziprozität zumindest in der Öffentlichkeit kein Thema; nach wie vor veröffentliche die Regierung ihre "nun fertig ausformulierte" China-Strategie nicht. Deren absehbarer Inhalt werde die Beziehungen zur Volksrepublik "trüben."

Kommunale Friedenspolitik: Die Bürgerschaft der vorpommerschen Stadt Stralsund hat sich in einem in der vergangenen Woche verabschiedeten Beschluss als Gastgeberin für sofortige Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine angeboten. Rechtsanwalt Patrick Heinemann hält dies auf LTO für rechtswidrig. Kommunen hätten kein Mandat sich mit allgemeinpolitischen Themen zu befassen. Laut Grundgesetz sei vielmehr ausschließlich der Bund für die Pflege der Beziehungen zu ausländischen Staaten zuständig. Das für die Kommunalaufsicht zuständige Innenministerium könne also die Aufhebung des Beschlusses verlangen und sei angesichts des "Desasters um Nord Stream 2 und die zwielichtige Klimastiftung" hierzu wohl auch aufgerufen.
 

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LTO/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 26. Oktober 2022: . In: Legal Tribune Online, 26.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49990 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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