Rechtsprofessor Hanno Kube warnt vor Verfassungsrisiken beim Haushalt 2025. Ex-Verfassungsrichter Peter M. Huber hält Zurückweisungen von Asylsuchenden für rechtsmäßig. In Virginia steht Google wegen Dominanz bei Online-Werbung vor Gericht.
Thema des Tages
Bundeshaushalt: Die CDU/CSU-Fraktion hat "erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel" am Haushaltsentwurf der Bundesregierung, über den der Bundestag in dieser Woche erstmals debattiert. Die Fraktion beruft sich dabei insbesondere auf ein Gutachten von Rechtsprofessor Hanno Kube, der Zweifel hat, ob die grundgesetzliche Schuldenbremse eingehalten wird. Die Bedenken beziehen sich vor allem auf die ungewöhnlich große globale Minderausgabe, die Umwandlung von geplanten Bahn-Zuschüssen in Darlehen und Eigenkapitalspritzen sowie die zu niedrig angesetzten Ausgaben für das Bürgergeld. Ähnliche Kritik übte der Bundesrechnungshof in einer Stellungnahme. Der Haushalt soll Ende November beschlossen werden. Es berichten FAZ (Manfred Schäfers), Welt (Karsten Seibel), Hbl (Martin Greive/Jan Hildebrand) und spiegel.de (Christian Reiermann).
Rechtspolitik
Asyl/Zurückweisungen an der Grenze: Ex-Verfassungsrichter Peter M. Huber stellt in einem Beitrag für die FAZ die These auf, dass die Dublin-III-Verordnung der EU wegen strukturellen Vollzugsdefiziten "nichtig" sei. Deshalb sei § 18 AsylG anwendbar, der Zurückweisungen von Asylantragstellern an der Grenze erlaubt, wenn diese aus sicheren Drittstaaten einreisen. Möglich sei aber auch der Rückgriff auf Art. 72 AEUV.
Die FAZ (Thomas Gutschker) erläutert das Verfahren nach Art. 3 der Dublin-III-Verordnung, das anwendbar ist, wenn an der Grenze ein Asylantrag gestellt wird. Die FAZ (Stephan Klenner) erklärt zudem, warum der EuGH bisher Versuche der EU-Staaten, sich auf Art. 72 AEUV zu berufen, abgelehnt hat; u.a. seien die Versuche als Kampfansage an die EU zu verstehen gewesen oder nicht substanziiert begründet worden. Auf dem Verfassungsblog prüfen Anwalt Matthias Lehnert und NGO-Geschäftsführer Robert Nestler (Equal Rights Beyond Borders), ob eine Notlage gem. Art. 72 AEUV vorliegt und kommen zum Schluss: "Kein valider Aspekt" könne die Abweichung vom EU-Recht rechtfertigen.
Die FAZ (Mona Jaeger) schildert, dass im Jahr 2023 bereits 35.618 Ausländer:innen an der deutschen Grenze zurückgewiesen wurden. Dies seit möglich gewesen, weil sie keinen Asylantrag stellten. Der Anteil der Ausländer:innen, die an der Grenze keinen Asylantrag stellen, sei von 29 Prozent im Jahr 2023 auf 51 Prozent im ersten Halbjahr 2024 angestiegen.
Sicherheitspaket: Der Bundestag wird bereits am Donnerstag erstmals über zwei Gesetzentwürfe der Ampel-Fraktionen zur Umsetzung des Sicherheitspakets der Bundesregierung debattieren. Die CDU/CSU will einen eigenen Gesetzentwurf einbringen, die AfD einen Antrag. taz (Konrad Litschko), zdf.de (Daniel Heymann/Alexandra Tadey) und zeit.de berichten.
Asyl/Leistungen für Dublin-Flüchtlinge: Die Anwältin Leonie Därr und die Sozialarbeiterin Hannah Franke kritisieren auf dem Verfassungsblog den Plan der Ampel-Koalition, Leistungen an Dublin-Flüchtlinge auszusetzen, wenn diese eine Aufnahmezusage des zuständigen EU-Staates haben. Die Leistungsstreichung widerspreche dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 zum Asylbewerberleistungsgesetz. Der Verweis auf Sozialleistungen im zuständigen Staat zähle nicht, weil Flüchtlinge in vielen EU-Staaten, etwa in Bulgarien, keine ausreichenden Sozialleistungen erhielten.
Verantwortungseigentum: An diesem Dienstag will Justizminister Marco Buschmann (FDP) Eckpunkte für eine neue, an das GmbH-Recht angelehnte Gesellschaftsform, die "thesaurierende Kapitalgesellschaft" vorstellen. Die Gesellschaft sollen "weder offen noch verdeckt Gewinne entnehmen oder ausschütten und dies auch nicht über eine Änderung des Gesellschaftsvertrags aufheben können". Die taz (Hannes Koch) berichtet und stellt auch die Unterschiede zu den Plänen der Stiftung Verantwortungsgemeinschaft vor.
DJT - Klimaschutz im Gesellschaftsrecht: Im Interview mit beck-aktuell (Denise Dahmen) erläutert Rechtsprofessor Marc-Philippe Weller sein Gutachten für die Abteilung Wirtschaftsrecht beim Deutschen Juristentag. Große Unternehmen sollen verpflichtet werden, einen Klimatransformationsplan aufzustellen. Der Rechtsformzusatz "klimaneutral" soll für alle Gesellschaftsformen eingeführt werden. Im Aufsichtsrat und in der Hauptversammlung soll Klima-Expertise sichergestellt werden.
Justiz
LSG Nds-Bremen zu Trockenheit im Intimbereich: Die Krankenversicherung muss einer 72-jährigen Frau, die nach den Wechseljahren wegen Trockenheit des Intimbereichs unter Entzündungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr litt, keine vielversprechende Lasertherapie finanzieren, weil diese noch nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss zugelassen ist. Dies entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen und wies dabei auch den Einwand der Altersdiskriminierung zurück. Auch jungen Menschen werde keine nicht zugelassene Lasertherapie finanziert. LTO und beck-aktuell berichten.
LAG Hamm zu rechtsmissbräuchlichen Klagen: Wenn ein Intensivkläger die Ressourcen der Justiz ohne erkennbares Rechtsverfolgungsinteresse massiv belastet, dann müssen solche rechtsmissbräuchlichen Klagen nicht mehr formell beschieden werden und auch die Gegenseite muss nicht formell angehört werden. Das entschied das Landesgericht Hamm im Fall eines gerichtsbekannten Mannes, der die Gerichte des Ruhrgebiets mutwillig beschäftige. beck-aktuell berichtet.
LG Ulm - Suizidversuch durch Polizeieinsatz: Vor dem Landgericht Ulm hat der Prozess gegen einen ehemaligen Bundeswehrsoldaten begonnen, der im Januar ein Ulmer Café gestürmt hatte. Wie er jetzt im Prozess gestand, wollte er von der Polizei erschossen werden, weil er seit seinem Einsatz in Afghanistan unter psychischen Problemen litt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn wegen versuchter Geiselnahme angeklagt und seine psychiatrische Unterbringung beantragt, wie die FAZ (Rüdiger Soldt) meldet.
LG Aschaffenburg zu Vergewaltigung durch Arzt: Das Landgericht Aschaffenburg hat einen Kardiologen, der Patientinnen während der Behandlung sexuell missbraucht und mit dem Finger penetrierte, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und vier Monaten verurteilt. Er war bereits Ende 2023 wegen ähnlicher Delikte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten verurteilt worden. Nach entsprechenden Medienberichten hatten sich weitere Opfer gemeldet. bild.de (Jörg Völkerling) berichtet.
LG Frankfurt/M. – Tod in Zahnarztpraxis: Im Strafprozess gegen einen Anästhesisten, der sich wegen der Verwendung einer verunreinigten Narkosespritze des Vorwurfs der Körperverletzung mit Todesfolge verantworten muss, hat die Staatsanwaltschaft beantragt, dass das Gericht dem angeklagten Mediziner einen rechtlichen Hinweis erteilt, wonach auch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes durch Unterlassen aus Verdeckungsabsicht infrage komme. Zudem beantragte die Staatsanwaltschaft wegen der ggf. höheren Strafdrohung einen Untersuchungshaftbefehl, über den noch nicht entschieden ist. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet.
VG Berlin zu Flugverbot: Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte die Eilanträge der türkischen Fluggesellschaft Southwind gegen ein vom deutschen Verkehrsministerium mitgeteiltes Flugverbot als unzulässig ab. Die Mitteilung sei kein Verwaltungsakt. Southwind müsse gegen Eurocontrol in Belgien klagen. Das Flugverbot war verhängt worden, weil Southwind unter russischer Kontrolle stehe und das Flugverbot für russische Fluggesellschaften unterlaufe. Es berichten LTO und beck-aktuell.
Recht in der Welt
USA - Google/Wettbewerbsrecht: Vor einem Bundesgericht in Virginia beginnt ein zweiter großer Wettbewerbsprozess gegen Google. Diesmal wird Google vorgeworfen, sich durch seine monopolartige Stellung bei der zielgruppengenauen Online-Werbung unfaire Vorteile gegenüber Wettbewerbern verschafft und Geschäftspartner benachteiligt zu haben, etwa indem Konkurrenzfirmen aufgekauft wurden. Google bestreitet den Missbrauch und verweist auf seinen guten Service. Es berichten spiegel.de (Torsten Kleinz) und der NGO-Wissenschaftler Ulrich Müller (Rebalance Now) auf netzpolitik.org.
USA - Insolvenzplan Purdue: Der US-Supreme Court hat Ende Juni den Insolvenzplan der Pharma-Firma Purdue mit 5:4 Richterstimmen gekippt. Die Bestimmung, dass der Plan auch (potenzielle) Klagen gegen die Purdue-Eigentümer-Familie Sackler erlöschen lassen sollte, sei mit dem US-Insolvenzrecht nicht vereinbar. Der Anwalt Theodor Shulman erläutert das Urteil auf beck-aktuell.
Juristische Ausbildung
Jura-Studium: Die Forscherin Lys Kulamadayil stellt auf dem Verfassungsblog die These auf, dass die Länge, die Kosten und die unsicheren Erfolgsaussichten des Jurastudiums Personen aus gering verdienenden Einkommensschichten benachteiligen oder sogar vom Studium abhalten.
Sonstiges
Prozess-Simulation: Das Landgericht Hannover hat im Rahmen der vom Landesjustizministerium organisierten "Woche der Gerechtigkeit" in einer simulierten Gerichtsverhandlung den Haustyrannenfall inszeniert, entschieden und mit dem Publikum diskutiert. Die Zuschauer:innen waren überwiegend gegen eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Das Gericht will solche Prozess-Simulationen wegen des großen Interesses und der gelungenen Diskussion öfter anbieten. Im Gespräch mit LTO (Katharina Reisch) berichtet Sebastian Anderski, der Pressesprecher des LG Hannover, über das Experiment.
Landtagswahl in Brandenburg: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jonas Frederik Hartung erklärt im Interview mit spiegel.de (Frauke Böger), dass es nach der Landtagswahl in Brandenburg zu Verfassungsklagen kommen könnte, wenn die AfD viel mehr Direktmandate erhält, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Diese Überhangmandate könnten nach jetzigem Stand der Umfragen nur zum kleinen Teil ausgeglichen werden, weil die Zahl der Sitze im Landtag gedeckelt ist. So könnte die AfD eine Sperrminorität erreichen, die ihr nach dem Zweitstimmenergebnis nicht zukomme.
Anwältin des Solingen-Attentäters: Ronen Steinke (SZ) kritisiert, dass die Dresdner Asyl-Anwältin des Attentäters von Solingen jetzt von Medien an den Pranger gestellt und in sozialen Netzwerken bedroht wird. Das Recht sei nicht mehr viel wert, wenn es von Anwälten nicht ohne Gefahr angewandt werden könne. Mitschuld für die Bedrohungen seien CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt mit seiner Rede von einer "Anti-Abschiebe-Industrie" und Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der sagte, es sei an der Zeit, dass wieder das Volk entscheide statt der Gerichte.
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LTO/chr
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Die juristische Presseschau vom 10. September 2024: . In: Legal Tribune Online, 10.09.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55365 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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